Es juckt mir gerade in den Fingern, den inzwischen schon abgedroschenen Spruch von Dieter Nuhr zu zitieren: "Wenn man keine Ahnung hat...". Oder man hätte wenigstens jemand fragen sollen, der sich auskennt. Denn dieser Artikel zum Gratis-Comic-Tag enthält gleich mehrere sachliche Fehler.
Wer in Deutschland eine "aussterbenden Comicgemeinde, die ausschließlich aus in die Jahre gekommene Nerds besteht" sieht, hat offenbar mindestens die letzten acht bis zehn Jahre schlicht verschlafen. Seit diesem Zeitpunkt nämlich sind in Deutschland wie in vielen anderen Ländern Manga überaus beliebt. Manga sind Comics aus Japan, oder besser gesagt, Comics nach japanischer "Machart", denn Manga werden längst auch außerhalb Japans, auch in Deutschland, gezeichnet.
Und wie aktiv und lebendig die deutsche Mangaszene (und Comicszene allgemein) ist, kann sich jeder Interessierte selbst ansehen: Etwa auf den einschlägigen Messen, Veranstaltungen und Conventions wie der Frankfurter und der Leipziger Buchmesse oder der Connichi - im Juni steht wieder der Comic-Salon in Erlangen an. Die Deutsche Cosplay-Meisterschaft (beim Cosplay schneidern die Fans mit teils enormen Aufwand die Kostüme ihrer Helden nach und führen regelrechte kleine Theaterstücke auf) findet seit mehreren Jahren mit Vorentscheiden in ganz Deutschland und dem großen Finale auf der Frankfurter Buchmesse statt. Und wer sich nicht vom Computer wegbewegen möchte, kann sich auf Plattformen wie dem Comicforum, dem CiLF, dem Animexx und anderen davon überzeugen, wie sehr "aussterbend" die Comicgemeinde ist. Die nach wie vor starken Verkaufzahlen von Serien wie Naruto (den typischen Narutard als "in die Jahre gekommen" zu bezeichnen, ist auch ... interessant), Detektiv Conan oder Bleach seien nur am Rande erwähnt, ebenso wie die Erfolge von Jiro Taniguchi, der das alte Vorurteil "Manga ist nur Kinderkram" eindrucksvoll wiederlegt.
Damit keine Missverständnisse aufkommen, die deutsche Comicszene besteht längst nicht "nur" aus Manga. Gerade in den letzten Jahren haben die klassischen frankobelgischen Alben eine regelrechte Renassance erlebt. Hinzu kommen Cartoons, deutsche Independent-Comics, Webcomics und so weiter. Beispielhaft seien nur Verlage wie Splitter oder Finix Comics (hinter letzteren steht ein hochinteressantes Konzept) genannt. Oder Zeichner wie Reinhard Kleist, Isabel Kreitz, Calle Klaus, Anke Feuchtenberger, Mawil und viele mehr. Oder Online-Comics wie "Der Tod und das Mädchen" von Nina Ruzicka (die, der Vollständigkeit halber, Österreicherin ist) oder "Das Leben ist kein Ponyhof" von Sarah Burrini.
Sachlich falsch ist leider auch, dass die Verlage sich den Gratis-Comic-Tag "von den Händlern finanzieren" ließen. Der Preis, den die Händler für die Hefte bezahlen, deckt nur die Druckkosten ab. Alles andere, also Lizenzkosten, Übersetzung, Redaktion, Lettering und Aufbereitung der Druckvorlagen, Pressearbeit und PR oder auch Werbemittel wie Flyer und Poster bezahlen die Verlage aus eigener Tasche. Insgesamt kann man sagen, dass die Verlage einerseits und die Händler andererseits sich die Kosten etwa 50:50 teilen.
Ich hoffe, ich konnte einige Missverständnisse und Fehlinformationen rund um Comics in Deutschland und den Gratis-Comic-Tag klären. Und vielleicht hat mein Kommentar ja den einen oder anderen dazu angeregt, mal wieder einen Blick auf die "Neunte Kunst" zu werfen. Das, also neuen Lesern Comics näherzubringen und ihnen zu zeigen, was es in den Comic-Shops alles zu entdecken gibt, ist nämlich auch das vorrangige Ziel des Gratis-Comic-Tags am 8. Mai 2010.
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