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Thema: Comic-Stammtisch: Tim und Struppi

  1. #101
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    Zitat Zitat von hipgnosis
    Der ehemalige Kolonialimperalismus von Tim im Kongo ändert sich doch stark in seinen späteren Arbeiten, wie @matbs schon angedeutet hat. Dennoch sei leichte Kritik angebracht, denn richtig mit der Materie oder den Kulturen auseinandergesetzt hat Hergé sich nun wirklich auch nicht.
    Ah - mein Lieblingsthema jetzt auch hier! Kann es sein, daß wir heute für kolonialimperialistische Inhalte stärker sensibilisiert sind als für den durch etliche Mythen vernebelten Blick auf den amerikanischen Westen? Denn alles das gilt doch (ich sag's ja nur ungerne ) auch für Morris/Goscinny.

    Zitat Zitat von Matbs
    Als beständiger Hergé-Apologist (wie auch schon zuvor Morris-Apologist), möchte ich hier nur kurz meine persönliche Grundhaltung wiederholen, die da lautet:
    "Ich finde es etwas unfair, einem Autor vorzuwerfen, dass er vor sechzig Jahren nicht genau den Tenor unserer heutigen Befindlichkeiten trifft. Stattdessen sollten wir ihn dafür loben und bewundern, wie sehr er vor sechzig Jahren die Befindlichkeiten und Dünkel seiner eigenen Zeitgenossen überwand. Bloss weil heute jemand etwas altbacken und nicht immer ganz politisch korrekt wirkt, heisst das nicht, dass er nicht zu seiner Zeit überraschend liberal und visionär dachte - und dafür sollte man ihn würdigen, anstatt ihn zu kritisieren dass er nicht 2006 lebt.
    Also: Seht Hergé als jemanden, der seiner Zeit voraus, und nicht unserer Zeit hinterher ist!"
    Jau - aber wenn man mal persönliche Bewertungen zur Person Hergé außen vor läßt (und bedenkt, daß Tim und Struppi keine Uralt-Serie ist, die heute kein Mensch mehr kennt, sondern die nachwievor ihre Käufer findet), dann muß es doch erlaubt sein, solche Unterhaltungsphänomene auch aus heutiger Warte heraus inhaltlich kritisch unter die Lupe zu nehmen. Dabei geht es nicht um Für oder Wider des in seiner Zeit eingebundenen Menschen Hergé.
    Geändert von Kaschi (16.03.2006 um 14:05 Uhr)

  2. #102
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    Verknöchert: O.K., kommen wir offenbar nicht auf einen gemeinsamen Nenner, aber erlaube mir noch einen letzten, klitzekleinen Überzeugungsversuch:
    Original geschrieben von Matbs:
    Na gut, bei uns gibt es manchmal sowas wie mildernde Umstände, aber reicht die blosse Tatsache, dass die Inkas das nicht haben, um sie "verknöchert" zu nennen?
    Jepp. Unter anderem. Das ist der casus knaktus: In unserem Rechtssystem gibt's Begriffe wie mildernde Umstände, fehlendes Unrechtsbewußtsein usw.
    Das Problem mit den Hergéschen Inkas ist, dass sie ihre Normen strikt anwenden und auch durchziehen - offenbar sogar wider anderweitige Einsicht - das verdient keine Bewunderung sondern deutet auf einen eisern durchgezogenen Wertekanon hin.
    Vergleich nur mal mit dem Deutschland der End60er. Hatten wir nicht auch verknöcherte Strukturen ? Waren die bewundernswert ? (Und das von einem 68er-Skeptiker wie mir !)
    Wie gesagt, ich glaube nicht, dass ein Kampf gegen ein System ist, denn das würde bedeuten, dass Tim und co. um zu gewinnen das System ändern oder zumindest übertölpeln müssten.
    Übertölpelt oder getäuscht hat er die Inkas auf jeden Fall. Er hat ihnen ja erfolgreich Kräfte vorgegaukelt, die er nicht hat.

    Vielmer ist es ist eine Auseinandersetzung in einem System. Es geht nicht um "Tims Werte und Rechtsverständnis" vs. "Rechtsverständnis und Werte der Inkas", sondern es geht darum, common ground zu finden, der beides akkomodiert. Die grundlegende Validität der andersartigen Inkakultur, oder auch nur ihres drakonischen Gesetzes, wird m.M.n. nicht in Frage gestellt. Anstatt das, was wir vielleicht als ungerecht empfinden als grundlegend falsch zu entlarven und aus der Inkakultur zu entfernen (was ich im Übrigen als hochproblematisch ansehen würde, da damit eine Wertigkeitssaussge zum Verhältnis der Inkakultur zur implizit hinter Tim und auch dem Leser stehenden westlichen Kultur gemacht wäre), findet eher eine Umdeutung der spezifischen Ereignisse statt, die dem Kontext Inkakultur respektiert.
    Ich gebe zu, dass uns eine Diskussion hierüber sehr weit vom Thema wegbringen würde. Daher nur eine dreiteilige Gegenfrage (und eine Anmerkung):
    Wenn wir Menschenrechtsverletzungen (z.B. Steinigungen von vermeintlichen Ehebrecherinnen im Iran) in anderen Ländern (oder Kulturen) anklagen und dafür kämpfen, dass diese möglichst sofort abgeschafft werden, verfälschen wir eine gewachsene Kultur ? Ist dies schlecht ? Wie soll man solche Wertvorstellungen akkomodieren ?
    In Tim geht es auch um eine - offenbar kulturell weitestgehend akzeptierte - Anwendung der Todesstrafe.
    Geändert von felix da cat (16.03.2006 um 14:09 Uhr)

