Geschichte anschaulich erfahrbar zu machen, ist seit je das Anliegen des historischen Romans gewesen. »Unter dem Hakenkreuz« ist in diesem Sinn ein historischer Comic, und ein hochgelungener.
Deutschland 1932/33, die unmittelbare Zeit vor und nach der Machtergreifung Hitlers. Der Gymnasiast Martin steht kurz vor dem Abitur, liest viel und träumt von einem anschließenden Germanistikstudium und vom Theater. Er ist verliebt in die hübsche Katharina, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite wohnt. Gelegentlich trifft er sie zufällig, aber Martin ist zu schüchtern, ihr seine Gefühle zu offenbaren. Freilich kann er nur knapp seine Eifersucht verbergen, wenn er Katharina in Gesellschaft anderer junger Männer sieht.
Ansonsten rasselt Martin wiederholt mit seinem Vater zusammen, weil der ein Anhänger Hitlers ist und sich von den Nazis in Krisenzeiten politische Ordnung und das Ende der Massenarbeitslosigkeit verspricht. Martins Vater triumphiert, als Präsident Hindenburg im Januar 1933 durch das Ermächtigungsgesetz Hitler die Macht in die Hände legt, den demokratischen Staat in eine Diktatur umzuwandeln.
Binnen weniger Monate ändert sich die Atmosphäre im Land bis in alle Bereiche des Alltags. Einschüchterung, Nötigung, Gewalt, das Drangsalieren Andersdenkender greifen um sich und sind schließlich an der Tagesordnung. Wie Martin erfährt, ist Katharina Jüdin. Mit Entsetzen erlebt er, wie die Juden, gegen die sich Hitlers Rassenwahn richtet, zunehmend brutal schikaniert und ausgegrenzt werden, ebenso alle, die mit ihnen befreundet sind oder auch nur beruflich mit ihnen zu tun haben – und keinen Grund sehen, daran etwas zu ändern. Vor der Praxis von Katharinas Vater, der von Beruf Arzt ist, wird ein SS-Mann postiert, der alle Patienten am Betreten des Hauses hindert.
Martins Vater, inzwischen selbst über Hitlers Rigorosität und Unterdrückung halb und halb erschrocken, zugleich aber opportunistisch und obrigkeitstreu, verbietet seinem Sohn jeglichen weiteren Kontakt zu Katharina. Martin, der Hitlers Politik verachtet und besser als sein Vater deren Konsequenzen durchschaut, steht vor einem schweren Konflikt. In dem zunehmend von Unterdrückung, Willkür und Angst beherrschten Land, in dem er jetzt lebt, ist die simple Freundschaft zu Katharina keine private Angelegenheit mehr; sie bedeutet, dass er sich entscheiden muss: vor der Gewalt der Nazis ein für allemal kuschen oder sich offen – unter Lebensgefahr - gegen das Regime stellen.
Szenarist Philippe Richelle und Zeichner Jean-Michel Beuriot gelingt das Kunststück, eine veritable Geschichtslektion mit einer spannenden und graphisch ungemein geglückt umgesetzten Geschichte zu verbinden. Zeitkolorit und das Eingreifen des Staatsterrors in alle gesellschaftlichen Bereiche werden plastisch und präzise nachvollziehbar geschildert, die Figuren sind plausibel, lebenswahr und durchaus differenziert entwickelt, und der grundlegende Konflikt Martins, in den uns dieser Comic einführt, ist zeitlos und stellt seine Fragen an uns alle. Band 2 der Reihe ist bereits in Vorbereitung, und das ist eine gute Nachricht.
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