"Geschlechtsneutrale Pronomon für geschlechtslose Wesen" klingt technisch-nüchtern und sauber, aber Worte schweben nicht im luftleeren Raum. Sie haben Kontext und Konnotationen. Sonst wären Pronomen des neutralen grammatisches Geschlechtes zur Anwendung kommen, das fester Bestandteil der deutschen Sprache ist: Das Genus Neutrum.

Mangacult monierte im September 2018, das Neutrum wäre abwertend konnotiert und würde ausschließlich für Dinge/Tiere verwendet. Ich halte das inhaltlich für mindestens verknappt, wenn nicht falsch, da es Sexus, Genus und Gender indifferent zusammenwürfelt aber okay: Man operiert hier auf der Ebene der Konnotation, der Empfindung. Verstehe ich.

Welche Konnotation hat nun "xier"? Mangacult lieferte auch hier im September 2018 die Antwort gleich mit: #transgender. Die Aussagen im Interview sprechen für sich; auf die privaten Aktivitäten der Übersetzerin will ich an dieser Stelle nicht eingehen. Fest steht: Der Pronomensatz ist nicht aus der Luft gegriffen, sondern einem gesellschaftlichen Diskurs entnommen, dessen Kontext und Konnotationen er mitnimmt. Er ist in einem Maß diskursbezogen, der es unmöglich macht, seine Genese außen vor zu lassen; das zeigt sich im erläuternden Nachwort und das spiegelt sich auch in der Rezeption des Manga im deutschsprachigen Raum wieder.

Daher:

Zitat Zitat von Panthera Beitrag anzeigen
Aber das muss sie (Ichikawa) doch auch nicht, damit man die Pronomen dennoch nutzen kann, da die Wesen ja nunmal geschlechtslos sind?
Doch, man muss sich zwingend an die Aussageabsicht einer Autorin oder eines Autors halten, wenn man übersetzt. Auch eine fehlende Aussageabsicht ist eine Aussageabsicht; Ichikawa verortet ihre Geschichte in keinster Weise im LGBT-Kontext, die deutsche Übersetzung tut es hingegen. Ich halte das für einen Qualitätsmangel. Dr. Maser sagt es selbst (05:07), wenn sie Interviews von Ichikawa paraphrasiert: "Der Anfang war eigentlich nicht zu sagen, 'Oh, ich möchte eine Geschichte mit geschlechtsneutralen Wesen', sondern der Anfang war zu sagen: 'Ich möchte eine Geschichte über Juwelen erzählen.'"

Daher:

Zitat Zitat von Panthera Beitrag anzeigen
Wie gesagt, geschlechtsneutrale Pronomen für geschlechtslose Wesen, ich sehe darin keine Verfälschung.
Doch, die Übersetzungsentscheidung ist ein bewusster, reflektierter Akt und damit nicht nur eine passive Unachtsamkeit, sondern eine aktive Verfälschung. Das macht die deutsche Ausgabe von Houseki no Kuni in meinen Augen zu einer schlechten. Du darfst es gerne anders sehen.

Ich wiederhole mich an dieser Stelle gerne: Ichikawa hat die Geschlechtslosigkeit der Charaktere elegant gelöst; sie erscheinen zeichnerisch überwiegend feminin, werden sprachlich überwiegend maskulin bezeichnet. Das trägt zur vagen Unbestimmtheit bei, die bei Ichikawa durchgehend stilprägend ist, und das rückt vor allem ihre Geschlechtlichkeit in den Hintergrund, um im Vordergrund das zu tun, was sie möchte: Eine Geschichte über Juwelen erzählen. Das wäre 1:1 im Deutschen übertragbar gewesen. 1:1.

Und auch hier sehr gerne noch einmal: Ich bin ein Linker alter Schule, solidarisch mit allen, die Marginalisierung erfahren. Das ist definitiv nach wie vor der Fall für alle, für die LGBTQIA+ und verwandte Aspekte wesentlicher Teil der Identität sind. Die Debatte, die Initiativen, der Aktivismus, alles berechtigt, alles richtig, alles gut, und ich unterstütze alles aktiv, inklusive Marsch beim Christopher Street Day und inklusive Illiberalen auf die Fresse geben. Die Richtigkeit dieser Haltung sollte aber keine Übersetzerin und keinen Redakteur davon abhalten, sauber zu arbeiten und kritische Selbstreflexion zu üben.

Abschließend zwei Bemerkungen zum erklärenden Nachwort: "Phos und die anderen Juwelen sind Edelsteine - und im Gegensatz zu Menschen haben sie kein Geschlecht." Das impliziert, dass alle Menschen ein Geschlecht haben müssen, und diskriminiert folglich alle, die sich keinem Geschlecht zuordnen (z.B. agender, nongendered, genderless, genderfree, neutrois). "Quacksalber" "bei bestem Willen" wäre man in der Recherche sicherlich auf lann hornscheidt gestoßen, die für solche Begrifflichkeiten das Suffix "-ex" vorschlägt. Mit ehrlich und ernsthaft gemeinter geschlechtsneutraler Sprache hätte man hier "Quacksalbex" schreiben können.

Nicht übelnehmen, aber die Büchse der Pandora kann man nur ganz oder gar nicht öffnen.