  3. #103
    Mitglied Avatar von Matbs
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    Zitat Zitat von felix da cat Beitrag anzeigen
    Wenn wir Menschenrechtsverletzungen (z.B. Steinigungen von vermeintlichen Ehebrecherinnen im Iran) in anderen Ländern (oder Kulturen) anklagen und dafür kämpfen, dass diese möglichst sofort abgeschafft werden, verfälschen wir eine gewachsene Kultur ? Ist dies schlecht ? Wie soll man solche Wertvorstellungen akkomodieren ?
    Damit stellst du m.M.n. DIE Frage des angehenden 21. Jahrhunderts - und obwohl ich schon sehr oft darüber nachgedacht habe, und auch schon sehr oft mit sehr vielen verschiedenen Leuten darüber diskutiert habe, kann ich dir da keine zufriedenstellende Antwort bieten, vielleicht gibt es die gar nicht.
    Nur so viel: Ich glaube sehr stark an die humanistischen Grundwerte, auf denen unsere Gesellschaft fusst. Aber egal wie wichtig und richtig diese Werte sind, ich glaube nicht, dass wir sie anderen Kulturen von einer Position der moralischen Überlegenheit aufoktroieren können oder auch nur sollten (und in der Tat ist ja auch die Toleranz gegenüber anderen Kulturen und ihrer Normen Teil dieser Grundwerte). In einer Zeit, in der die Globalisierung die Reibungsflächen zwischen verschiedenen Kulturen potenziert hat, und in der nationale, ethnische und kulturelle Identitäten durch die Entwicklung zu einer Globalgesellschaft immer mehr gefährdet zu sein scheinen und gleichzeitig als Abgrenzung auch immer wichtiger werden, muss man Fragen der kulturellen Identität mit einer unglaublichen Sorgfalt angehen, selbst wenn sie uns als völlig eindeutig erscheinen. Und in letzter Konsequenz bedeutet das auch, dass wir eine Kultur, die intern Traditionen und Handlungsweisen hat, die uns absolut zuwider sind, nur ermutigen können, das zu ändern - doch wenn sie das nicht will, müssen wir das - zumindest vorerst, und zumindest ein Stück weit - akzeptieren, denn die Alternative wäre Gewalt aufgrund ideologischer Differenzen, und sowas geht nie gut aus (wobei ich betonen möchte, dass ich hier dezidiert von Kulturen, und nicht von Regierungen und politischen Systemen spreche).

    Auch hier muss ich wieder sagen: Das ist so weit weg vom Thema, und ist so ernst, komplex und so leicht falsch zu verstehen, dass ich es hier eigentlich nicht diskutieren möchte.
    Geändert von Matbs (16.03.2006 um 15:21 Uhr)

  4. #104
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    Original geschrieben von Matbs:
    Auch hier muss ich wieder sagen: Das ist so weit weg vom Thema, und ist so ersnt, komplex und so leicht falsch zu verstehen, dass ich es hier eigentlich nicht diskutieren möchte.
    Akzeptiert !
    Will Dich auch nicht von Deinem neuen Thema abhalten:
    Die Rolle des Zufalls in Hergés narrativem Konzept!

  5. #105
    Mitglied Avatar von Mick Baxter
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    Noch ein bedeutender Satz zu Hergés Zeichenkunst aus "Sechzig Jahre Abenteuer":
    Kurzum, der Kritiker, der die naive Kühnheit besäße, die Zeichnungen Hergés zu entschleiern, indem er sie ihrem erzählerischen Milieu entzieht, würde sich wie Odysseus verhalten, der sich im Halbdunkel zu Eurydike umdreht.
    Nehmen wir zur Ehre von Pierre Sterckx an, daß da der Übersetzer oder der Druckfehlerteufel am Werk war.
    Geändert von Mick Baxter (17.03.2006 um 19:45 Uhr)

  6. #106
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    Naja, wer weiß ? Odysseus war seiner Penelope ja so häufig untreu, dass er doch auch was mit Eurydike ... mit seinen Reisen wär's nach dem Umdrehen allerdings vorbei gewesen.

  7. #107
    Mitglied Avatar von Matbs
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    Also um aus Orpheus Osysseus zu machen braucht es ja schon eine ganze höllische Heerschar von Druckfehlerteufeln...




    Und jetzt was ganz Anderes:
    Zufall.
    Der Zufall an sich ist eigentlich ein relativ schwieriges Konzept in der Fiktion: Einerseits kann er ein sehr praktisches erzählerisches Mittel sein, mit dem der Autor seine tendenziell überkohärente Welt aufbricht und sie realistischer macht, indem er sie weniger kontrolliert und geplant erscheinen lässt.
    Andererseits können Zufälle dem Erleben eine Geschichte schädlich sein: Grundsätzlich ist ja die Gesamte Handlung einer Geschichte ein Konstrukt, über das der Autor die volle Kontrolle hat – grundsätzlich passiert da eigentlich nichts wirklich zufällig, denn es ist ja vom Autor so gewollt und mit voller Absicht eingefügt. Entsprechend muss „Randomness“ simuliert werden, wenn sie Teil der Geschichte sein soll, und das ist gar nicht so leicht: Das Konzept des Zufalls ist etwas, das dem Leser im täglichen Leben sehr vertraut ist, und dessen generelle Glaubwürdigkeit er gut einschätzen kann; nicht umsonst machen nur aus großen, unwahrscheinlicheren Zufällen Geschichten, die wir anderen erzählen: Wenn wir die Frau Meyer im Supermarkt um die Ecke treffen, ist das nicht der Rede wert, auch wenn´s Zufall ist. Wenn wir sie bei unserem Asienurlaub rein zufällig in Angkor Wat treffen, wird daraus eine respektable Anekdote. (aber nur, wenn wir die Frau Meyer schon von zuhause kennen...)
    Diese grundlegende Gefühl für Wahrscheinliches muss der Autor berücksichtigen: Trägt er zu oft zu dick auf, erhöht das das Risiko, dass sich das „Suspension of Disbelief“ des Lesers ausschaltet, und er irritiert wird. Da Zufälle weiterhin ja eigentlich per Definition etwas Außergewöhnliches sind (sonst wär´s ja Alltag), und wir, als Menschen und Leser, darauf konditioniert sind, bei außergewöhnlichen Ereignissen besonders interessiert hinzugucken, erhöht sich dieses Risiko eventuell sogar noch, weil der Leser hier möglicherweise besonders viel Aufmerksamkeit an den Tag legt.
    Ein weiteres Problem bei Zufällen ist, dass sie ja per Definition unerwartet und unwahrscheinlich sind, sich also nicht ankündigen – somit wird der Leser meist nicht auf sie vorbereitet, sondern wird unerwartet mit ihrer Existenz konfrontiert, die er dann akzeptieren muss (auch hier gibt´s natürlich auch einen Vorteil, denn Überraschungen sind ja oft auch was Gutes)
    Schließlich können Zufälle auch noch potentiell die Rolle der Charaktere kompromittieren: Denn jedes Problem in der Handlung, das der Autor mit einem Zufall bewältigen lässt, ist ein Problem, dass die Protagonisten nicht aus eigener Kraft bewältigt haben, damit wird da das „Spotlight“ tendenziell von den Charakteren weg, hin zu einem unpersönlichen – und damit oftmals weniger interessanten – Ereignis bewegt. In Maßen kann sich das durchaus positiv auswirken, denn es projiziert das Bild einer runden, realistischeren Welt, in der sich nicht alles um die Charaktere dreht. Übertrieben kann es aber auch kontraproduktiv sein, da die Charaktere marginalisiert werden, und nur noch Spielball von Ereignissen sind, über die sie keine Kontrolle mehr haben (und ja, auch das ist – gerade in der Postmoderne – schon öfters gemacht worden, und kann auch sehr interessant sein – aber für die Zwecke einer klassischen Abenteuergeschichte ist es nicht geeignet). Schlimmstenfalls kann dadurch beim Leser sogar der Eindruck entstehen, dass der Autor kein besonders guter Erzähler ist, der die Situationen, in die er seine Protagonisten bringt, nur mit Hilfe eines billigen Deus Ex Machina wieder auflösen kann.

