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  1. #1
    Mitglied Avatar von Zardoz
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    Die Reise des Marcel Grob

    Vorwort: "Der Jugend Europas gewidmet". So schön pathetisch können nur Franzosen sein.

    Um es vorwegzunehmen. Dieser Comic gehört in jeden Schulunterricht, in jede Bibliothek. Die Geschichte des Marcel Grob ist eine Geschichte von Schuld und Sühne, von Tätern, die zugleich auch Opfer sind, von Unmenschlichkeit und auch von Mitleid, Empathie.

    Ein kafkaesker Prozess gegen einen 17 jährigen Elsässer, der ca. 1 Jahr vor Kriegsende zur SS eingezogen wird. Er ist nicht freiwillig gegangen. Eingesetzt in Italien ist er unmittelbar beteiligt an einem der schlimmsten Massaker und Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung. Er selbst schildert seine Geschichte vor einem "Ermittlungsrichter". Es ist ein Kampf mit sich selbst. Er ist Ankläger und Verteidiger in einer Person. Er ringt mit sich um die Deutungshoheit. Belastende und entlastende Umstände werden gleichermaßen vorgebracht. Er lässt nichts aus. Es ist ein Kampf, der spätestens mit Marzabotto begann und ihn sein ganzes Leben begleitete. Nun kommt die Abrechnung. Die Bilanzierung. Er möchte "freigesprochen" werden, er sucht Vergebung.

    Collin und Goethals gelingt es auf erstaunliche Weise, sehr spannend, ideen- und facettenreich diesen inneren Kampf des Marcel Grob zu erzählen. Die umfassende, gleichzeitig aber auch nuancierte und abwägende Darstellung zwingt selbst den voreingenommenen Leser dazu, den Vorgang neu zu bewerten und ein eigenes Urteil zu fällen. Unwillkürlich stellt sich die Frage, wie man sich selbst in einer solchen Situation verhalten hätte. Gerade ist man schon geneigt freizusprechen, da wird man mit der Sicht der Opfer konfrontiert. So geht es hin und her. Wer möchte da Richter sein?

    Intensiver und anregender lässt sich die Reise nicht erzählen. Sie ist ein "historisches Dossier" (Verlagstext). Marcel Grob ist übrigens der Großonkel von Philippe Collins, was den Danksagungen auf der letzten Seite zu entnehmen ist. Im Anhang findet sich eine informative Darstellung des geschichtlichen Kontext, insb. der Waffen-SS. Autor ist Christian Ingrao. Ein belgischer Historiker, der in Frankreich "als ein Experte für die Geschichte des Nationalsozialismus und die Gewalt im Krieg" gilt. Für mich auch deswegen interessant, weil ich bisher nur deutsche und englische Autoren in diesem Zusammenhang gelesen habe.

    Fazit: Eine informative und zugleich sehr unterhaltsame Geschichte, die zum Nachdenken anregt. Nicht nur eine der üblichen WK II - Kriegsgeschichten, wie sie in anderen Verlagen häufig zu finden sind. Der feine Strich und die sehr, sehr schönen Zeichnungen von Goethals runden den ausgezeichneten Gesamteindruck ab. Chapeau! Der Dank richtet sich auch an Splitter für die Veröffentlichung dieses großartigen Comics.
    Geändert von Zardoz (28.04.2019 um 20:58 Uhr)

  2. #2
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    Ja Zardoz, Deine Rezension teile ich schon mal zu 100%.

    Für mich war es ab Heute Morgen ein zutiefst emotionales Erlebnis. Ich wollte schon sagen Splitter hat mir ein Comic Magic Moment beschert, aber die Bezeichnung passt nicht zum Thema.
    Ich konnte bei 2 Seiten meine Tränen nicht zurückhalten und ein Waffen SS Mann hat für mich einen entscheidenden Satz ausgesprochen, der mich sehr bewegt hat und der sich hoffentlich in Zukunft jeder zu Herzen nimmt, wobei ich diese naive Annahme gleich wieder stecken lassen kann. Geht bei Konflikten ja nur nach dem Motto: Je grausamer und Menschenverachtender umso besser.
    Der letzte Dialog mit dem Richter und dem alten Marcel Grob hat mich zum Schluss noch mal schwer schlucken lassen.
    Während des Lesens hab ich mich auch dauernd gefragt, wie ich mich als deutscher Soldat verhalten hätte. Ich sage ganz klar das es jeweils altersabhängig sein wird. Der Mensch verändert sich durch das Alter und Erfahrungen die er macht.

