Der Schmetterling
(Hermann Hesse)
Mir war ein Weh geschehen,
Und da ich durch die Felder ging,
Da sah ich einen Schmetterling,
Der war so weiß und dunkelrot,
Im blauen Winde wehen.
O du! In Kinderzeiten,
Da noch die Welt so morgenklar
Und noch so nah der Himmel war,
Da sah ich dich zum letztenmal
Die schönen Flügel breiten.
Du farbig weiches Wehen,
Das mir vom Paradiese kam,
Wie fremd muß ich und voller Scham
Vor deinem tiefen Gottesglanz
Mit spröden Augen stehen!
Feldeinwärts ward getrieben
Der weiß’ und rote Schmetterling,
Und da ich träumend weiterging,
War mir vom Paradiese her
Ein stiller Glanz geblieben.
Der Tiger
William Blake
Tiger, Tiger, hell entfacht
In den Waldungen der Nacht,
Welches Gottes Aug und Hand
Nur dein entsetzlich Gleichmaß band?
Welcher Himmelsabgrund kennt
Feuer, das im Aug dir brennt?
Wessen Flügel war Bedräuer?
Welche Hand griff nach dem Feuer?
Welche Schulter, welch Gesetz
Flocht dein Herz als sehnig Netz?
Und als erstmals schlug voll Grauen,
Welche Schreckenhand und Klauen?
Was der Hammer? Was das Feuer?
Und dein Hirn in welcher Esse?
Amboß was? Wes Griff gepreßt
Hielt dein tödlich Schreckenbild fest?
Als die Sterne Speere schossen
und Tränen in den Himmel gossen,
Sah lächelnd Er Sein Werk vor Sich?
Schuf Er, der auch das Lamm schuf, dich?
Tiger, Tiger, grelle Pracht
in den Dickichten der Nacht,
Welches Gottes Aug und Hand
Mut für dein furchtbar Gleichmaß fand?
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