    Angesichts dieser Schwierigkeiten sollte man ja eigentlich meinen, dass ein Autor mit Zufällen am besten sehr konservativ umgehen sollte, oder?

    Hergé meint das offensichtlich nicht.
    In seinen Geschichten finden sich ständig und überall Zufälle, die, logisch betrachtet, völlig aberwitzig sind. Und es sind nicht nur kleine Zufälle, die die Handlung anstoßen oder Atmosphäre schaffen, nein, es finden sich auch immer wieder ziemlich große Unwahrscheinlichkeiten, die als tragendes Element der Handlung dienen – und zwar in einem Maß, das über den „Zufallskoeffizienten“ in den meisten vergleichbaren Serien weit hinausgeht.
    Um mal ein paar willkürliche Beispiele aus den "Kristallkugeln"/dem "Sonnentempel" zu nehmen:
    - Der Messerwerfer im Varieté ist niemand anderes als General Alcazar. Wer hätte das erwärtet?
    - Zufällig ist Professor Birnbaum ein alter Freund von Bienlein (na so was; da haben wir´s übrigens wieder: Bienlein der "Living Story Hook" - immer für eine Entführung, wichtige Bekanntschaft oder Mondrakete gut... )
    - Zufällig findet eben dieser Bienlein einen alten Inkaarmreif im Garten - und entscheidet ihn sich überzustreifen. Dabei wird er zufällig von den versteckten Agenten der Inkas beobachtet.
    - Mein Lieblingszufall: Bienlein ist entführt, alle Spuren verlaufen sich im Sande. Er ist weg. Für immer. Oder er wäre es, wenn Tim und Haddock nicht zufällig in den Nachbarort führen, wo zufällig ein paar Lausbuben Bienleins Hut gefunden und ihn zu einem Streich verwendet haben auf den zufällig der Kapitän reinfallen wird, woraufhin Struppi (der damit wieder mal die inhärente intellektuelle Überlegenheit des Terriers beweist – wenn Tim einen von diesen dämlichen Golden Retrievern hätte, wäre Bienlein wohl spätestens hier sprichwörtlich Asche ) den Hut identifiziert. Wow. What are the odds?
    - Im peruanischen Hochland trifft und rettet Tim zufällig Zorrino, vielleicht den einzigen Zwölfjährigen in der Stadt, der nicht nur den Weg zum Sonnentempel kennt, sondern auch noch Zugriff auf eine komplette Expeditionsausrüstung samt Lamas hat (der Bruttoverdienst eines Zitrusfrüchteverkäufers in der peruanischen Provinz ist anscheinend überraschend ordentlich )
    - Haddock, leicht angeheitert, beschließt in den Anden, es diesen Pantoffeltierchen von Inkas mal so richtig zu zeigen: Er stürmt auf sie los, stolpert, und verwandelt sich in eine unkontrollierte Schneekugel, die die Inkas umwirft und ebenfalls in eine unkontrollierte Abwärtsbewegung versetzt. Alle rollen auf einen Abgrund zu, nur eine Kugel wird von einem Felsen aufgehalten, der zufällig davor steht, und das ist zufällig die von Haddock. Puh!
    - Der Wasserfall, in den Tim stürzt, ist zufällig der, der in die Katakomben unter dem Sonnentempel führt - das hätten alle übersehen, wenn nicht zufällig das Seil in just diesem Moment gerissen wäre. Glück muss man haben, oder?
    - Und schließlich: Zufällig werden Tim und Co. ein paar Tage vor einer totalen Sonnenfinsternis gefangen genommen, die zufällig auf ebendem Zeitungsfetzen angekündigt wird, den der Kapitän zufällig in der Hosentasche hat. Ich kann nur hoffen, dass ich ähnlichen Dusel habe, wenn ich das nächste mal von einer geheimen indigenen Subkultur verbrannt werden soll…
    Wie gesagt, nur ein paar Beispiele. Manche davon sind sowohl in der geforderten Akzeptanz als auch in ihren Auswirkungen relativ klein (Alcazar), andere hingegen sind eigentlich extrem unwahrscheinlich und extrem wichtig für den weiteren Plot (Bienleins Hut).

    Also, warum macht Hergé so was. Unerfahrenheit? Wohl kaum, denn diese Zufälle sind Teil der Serie von ihren Anfängen (Tim im Kongo: Affe greift sich Tims Flinte und erschiesst zufällig den Elefanten) bis zu den letzten Alben (Tim und die Picaros: Kapuzineraffe auf der Strasse führt zu einer hastigen Lenkbewegung, die just in diesem Moment dafür sorgt, dass das versteckte Geschütz den Lastwagen verfehlt). Ist er vielleicht seine ganze Karriere lang ein untalentierter Stümper, der es nicht mal schafft, eine anständige Geschichte zu erzählen, ohne ständig auf unrealistischste Art und Weise darin rumzupfuschen?

    Nee!