    Nach dem Lesen des Buches fiel mir wieder eine Sache ein, die sich ungefähr vor 3 Jahren in unserer kleinen Gemeinde zugetragen hat. Ein Bürger der sich in den letzten Jahre für ein Heimatmuseum eingesetzte und nette Bücher über die Natur und Wälder in unserer Region geschrieben hatte, wurde von der Gemeinde und dem Bürgermeister mit der Ehren Bürger Medaille ausgezeichnet. Darüber wurde dann auch Regional Berichtet. 1 Tag nach der Veröffentlichung wurde das Rathaus überschwemmt mit Beschwerden und Beschimpfungen aus Italien und in unserem langweiligen, gemächlichen Rathaus war der Teufel los. Der Bürgermeister und der Gemeinderat wurden völlig geschockt darüber aufgeklärt, das der geehrte Bürger in massive Kriegsverbrechen in Italien als junger SS Soldat verwickelt war. Daraufhin kam es zu ersten Treffen mit den betroffenen Gemeinden in Italien und bis Heute wurden jedes Jahr gegenseitige Besuche abgehalten. Ich bin da sehr gut im Bilde, weil meine Ex Frau die Chefsekretärin des Bürgermeisters ist und für die Organisation der Reisen hauptverantwortlich ist. Die erste Reise war dermassen emotional traurig, das bei der Rede unseres Bürgermeisters, der selbst mehrfacher Familienvater ist, selbst die grössten Holzklötze der Gemeinderäte Ihre Tränen nicht mehr zurückhalten konnten. Bei Familientreffen waren die Erlebnisse oft ein Thema. Die Italiener erwarteten keine Wiedergutmachung die es sowieso nicht geben kann, sondern respektvolle Anteilnahme und das die Menschen wissen was dort geschehen ist.

    Mich hat Die Reise des Marcel Grob so berührt, dass ich Heute Nachmittag meine Ex gefragt habe, wie denn das Dorf heisst welches Sie immer in Italien besuchen, es sind mehrere Orte, aber ich wollte die Hauptziele jetzt genauer in Erfahrung bringen. Sie sagte: Marzabotto! Wer war der Verantwortliche für die Massaker? "Reder hiess der" wir konnten es alle nicht fassen das es genau die Geschichte war, die Sie berichtet bekommen hat und die ich jetzt in Comicform in den Händen hielt. Selbst meine Mutter ist so baff, das Sie jetzt zum ersten mal in Ihrem Leben noch ein Comic liest. Es wird ein Splitter Book sein.

    Wir haben uns dann noch eine Zeit lang alle über die Geschehnisse unterhalten. Einer der italienischen Gastgeber der sich um unsere Delegation kümmert hat die Geschichte von seinem Vater erzählt der beim Massaker anwesend war. Er führte das einzige Wirtshaus im Ort. Es war auch hier der Fall das die SS nicht in einen Ort kam und das innerhalb von Stunden erledigt hat, sondern sich 2-3 Tage in einem Ort einquartierte. Die Soldaten liessen sich auch im Wirtshaus nieder. Der Vater musste für die Soldaten kochen und Sie bewirten. In der Zeit erschossen Sie seine ganze Familie samt seiner Kinder und Frau aus Erster Ehe. Ihn liessen Sie als Einzigen seiner Familie am Leben.
    Ein anderes Mädchen hat überlebt, weil sich die Leichen der erschossenen über Sie getürmt haben, Sie musste unter dem Leichenberg 2 Tage in vollkommener Stille verharren um nicht entdeckt zu werden. Unerträglich das sich Menschen die an so etwas beteiligt waren als Grosse Heimatkundler abfeiern lassen, anstatt nach Jahren den Kontakt aufzunehmen, um Verzeihung bitten und sich für ein gutes Verhältnis einsetzen.

