Der entscheidende Unterschied zwischen Greg (zumindest in seiner 'Hochzeit') und Charlier ist, dass Charlier in den Klischees 'stecken' geblieben ist. Greg aber hat Klischees entweder benutzt, um sie zu hinterfragen, zu zerstören oder neue Klischees geschaffen.
Natürlich ist eine 'Selbstjustiz'-Geschichte wie Red Dust/Russ Dobbs aus heutiger Sicht nicht mehr neu, innovativ, sondern eher selbst schon Klischee. Aber sie entstand, BEVOR Charles Bronson als rot sehender Mann im Kino gesellschaftliche Diskussionen zu dem Thema ausgelöst hat. Der Navajo-Zyklus von Blueberry hingegen hängt seinen filmischen Äquivalenten 10 Jahre hinterher.
Gregs Brazil hat natürlich als konventioneller James Bond-Verschnitt angefangen, wandelte sich dann zum Kobra-übernehmen-sie-Verschnitt. Blieb dann aber eben auf der Stufe nicht stehen, sondern brach mit allen Klischees und Tabus des Genres und zerstörte damit erst das Helden-Team und damit dann auch die Serie. Radikaler kann man mit Klischees nicht umgehen, als sie in die Selbstzerstörung zu führen. Ähnlich bei Andy Morgan, wo die Zerstörung der Cormoran das ganze bisherige Serienkonzept aushebelte.
Derartiges findet man bei Charlier nicht. Betrachtet man dort die einzelnen Zyklen (seine Geschichten sind ja selten in einem Band abgeschlossen), so gibt es fast keine übergeordnete Entwicklung und man könnte die Zyklen auch wild durcheinander mischen, weil das Ende eines Zyklus immer wieder dem Status quo des Beginns entspricht.
Ausnahme wiederrum Blueberry, aber auch da wieder erst ab Goldmine bzw. Chihuahua Pearl: Die 'übergeordneten' Zyklen beginnen damit, dass Blueberry in Fort Navajo Dienst tut und enden -wenn auch zuweilen nicht expliziet gezeigt- auch wieder dort. Blueberry im Fort Navajo ist der Bezugspunkt, zu dem immer wieder zurückgekehrt wird. Erst ab Chihuahua Pearl wird das aufgehoben: Die Story beginnt zwar noch an diesem Bezugspunkt, kehrt dann aber nie mehr dorthin zurück. Ich weiss natürlich nicht, wie sehr dies auf Giraud oder Charlier zurück zu führen ist, aber es ist eben in Charliers Werk die Ausnahme (und daher liegt der Verdacht nahe, dass es auf Girauds Einfluss zurück zu führen ist, grade, wenn man dessen 'Emantipation' als Autor berücksichtigt und sieht, welchen Weg er dann mit Blueberry beschritten hat, als er alleinverantwortlich textete). Alle anderen Charlier-Serien bleiben 'konventionell'.
Bei Greg seh ich das so nicht.
Aber mich stört auch der Begriff 'Abwertung' in obigem Zitat. Ich möchte das alles hier gar nicht wertend aufgefasst sehen. Greg und Charlier sind halt unterschiedlich und mir ist Greg lieber, aber deshalb werte ich Charlier nicht ab. Der hat genauso seine Berechtigung. Yann ist auch anders als Goscinny und letzteren würd ich als einziges Genie der Comicgeschichte bezeichnen. Damit werte ich aber Yann nicht ab. Mal ist mir mehr danach, Asterix nochmal zu lesen und wannanders steht mir eher der Sinn nach Spoon & White. Dito für Greg und Charlier. Und van Hamme.
Und Corteggiani fällt natürlich hinter Charlier bei Blueberrys Jugend ab, aber bei seinen eigenen Serien schwingt er sich durchaus zu höheren Niveaus auf. Serien zu übernehmen ist eben auch schwieriger, als in den eigenen Welten zu schwelgen... - Vielleicht ist auch das ne Qualität, die ein Texter haben kann: Wie gut er es schafft, ne fremde Serie zu nehmen, und sie dann nicht nur fortzuführen, sondern zur eigenen zu machen. Unter dem Blickwinkel dürfte Franquin einer der ganz Grossen sein, denn sein Name fällt einem spontan zuerst zu Spirou ein, nicht der von Rob-Vel...
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