    Im Gegenteil: Ich glaube, Hergé ist so gut, dass seine Geschichten trotz all dieser eigentlich völlig unrealistischen Zufälle (vielleicht sogar gerade wegen ihnen?) bestens funktionieren. Ich fand´s schon sehr interessant, dass bei der bisherigen Diskussion niemand was über die vielen Zufälle bei T&S geäußert hat - anscheinend ist es schwerer, die Inka´sche Verwendung kleiner Wachspuppen in zwei oder drei Panels zu akzeptieren, als die unglaublichen Zufälle, die Tims Abenteuer (und nicht nur die hier besprochenen) so reichhaltig begleiten .
    Anscheinend greift hier also das „Suspension of Disbelief“ sehr sehr gut. Entsprechend sehe ich das ganze auch eher als weiteren Beweis von Hergés Meisterschaft als Erzähler, die es ihm erlaubt, die widersinnigsten Entwicklungen als integralen Teil seiner Plots zu präsentieren, ohne dass es uns auch nur so richtig negativ auffällt. Die Geschichte ist anscheinend fesselnd genug, dass wir nicht mal dran denken, uns an der Parade unglaublicher Begebenheiten, die hier stattfinden, zu stören.

    Hergé entscheidet sich m.M.n. bewusst für diese vielen Zufälle (zumindest während seiner mittleren und späteren Schaffensphase), obwohl er sicherlich auch ohne sie auskommen könnte. Zum Einen weil er´s kann: Seine Geschichten sind interessant und in sich konsistent genug, um selbst so viele Unwahrscheinlichkeiten gut verkraften. Zudem spielen sie ja sowieso schon in einem Kontext, der alles andere als alltäglich ist und somit die Frage nach der Wahrscheinlichkeit der erzählten Ereignisse (egal ob zufällig oder von den Charakteren gesteuert) nicht wirklich aufkommen lässt. Sobald wir die Grundprämisse von T&S akzeptieren, nämlich dass es da diesen Kerl gibt, der auf der ganzen Welt die unglaublichsten Abenteuer erlebt, akzeptieren wir auch schon eher die Tatsache, dass ein Teil dieser unglaublichen Abenteuer aus unglaublichen Zufällen besteht – Zufall oder nicht, unglaublich bleibt unglaublich!

    Darüber hinaus haben diese Zufälle aber auch eine extrem wichtige Bedeutung in der Anlage von Hergés Kosmos. Ähnlich wie auch die hin und wieder angedeutete Existenz des Übernatürlichen (oder auch die Existenz wissenschaftlicher „Wunder“) hilft auch die Existenz des Unwahrscheinlichen mit, eine Grundstimmung zu schaffen, die dem Abenteuer zuträglich ist. Tims Welt ist grundsätzlich eine Welt der unbegrenzten Möglichkeiten (oder, vielleicht besser, eine Welt der deutlich weniger begrenzten Möglichkeiten, denn wie bereits erwähnt gibt´s es ja keine fliegenden Teppiche…): Sie ist nicht durch den Wissenstand der „realen Welt“ begrenzt, unterliegt nicht immer denselben Gesetzen wie das echte Leben; gerade das macht sie so spannend und faszinierend. Hergé präsentiert uns immer wieder das Unglaubliche und das Unwahrscheinliche, und zwar auf eine Art und Weise, die es uns in den meisten Fällen extrem einfach macht, uns – ohne das überhaupt bewusst zur Kenntnis zu nehmen - darauf einzulassen.
    Tims Welt ist eine Welt des Möglichen, nicht des Wahrscheinlichen. Rationale Abwägungen zwischen „das gibt´s“ und „das gibt´s doch gar nicht“ spielen in ihr eine weit weniger prominente Rolle als in unserem Alltag. Indem wir uns darauf einlassen, ihre Grundprämissen nicht durch die rationale Linse dieses Alltags analysieren, sondern sie einfach so, wie sie sind annehmen (und dazu fordert uns Hergé mit jedem weiteren Zufall von Neuem auf), werden wir selbst für einen kurzen Augenblick Teil des Abenteuers und verlassen diesen Alltag mit seinen oftmals engen Grenzen aus Wahrscheinlichkeit.

    Auch für die Darstellung der Charaktere, vor allem für Tim selbst, könnten die vielen Zufälle eine wichtige Funktion haben. Wie bereits festgestellt, weist Tim ja einen auffälligen Mangel an menschlichen Schwächen auf. Aber trotz dieser scheinbaren Überlegenheit ist Tim kein Übermensch, der ständig alles unter Kontrolle hat, das wäre dem Abenteuer an sich auch sehr abträglich (in der Tat scheinen Tims „übermenschliche Fähigkeiten“ im Verlauf seiner Karriere sogar deutlich nachzulassen: War er im „Blauen Lotos“ noch in der Lage, problemlos drei stämmige Sikhs krankenhausreif zu schlagen, so braucht er im „Sonnentempel“ bereits die Hilfe einer massiven Hauswand, um auch nur mit einem stämmigen Gegner fertig zu werden). Stattdessen gerät er immer wieder in Situationen, wo ihm weder sein Intellekt, noch seine körperlichen Fähigkeiten weiterhelfen, womit ihnen natürlich auch implizit eine Grenze gesetzt wird. Auf die Gesellschaft kann sich Tim in solchen Situationen aber nicht verlassen (denn sie ist ja, wie wir bereits festgestellt haben, praktisch nicht Teil der Handlung), also greift eben das Schicksal ein. Tim mag zwar scharfsinnig, mutig und stark sein, aber manchmal hat er eben auch einfach nur Riesenglück – und das macht ihn ein Stück menschlicher.

    Fazit: Eigentlich sind Zufälle eine knifflige Sache. Aber bei T&S stören sie überraschend wenig. Stattdessen nützen sie der Serie. Sie halten die Handlung spannend und abenteuerlich, indem sie die festen Grenzen des Wahrscheinlichen (und damit auch des Vorhersehbaren) erodieren, und führen uns die Grenzen der handelnden Charaktere vor Augen, ohne die Geschichte an sich zu begrenzen.
    Geändert von Matbs (17.03.2006 um 18:44 Uhr)

  8. #108
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    Dieser Beitrag ist aber kein Zufall, Matbs! Mal wieder erste Sahne!