    Greuel gab es auch in die umgekehrte Richtung und bis Heute ist Hemingway für mich ein verachtenswertes Schwein, bei der Dokumentation nach der Landung der Alliierten und Ihrem Weg durch Frankreich die er begleitete , hat Ernest Hemingway zum Spass immer wieder gefangene wehrlose Deutsche erschossen, der Grosswildjäger. Er wurde dafür nie verantwortlich gemacht.

    Bei Die Reise Des Marcel Grob werden die Gefühlswelten der 3 französischen Soldaten und eines Sturmbannführers sehr bewegend beleuchtet. Ein Comic der einen in jeder Hinsicht mitnimmt!
    Geändert von jellyman71 (02.05.2019 um 22:36 Uhr)

  3. #3

  4. #4
    Mitglied Avatar von Zardoz
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    @jelly:
    Schön, dass sich daraus ein jährliches Treffen der Gemeinden entwickelt hat. Deine Geschichte hat Potential für ein Nachwort in der 2. Auflage.

    https://www.spiegel.de/politik/ausla...a-1081092.html

  5. #5
    Mitglied Avatar von Kohlenwolle
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    Jellys Rezension ist für mich die emozionalste und ergreifendste die ich bisher im CF gelesen habe. Dafür meine Hochachtung und vielen Dank.
    Der Titel stand eigentlich gar nicht auf meiner Einkaufsliste, was ich nun aber noch eimal überdenken werde.
    Schöne Grüsse aus dem Kohlenpott


  6. #6
    CF Unterstützer Avatar von Gagel
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    Ich habe das Buch jetzt auch gelesen. Die Einschätzung von Zardoz teile ich.
    Dieser "kafkaeske Prozess" zeichnet nicht nur die tatsächliche Reise des Marcel Grob nach, es ist auch eine letzte Reise, eine Reise zu sich selbst.

    Danke auch an jelly für deinen Beitrag.

  7. #7
    Mitglied Avatar von yoorro
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    Ich hatte das Glück dieses Buch auf einer Auktion günstig zu erstehen. Es stand auf meiner Einkaufsliste. Diese Geschichte ist nichts für schwache Gemüter. Außerdem bin ich der Meinung daß man schon mit einem Vorwissen an diesen Comic gehen sollte. Sich eine Meinung nach dem durchlesen zu bilden ist schwer, vielleicht unmöglich. Ich kann beide Seiten verstehen aber bestimmt nicht beurteilen. Der Band lâsst mich nachdenklich zurück und ich glaube ich brauche jetzt ein Gaffel und zur Ablenkung werde ich, wie üblich Sonntags, kochen gehen. Dann werde ich einen anderen Comic lesen damit ich den zweiten Weltkrieg erstmal wieder aus dem Kopf bekomme. Ich empfehle dieses Buch aber uneingeschränkt jedem.

  8. #8
    Mitglied Avatar von God_W.
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    Der dritte Band meiner einwöchigen Strecke zum zweiten Weltkrieg:


    Die Reise des Marcel Grob



    Marcel Grob wird im Alter von 83 Jahren als ehemaliges Mitglied der Waffen-SS entlarvt. Ihm wird vorgeworfen an der Verübung von Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein. Aus diesem Grund wird eine eingehende Untersuchung angestrengt, bevor der ehemalige Soldat von einem Tribunal abgeurteilt wird. Im Rahmen dieser Untersuchung verstrickt sich der Angeklagte schnell in Lügen und Ungereimtheiten, bevor er doch beschließt uns die Wahrheit über seine Vergangenheit zu berichten.

    So beginnt die Reise des Marcel Grob in seiner Heimat, im von Deutschland besetzten Elsass. Nach der Einberufung folgt die Grundausbildung, wo er schon Zeuge der Hinrichtung von Fahnenflüchtigen wird, aber mit dem Herrn Untersturmführer auch einen zukünftigen Freund und Gönner kennenlernt. Im Anschluss zieht seine Einheit nach Italien, wo die ersten grausigen Erfahrungen im Gefecht auf ihn warten und Herr Grob mit dem Massaker von Marzabotto schließlich in eines der vielen grausigen Kriegsverbrechen des zweiten Weltkrieges verwickelt wird.


