Dass Mangas in Japan eine große Tradition haben, die bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts zurückzuverfolgen ist, dürfte hinreichend bekannt sein, die wenigsten wissen jedoch, dass die Themenvielfalt dieser Werke weitaus größer ist als bei ihren europäischen und amerikanischen Äquivalenten. Eine Tatsache, die man nicht vermuten mag, bedient doch der deutsche Markt hauptsächlich pubertierende Girlies oder verpickelte Jungs mit homophiler Neigung.
Wirft man jedoch einen Blick ins Ursprungsland, so wird schnell klar, dass das hierzulande vorherrschende Angebot lediglich ein Bruchteil dessen ist, was an Mangas in Japan produziert wird. Die erwähnte Vielfalt umfasst natürlich auch des Virus-Redakteurs liebstes Genre: Den Horror-Manga. Richtig gelesen, zwischen all den Schulmädchen mit großen Augen und ebensolchen Brüsten, lauert auch das Grauen im Regal und fristet nicht einmal ein Nischendasein. Horror-Autoren wie Hideshi Hino, Jinji Ito oder Suehiro Maruo gehören zu den bekanntesten Mangaka (so die japanische Bezeichnung für Comic-Autoren) des Landes und genießen ein hohes Ansehen. Anders als bei amerikanischen oder europäischen Zeichnern ist in Japan der Zeichner immer auch der Autor seiner grafischen Umsetzung, ein Mangaka vereint also in der Regel zwei Talente in einer Person.
Nachdem sich der Verlag Reprodukt bereits einem Werk von Suehiro Maruo angenommen hat und dieses in Deutschland veröffentlicht hat, dürfen wir uns nun bei Schreiber & Leser bedanken, der sich nun dem Thema Hideshi Hino angenommen hat. Dabei dürfte der geneigte Horror-Interessierte bereits mit dem einen oder anderen Werk des japanischen Mangaka Hideshi Hino (geb. 1946) Bekanntschaft gemacht haben, vermutlich aber, ohne davon zu wissen. Hino zeichnet nämlich als Regisseur zweier Filme der berüchtigten „Guinea Pig“-Reihe verantwortlich. „Flowers of Flesh and Blood“ (1985) und „Mermaid in a Manhole“ (1988), also der zweite und der vierte Teil der Serie, stammen aus seiner Feder und wurden von ihm umgesetzt.
Wer die Filme kennt, der kann bereits erahnen, welchen Inhalt die Mangas von Hideshi Hino haben. Die Geschichten sind meist simple Horror-Storys, die aber stets einen hohen Ekelfaktor aufweisen. Zumeist geht es um Menschen, die in irgendeiner Form mutieren, in „The Bug Boy“ beispielsweise verwandelt sich ein kleiner Junge nach und nach in eine Raupe und in „The Collection“ präsentiert sich Hino selbst als Manga-Charakter, der uns mit seiner einzigartigen Sammlung von Abscheulichkeiten wie einem Augapfel, einem Embryo im Einmachglas und vielen anderen Dingen konfrontiert und zu jedem Gegenstand eine kleine Geschichte parat hat.
In seiner Art der Darstellung ist Hideshi Hino weltweit einzigartig, kein anderer Zeichner wartet mit derart ekelhaften Bildern und kranken Geschichten auf. Neben eitrigen Mutationen und schleimigen Kriechtieren sind es jedoch auch eigene Erfahrungen, die Hino in seine Mangas einfließen lässt. Erinnerungen an die Nachkriegszeit, Depressionen und Krankheiten werden in alptraumhaften Bildern wiedergegeben. Zu seinen bedeutendsten Werken gehören „Hell Baby“ (1989), die Geschichte eines missgestalteten Mädchens, das kurz nach seiner Geburt vom Vater auf einer Müllkippe entsorgt wird, und „Panorama of Hell“(1990), in dem Hino seine Vorstellung einer post-nuklearen Hölle manifestiert.
In Japan sind bereits über 200 seiner Werke erschienen, in Deutschland hat nun der Verlag Schreiber &Leser die makabre Genialität von Hideshi Hino erkannt und zunächst vier seiner Werke in Deutsch veröffentlicht. Neben „The Collection“ sind dies „Bug Boy“, „Red Snake“ und „Black Cat“. Bleibt zu hoffen, dass noch viele weitere folgen werden.
Lesezeichen