    Eine Anmerkung dazu hab' ich aber:

    Zitat Zitat von Matbs
    Tims Welt ist eine Welt des Möglichen, nicht des Wahrscheinlichen.
    Richtig - des Möglichen, nicht des Unmöglichen. Und deshalb bin ich - zusammen mit anderen - über die Wachsfiguren gestolpert. Denn die wollen in den ansonsten streng rational aufgebauten Ablauf nicht recht hineinpassen. Quälerische Wachsfiguren wären eher was für märchenhafte Welten wie die von "Lurchi" gewesen.

    Als Leser sind wir i.A. ohne Probleme bereit, Geschichten zu folgen, die unrealistische (Nachtrag: "irreale" paßt besser!) Elemente enthalten - wenn sie denn ansonsten stimmig aufgebaut sind. Ich denke, das ist mit "suspension of disbelief" gemeint. Um nun nicht nur an "Tim und Struppi" herum zu kritteln: da gibt es m.E. auch anderswo Ungereimtheiten. Bei "Asterix" hat es mich trotz des Zaubertranks immer etwas gestört, daß Obelix ein ganzes Römerheer alleine zu Klump hauen kann. Ja, warum schubsen die beiden gallischen Helden dann nicht mal eben den kompletten Besatzungsverein wieder hinaus? Mir schienen die zaubergetränkten Gallier immer etwas zu stark und nahezu unverwundbar und die Römer dagegen etwas zu dusselig. Auch die Daltons bei "Lucky Luke" sind für ihren Ruf als gefürchtete Verbrecher einfach zu dämlich! Die Ganoven in "Spirou" haben da schon das passendere Format!

    Äh, bei der Frage "Orpheus", "Odysseus" oder "Ossysseus" plädiere ich für "Orzessek" (keine Comic-Figur, nur was für die sportlich Älteren).
    Geändert von Kaschi (17.03.2006 um 16:05 Uhr)

  9. #109
    Verstorben Avatar von hipgnosis
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    Zitat Zitat von Matbs Beitrag anzeigen
    Ich fand´s schon sehr interessant, dass bei der bisherigen Diskussion niemand was über die vielen Zufälle bei T&S geäußert hat ....
    Könnte es vielleicht darin liegen, daß Hergé zufällig eh´keiner ernst nimmt?

    Nein Du hast natürlich recht in Deinen Ausführungen - und wenn man jetzt mal die Liste der Zufälle vor die Augen gehalten bekommt, wundert man sich wirklich, warum man nicht viel früher darauf aufmerksam wurde.

    Ich denke bei Medien, sei es Film, Bücher oder Comics, die in erster Linie einfach lustige,spannende oder interessante Geschichten erzählen, eben einfach nur unterhalten wollen - nimmt man einen gewissen Prozentsatz an Zufall gar nicht mehr richtig wahr, da man sowieso von einer fiktiven und konstruierten Storyline ausgeht.

    Anders wäre es wenn ein Autor wirklich eine tiefere Aussage in sein Werk hineinlegt - dann dürfte der Zufall schon nur noch in Maßen - wenn überhaupt geduldet werden. Bei Sach-orientierten Themen ist er m.E. völlig verboten.

    Aber Hergé - wie die meisten anderen Comic-Autoren wollen doch in erster Linie nur unterhalten. Hier wird doch kein analytischer Plot mit enormer Aussagekraft vom Leser erwartet.
    Man legt sich zurück und geniest - man nimmt die Stimmung der Geschichte auf - reflektiert die Bilder - freut sich an Kleinigkeiten und wenn es dem Autor gelingt eine stimmige Story zu präsentieren, verliert man sich manchmal in den Geschichten. Das sind dann die richtig guten Comics!
    Da stört dann eine eigentlich banale Sache wie die Wachsfiguren, die ja vom Autor als Lösungsweg für das mystische Element hergenommen werden, plötzlich mehr als alle Zufälle, die es Tim und Haddock ermöglichten überhaupt auf die Spur Professor Bienleins zu gelangen.

    Aber ich gebe zu, nach Auflistung Deiner Zufallsliste wird mir die Absurdität der Storyline erst richtig bewußt - dann Danke ich Dir aber herzlichst, daß mir das Abenteuer nun noch ein bißchen weniger gefällt!

    Nein - trotz aller Kritik und Deinen ganzen Lobeshymnen (für die ja eigentlich immer @felix hier im Stammtisch zuständig ist ) - hat sich mein Eindruck von der Geschichte oder von Tim + Struppi überhaupt - bisher wenig verändert.

    Hergé ist und bleibt ein großer Comic-Künstler und wird seinen Platz
    in der "Hall of fame" der Comics sicherlich gerecht.
    Aber wenn ich zeichnerische Brillianz oder storytechnisch anspruchsvollste Comics lesen möchte, greife ich nicht zu Hergé.

    Doch wie der Zufall es will - gibt es ja für alle Geschmacksrichtungen und für jede Stimmung immer das richtige Comic!
    Geändert von hipgnosis (17.03.2006 um 18:17 Uhr)

  10. #110
    Mitglied Avatar von Matbs
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    Zitat Zitat von hipgnosis Beitrag anzeigen
    Aber ich gebe zu, nach Auflistung Deiner Zufallsliste wird mir die Absurdität der Storyline erst richtig bewußt - dann Danke ich Dir aber herzlichst, daß mir das Abenteuer nun noch ein bißchen weniger gefällt!

    <krk>


    <krk>



    <krrk>


    Hörst du das? Das ist das Knacken der dünnen Eisfläche, auf der du gerade Bluschtika ("Bluschtika!") tanzt....

  11. #111
    Verstorben Avatar von hipgnosis
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    @Matbs



  12. #112
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    @Matbs: Was, mehr hast Du nicht zum Thema Zufall zu schreiben ?

    Hatte während des Lesens ein ähnliches Gefühl wie hip: Will der Matbs mir mein Tim und Struppi madig machen ?

    Nee, mal im Ernst: Hat wie immer einen interessanten Aspekt genau beleuchtet !
    Und dass Dein Ausgehhund ein Terrier ist, haben wir auch zwischen den Zeilen erfahren...
    Original geschrieben von hipgnosis:
    Zufällig werden Tim und Co. ein paar Tage vor einer totalen Sonnenfinsternis gefangen genommen, die zufällig auf ebendem Zeitungsfetzen angekündigt wird, den der Kapitän zufällig in der Hosentasche hat. Ich kann nur hoffen, dass ich ähnlichen Dusel habe, wenn ich das nächste mal von einer geheimen indigenen Subkultur verbrannt werden soll…
    Glaub mir, dass so etwas passiert ist so unwahrscheinlich wie ein Tim und Struppi-Comic und wäre reinster ... Zufall.

