Woke Weiße machen für das geringere Einkommen, über das schwarze Haushalte im Vergleich zu weißen Haushalten verfügen, das von Weißen geschaffene kapitalistische Wirtschaftssystem verantwortlich. Sie lassen dabei jedoch geflissentlich außer Acht, dass asiatischstämmige Amerikaner mit 87 194 Dollar ein deutlich höheres Haushaltseinkommen erzielen als Weiße mit 70 642 Dollar. Wäre ihre These korrekt, dürften Asiaten, die als People of Color klassifiziert werden, nicht über höhere Einkommen verfügen als Weiße. Ein weiterer Fakt, der ihr Thesengebäude durchkreuzt, ist, dass auch die Strukturen des Sport- und Musikbetriebs von Weißen geschaffen wurden, also zwei Bereiche, in denen gerade Afroamerikaner reüssieren.
Noch wackliger wird die These, wenn man den Bildungserwerb, die Arbeitsmarktposition sowie das Einkommen von afrikanischen Einwanderern und ihren Nachkommen mit Afroamerikanern vergleicht. Wären rassistische Strukturen der entscheidende Faktor, dürfte es keine massiven Unterschiede zwischen diesen beiden afrikanischstämmigen Gruppen geben. Aber genau diese gibt es, angefangen beim Bildungserwerb: Die Kinder afrikanischer Einwanderer gehören zu den im Bildungssystem erfolgreichsten Gruppen, die der Afroamerikaner zu den am wenigsten erfolgreichen. Last but not least kann die These nicht erklären, warum ein deutlich gewachsener Teil der Afroamerikaner erfolgreich aufgestiegen ist, während einem anderen Teil dieser Aufstieg nicht gelingt
Dass die Vorstellung allmächtiger weißer Strukturen trotz dieser offensichtlichen empirischen Schwächen gerade von Studierenden und Hochschulabsolventen vertreten wird, ist ein Ergebnis der Ausbreitung der Critical Race Theory an den Universitäten. Die Vertreter der Critical Race Theory zeichneten sich von Anbeginn durch die Neigung aus, auf faktenbasierte Argumente, die ihrer Theorie widersprechen, nicht mit Gegenargumenten zu reagieren, sondern die Person, die sie vorbringt, mit dem Mittel der moralischen Diskreditierung sozial auszugrenzen. Damit haben sie die Grundlagen für die heutzutage um sich greifende „Cancel Culture“ – eine „Kultur“, die radikal Andersdenkende ausgrenzt – gelegt, die vor circa zehn Jahren an den Universitäten ihren Ausgang nahm, aber inzwischen auch die Medien und den Kulturbetrieb erfasst hat.
Die Vorantreiber der „Cancel Culture“ betrachten Andersdenkende nicht als legitime Diskursteilnehmer. Selbst wer die Meinungsfreiheit als Menschenrecht und als notwendige Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie verteidigt, wird vom moralischen Furor der Cancel-Culture-Aktivisten erfasst. Aus Sicht der Aktivisten ist die Ausgrenzung Andersdenkender notwendig, um Rassismus auszumerzen. Dabei gilt die Formel: Alles, was von Aktivisten als rassistisch gedeutet wird, ist rassistisch.
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