    Wie die Reise für den Mann schließlich sogar über Dresden bis nach Stralsund und wieder zurück in den Elsass führt und, dass Marcel Grob am Ende die Kriegswirren trotz aller Wiedernisse überlebt, tja, das ist schon eine besondere Geschichte, die auch viel mit Glück und Fußball zu tun hat. Glück hatte der Mann auf alle Fälle deutlich mehr als die Menschen, die seiner Einheit zum Opfer fielen, ebenso wie deren Angehörige, die ihres Lebens vielleicht nie mehr froh wurden.

    Ja, das Ganze ist schon ein zweischneidiges Schwert. Glaubt man dem Mann jetzt, dass er in jungen Jahren quasi verschleppt wurde? Dass seiner Familie Gefahr gedroht hätte, wenn er sich nicht „freiwillig“ gemeldet hätte? Hat er tatsächlich nicht aktiv an den Gräueltaten seiner Einheit teilgenommen, sondern nur so getan, um nicht selbst erschossen zu werden und nur im äußersten Notfall getötet? Das ist doch aber auch die Geschichte, die ein jeder auftischen würde, wenn er seine Haut würde retten wollen. Vielleicht war der Mann zuerst ein Feigling, der dann zum blutrünstigen Sadisten wurde, vielleicht ist er aber auch wirklich ein weiteres, im Grunde unschuldiges Opfer des Krieges, dem keine andere Wahl blieb. Enorm schwierig und ich möchte sicher nicht der Haut einer Jury stecken, die darüber nach so langer Zeit ein Urteil fällen soll.


    Eine packende, treibend erzählte Geschichte, die man kaum aus der Hand legen mag. Mit den unterschiedlichen Zeichenstilen für die aktuellen Ereignisse und für die Schilderungen des Herrn Grob hervorragend umgesetzt. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass das Artwork viel zu schön ist, um solch schreckliche Ereignisse zu zeigen. An der ein oder anderen Stelle vielleicht etwas zu glatt geraten, aber es ist ja die Erzählung des Marcel Grob. Was er uns da auftischt ist schwer zu beurteilen, doch durchweg fesselnd. Dafür ist der Anhang mit dem historischen Dossier von Christian Ingrao äußerst gelungen, bietet eine kleine Geschichtsstunde mit vielen Details, die mir bis dato unbekannt waren. Das Massaker von Marzabotto kannte ich zuvor auch noch nicht.

    8-8,5/10

    Ich glaube ich muss mal wieder Das Urteil von Nürnberg schauen.

    VG, God_W.
    Über Besuch, Meinungen, Diskussionen etc... freue ich mich immer sehr!

  9. #9
    Mitglied Avatar von Largo Beutlin
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    Interessant, ich bin wohl der einzige hier, den dieser Comic gar nicht angesprochen hat. Aber sowas solls geben
    Geändert von Largo Beutlin (12.04.2022 um 18:58 Uhr)

  10. #10
    Mitglied Avatar von Örtliche Bücherei
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    Zitat Zitat von Largo Beutlin Beitrag anzeigen
    Interessant, ich bin wohl der einzige hier, den diese Comic gar nicht angesprochen hat. Aber sowas solls geben
    Mit meiner Wenigkeit ... da sind wir bereits zu zweit.

  11. #11
    Mitglied Avatar von God_W.
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    Ja, manchmal ist es so, gerade bei so eher schwierigen Themen. Da muss jeder auf seine eigene Weise Zugang finden.
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  12. #12
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    Die Tausendste Abhandlung macht nicht wirklich Lust nochmals etwas zum Zweiten Weltkrieg zu lesen. Ich persönlich ziehe da ganz klar lustige Comics vor. Asterix, Spirou, etc.

    Und wenn schon historisch gesehen, dann eher über etwas das schon länger her ist (spätes Mittelalter beispielsweise). So gesehen vermag der Marcel Grob mich nicht gross zu begeistern. (Jedoch begrüsse ich es, wenn es der Jugend hilft durch einen Film, in Buch oder einen Comic sich für einen doch wichtigen Zeitraum zu interessieren.)

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