    Original geschrieben von hipgnosis:
    ... Lobeshymnen (für die ja eigentlich immer @felix hier im Stammtisch zuständig ist )
    Ich erkenn' eben Qualität, wenn ich sie vor mir habe ...

    ... and here are the results of the Felix-Jury:

    Beide Alben: 8/10
    Im Gegensatz zu hip würde ich - wenn's um zeichnerische Brillanz geht - auch einen Tim und Struppi zur Hand nehmen.
    Er ist clean, für manche sicher zu clean, geradezu clea ... äh ... klinisch, aber auch dies vermag, mich zu faszinieren.
    Story: Gute Unterhaltung birgt Tim und Struppi - mit Ausnahme insbesondere einiger Frühwerke - allemal.
    Ich glaube, die Fähigkeit eine gut unterhaltende Geschichte zu erzählen wird gemeinhin unterschätzt.

    Ein Vorschlag, der mir schon seit langem durch den Kopf geht:
    Wir haben ja schon eine Abstimmung zum besten Asterix.
    Wie wär's wenn einer (der das kann) etwas gleichartiges für Tim und Struppi (und wenn wir schon mal dabei sind: für die albenlangen Franquin-Spirous und Goscinny-Lucky Lukes) ins Forum stellen würde.

  13. #113
    Mitglied Avatar von Matbs
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    Wie gesagt, madig machen wollte ich gar nix. Bloß zeigen, wie gut es Hergé gelingt, sein Ding durchzuziehen und uns zu unterhalten/faszinieren (und all den Kleingläubigen zeigen, dass das ganze so unheimlich gut gemacht ist, dass sie sich an Peanuts reiben müssen [das ist jetzt bitte nicht wörtlich zu verstehen...], und dabei die nach ihren eigenen Standards eigentlich viel größeren Reibungsflächen nicht mal bemerken - und vielleicht auch, dass, wenn sie diese Reibungsflächen so anstandslos akzeptieren können, die Peanuts doch eigentlich nur... äh... Peanuts sind ).

    Übrigens: Für alle, die mal wissen wollen, wie Zufälle deutlich weniger geschickt eingesetzt werden, empfehle ich "Rubine" von Walthéry/de Lazare/Mythic, da stosse ich mich jedesmal nach spätestens ein paar Seiten an der wenig glaubwürdigen Anneinanderreihung von seltsam unmotiviert wirkenden Zufällen, mit der auf irgendwie gequälte Weise eine Kriminalgeschichte konstruiert (und meist auch ohne zu große Anstrengungen der Charaktere gelöst) wird...
    Geändert von Matbs (17.03.2006 um 20:21 Uhr)

  14. #114
    Mitglied Avatar von Matbs
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    So, zum Abschluss vielleicht noch kurz etwas, was ich mich gerade vorhin gefragt habe, auch wenn es vielleicht etwas "far out" ist:
    Inwieweit schlagen sich eigentlich die realen politischen Ereignisse in Hergés Heimat während der Entstehung der Geschichte in ihrem Inhalt wieder?
    Auf den ersten Blick ist ja ganz klar, dass Hergé offensichtlich unpolitisch sein wollte und musste, und sich deshalb eine Geschichte und einen Handlungsort gewählt hat, die möglichst weit von der mitteleuropäischen Realität der frühen 40iger entfernt waren.
    Aber finden sich vielleicht doch hier und da kleine, vielleicht sogar unbewusste Echos dieser Realität wieder?
    1) Was ist denn z.B. mit der bereits erwähnten Hilflosigkeit der Protagonisten im ersten Teil der Geschichte? Völlig untypisch sehen sich die Helden mit einer finsteren, ja unerklärlichen Macht konfrontiert, die sie nicht aufhalten, ja nicht mal verstehen können - zwar sind erst einmal Andere das Primärziel dieser Macht, aber auch für die Charaktere besteht das Gefühl einer latenten, nicht manifestierten aber irgendwie allgegenwärtigen Gefahr. Ist diese - wie gesagt völlig ungewöhnliche - Hilflosigkeit, diese Unsicherheit und Verwirrung, vielleicht so ein bisschen aus den realen Gefühlen und Unsicherheiten erwachsen, die ein belgischer Staatsbürger angesichts der Besetzung seiner Heimat durch eine fremde Macht gefühlt haben könnte?
    2) Was ist mit Bienleins Entführung? Da wird ein Intellektueller von (möglicherweise barbarischen) Fremden entführt und verschleppt (pikanterweise in einer schwarzen deutschen Limousine), für ein "Vergehen" das nach dem Rechtsempfinden einer zivilisierten westlichen Gesellschaft nicht mal ein Vergehen ist, sondern bestenfalls eine Bagatelle (und eigentlich ja nicht mal das). Zufall dass das gerade hier passiert (man beacht: Bienleins zweite Entführung im "Fall Bienlein" ist deutlich anders motiviert, und eher aus dem Kalten Krieg heraus zu erklären).
    3) Und schließlich haben wir mit den Inkas das Motiv einer Kultur, die sich trotz Besatzung und Unterdrückung von aussen heimlich ihre eigene Identität, ihre eigenen Werte, erhalten hat, und sogar auf gewisse Weise geheimen Widerstand gegen die Kultur der Besatzer leistet...

    Wie gesagt, versteht mich hier bitte nicht falsch: Das ganze ist natürlich sehr hypothetisch, und mir ist natürlich vollkommen klar, dass die "Kristallkugeln" und der "Sonnentempel" keine Parabel auf die Besatzung Belgiens sind, und ich möchte das auf keinen Fall so verstanden wissen (sonst würde hier am Ende noch ruck zuck ein unhaltbarer Vergleich zwischen den Inkas und der US-Cavalry angestrengt, der hier nichts zu suchen hätte ). Ich möchte nicht mal behaupten, dass Hergé sich bewusst dieser Themen und Motive bedient hat, um einen Kommentar über real Passierendes abzugeben (obwohl... wer weiss?) - aber so ein bisschen frage ich mich schon, ob bei einigen isolierten Passagen der Geschichte nicht doch mehr von Hergés Befindlichkeiten und Ängsten durchschimmert, als man gemeinhin annehmen möchte (die Betonung liegt hier ganz deutlich auf "isolierten", denn wie man meinen drei Beispielen oben entnehmen kann, würden ja sogar die Rollen der "Unterdrückten" und der "Unterdrücker von 1) und 2) zu 3)wechseln, von einer konsistenten Darstellung darf man also auf keinen Fall reden)...


    Oh, meine endgültige Bewertung schaffe ich wahrscheinlich erst übermorgen - aber die Ungeduldigen unter euch können ja gerne schon mal versuchen, die Tendenz meiner Endnote zu erraten...
    Geändert von Matbs (19.03.2006 um 08:28 Uhr)

  15. #115
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    Original geschrieben von Matbs:
    Wie gesagt, madig machen wollte ich gar nix.
    Bitte nochmal nach oben gucken: Smilie !

  16. #116
    Mitglied Avatar von Matbs
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    Bei mir doch auch (zumindest in der Klammer []).

  17. #117
    Mitglied Avatar von Mick Baxter
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    Zitat Zitat von hipgnosis Beitrag anzeigen
    Blöd ist aber schon, daß es diese Puppen in der Voodoo-Religion halt gibt und auch Hergé wird es bei seinen vielen Studien nicht entgangen sein - da bezweifle ich Deine These stark, daß ihm das nicht so bewußt war.
    Taucht Voodoo im öffentlichen Bewußtsein nicht erst mit "I walked with a Zombie" von Jacques Tourneur (USA 1943) auf?

    Zitat Zitat von felix da cat Beitrag anzeigen
    Der Unterschied zwischen dem Tim-Voodoo und der Blake und Mortimer-Gedankenübertragung liegt für mich in der Art, wie die Autoren Glaubwürdigkeit oder zumindest "suspension of disbelief" transportieren bzw. zu transportieren versuchen.
    Die Distanz zwischen beiden Phänomenen ist so groß wie die zwischen SF- und Fantasy-Literatur und der Grund warum ich das erstere hin und wieder recht gerne, das letztere so gut wie nie lese.
    Ich sehe den Unterschied vor allem darin, wie das Übernatürliche bzw. Überwissenschaftliche (im Sinne von: funktioniert eigentlich nicht) eingesetzt wird. Der "McGuffin" kann unglaubwürdig sein, die Auflösung des zentralen Rätsels nicht. Also wenn Bienlein eine Maschine erfindet, mit der Menschen teleportiert werden können, ist das akzeptabel (auch wenn die Wissenschaft die Möglichkeit verneint). Wird bei der Suche nach der Lösung des Rätsels, wie Menschen aus einem verschlossenen Raum verschwinden konnten, diese Maschine aus dem Hut gezaibert, bleibt ein schaler Nachgeschmack.
    Zudem erklären die Puppen nichts. Erstens müßten die Puppen ja Haare oder andere Körperteile der Bestraften enthalten oder ihnen zumindest ähnlich sehen, um einen zielgerichteten Zauber zu bewirken. Zweitens konnte der Inka in Peru nicht wissen, wann er die Nadeln reinstecken muß (1948 waren die Kommunikationswege zwischen Europa und den Anden vergleichsweise langsam). Die Entführer aus dem ersten Teil kommen am Ende des zweiten Teiles nicht mehr vor (soweit ich das beim Überfliegen feststellen kann), da fehlt also die personelle Klammer zwischen den Teilen. Der Armreif wird auch nicht vernünftig erklärt. Wie kommt er ihn den Garten? Wieso trägt ihn der "Attentäter" bei sich? Ist es etwa der Herr im Inka-Schmuck? Dann hätte er den Armreif selber angehabt und müßte eigentlich auch sterben.

    Zitat Zitat von felix da cat Beitrag anzeigen
    Bedenke, dass Bienlein mit dem Tod bestraft werden soll, nur weil er den Armreif des Rascar Capac überstreifte - völlig in Unkenntnis der Tatsache, dass er damit ein Sakrileg begeht.
    Wurde etwa der Plot von "Help" (Richard Lester, 1965, Story Marc Behm) aus Tim und Struppi geklaut?

    Zu Matbs' Ausführungen über Zufall: Hitchcock hat sowas verabscheut. Er war immer ein Anhänger des Vorhersehbaren (suspense). Ich denke aber, in den meisten Funnys findet man man den Zufall, der den Held rettet, öfter aber noch die sich anbahnende Katastrophe noch verschlimmert.

    Zitat Zitat von Kaschi Beitrag anzeigen
    Ah - mein Lieblingsthema jetzt auch hier! Kann es sein, daß wir heute für kolonialimperialistische Inhalte stärker sensibilisiert sind als für den durch etliche Mythen vernebelten Blick auf den amerikanischen Westen? Denn alles das gilt doch (ich sag's ja nur ungerne ) auch für [B]Morris/Goscinny.
    Waren wir uns nicht einig, daß in "Lucky Luke" der Wilde Westen, wie wir ihn aus Hollywood-Filmen kennen, parodiert wird? Und in den Filmen gibt es keinen Genozid, somit auch nichts zu parodieren (wenn das überhaupt möglich ist).
    Geändert von Mick Baxter (18.03.2006 um 04:25 Uhr)

  18. #118
    Mitglied Avatar von Crazy Quokka
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    So ellenlange Ergüsse wie in diesem Thread kann ich leider am Bildschirm nur schlecht lesen. Und bis ich das ganze ausgedruckt zu Ende gelesen habe, ist schon Oktober. Also nur kurz meine laienhaften unsortierten Gedanken, die mir beim Überfliegen des Threads in den Sinn kamen.

    1. Tim und Struppi ähnelt Jules Vernes Werken ungemein, indem versucht wird, alles zu verbraten, was die Welt bunt macht und irgendwie naturwissenschaftlich abgesichert ist oder zumindest naturwissenschaftlich erklärbar sein könnte: Wetterleuchten und Yetis, Weltraumflüge und abstruse Erfindungen, Inkas, Sonnenfinsternis und im Extremfall Außerirdische. Je weiter sich Herge dabei vom Realismus entfernt (Mondflug, Außerirdische) destoweniger sagt mir sein Werk in der Regel zu.

    2. Die Charaktere wurden hier hinreichend und zutreffend beschrieben. Das einzige Thema, das scheinbar recht bewusst gemieden wurde, ist die Sexualität. Natürlich lässt sich schnell sagen: Tim ist asexuell, Sexualität findet in Herges Kosmos nicht statt, denn er hat als Publikum Heranwachsende im Kopf und sein Moralkodex lässt so etwas nicht zu. Doch wie weit ist die Zeichnung der Figuren und ihre Konstellation untereinander von Herges Sexualität geprägt? Frauen tauchen ja nicht nur in der Regel nicht auf, nein, die Castafiore ist ja eine Schreckschraube, wie sie im Buche steht, und wenngleich man natürlich Kiesewetter oder Rastapopulos als wenig schmeichelhaft für die Männerwelt ins Feld führen könnte, finde ich dies schon auffällig. Mich beschleicht beim Lesen immer das Gefühl einer beiderseitig uneingestandenen sexuellen Attraktion zwischen Tim und Haddock. Letzterer lässt Tim bei sich wohnen und beide genießen die Gesellschaft des anderen, obwohl sie charakterlich grundverschieden sind. Tm erscheint fast als Lustknabe, der nicht Junge und nicht Mann ist. Allerdings ist Haddock kein Väterlicher Beschützer, anders als Wiederum Tim gegenüber Chang oder dem Jungen in "Der Sonnentempel".

    3. Mit der Ligne Claire werde ich auch nicht recht warm; sie verströmt manchmal das Fair eines Schulbuchs. Die Zeichnungen sind oft zu steril, um mich in ihren Bann zu ziehen. Deutlicher als bei T&S habe ich dieses Problem bei Yoko Tsuno und Blake und Mortimer, die ich erst als Erwachsener gelesen habe. Beim Lesen bleibt das Gefühl, die Handlung durch eine Plexiglasscheibe wahrzunehmen; es ist mir also nicht möglich "einzutauchen".

    4. Die früheren Abenteuer ohne Haddock langweilen mich eher. Tim ist zu farblos, um eine Identifkiationsfigur zu sein. (Sehr schön wie ich finde ist hier Jens Jeddelohs "Alcolix", in dem Tim nur vor bunten Hintergründen auftreten darf, da er sonst unsichtbar bleibt.) Erst mit "Der Schatz Rackham des Roten" und "Das Geheimnis der Einhorn" erreich die Serie für mich wirklich hohes Niveau. Das Highlight der Serie ist dann für mich auch ganz klar "Die Juwelen der Sängerinnen". In diesem Band entwickelt sich die Geschichte nicht über äußere Phänomene sondern vordringlich aus den Charakteren der Figuren heraus, die lebendiger denn je wirken.

    5. Ratlos lässt mich, warum gerade der Doppelband Kristallkugeln/Sonnentempel so ein Klassiker wurde. Fast selbstverständlich hat ihn die BILD ausgewählt, natürlich wurde er hier als Beispiel gewählt, und auch ich würde diesen Band wahrscheinlich als exemplarischen Band auswählen, doch worin liegt der genaue Reiz gerade dieses Albums? Sicher, er enthält alles, was Tim und Struppi ausmacht. Abenteuer, die bunte große weite Welt, Haddock und Tim als sich perfekt ergänzendes Duo und eine ordentliche Portion naiver leicht von oben daherkommender Humanismus gepaart mit teilweise sehr schönen und beeindruckenden Zeichnungen. Könnte ich so zeichenn, verkaufte ich schon das eine oder andere Körperteil dafür. Aber was macht diesen Doppelband zu DEM Tim und Struppi-Abenteuer?
    Geändert von Crazy Quokka (18.03.2006 um 09:45 Uhr)
    "Ich hasse sie! Ich hasse sie! Ich hasse alle! Einige ganz besonders!" (Lucky Luke Bd. 72, S. 17)

  19. #119
    Mitglied Avatar von Matbs
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    Zitat Zitat von Crazy Quokka Beitrag anzeigen
    Das einzige Thema, das scheinbar recht bewusst gemieden wurde, ist die Sexualität. Natürlich lässt sich schnell sagen: Tim ist asexuell, Sexualität findet in Herges Kosmos nicht statt, denn er hat als Publikum Heranwachsende im Kopf und sein Moralkodex lässt so etwas nicht zu. Doch wie weit ist die Zeichnung der Figuren und ihre Konstellation untereinander von Herges Sexualität geprägt? Frauen tauchen ja nicht nur in der Regel nicht auf, nein, die Castafiore ist ja eine Schreckschraube, wie sie im Buche steht, und wenngleich man natürlich Kiesewetter oder Rastapopulos als wenig schmeichelhaft für die Männerwelt ins Feld führen könnte, finde ich dies schon auffällig. Mich beschleicht beim Lesen immer das Gefühl einer beiderseitig uneingestandenen sexuellen Attraktion zwischen Tim und Haddock. Letzterer lässt Tim bei sich wohnen und beide genießen die Gesellschaft des anderen, obwohl sie charakterlich grundverschieden sind. Tm erscheint fast als Lustknabe, der nicht Junge und nicht Mann ist.
    Ahehehe!


    Also ich hab´ den Begriff "asexuell" gewählt, weil ich ihn für genau zutreffend halte. Die bloße Tatsache, dass es keinen explizitien sexuellen Kontext gibt, bedeutet m.M.n. nämlich überhaupt nicht, dass es stattdessen zwangsläufig einen impliziten sexuellen Subtext geben muss.
    Natürlich kann man den mit ein bisschen Freud trotzdem reininterpretieren, aber nicht aufgrund der Tatsache, dass T&S so einem Subtext in irgendeiner Weise zuträglich wären, sondern allein deshalb, weil man, wenn man das wirklich will, einen solchen Subtext in praktisch jeder Geschichte verorten kann (Harry und Platte eine Schwulen-WG. Anatol und Minimom Ausdruck von Macherots unterdrückten sodomistischen Neigungen. Die offensichtliche phallische Symbolik in "Die kleine Raupe Nimmersatt, inkl. eines Penetrationsmotivs) - das liegt also wenn überhaupt an der Art des Subtextes. Bloss weil was überall drauf passt, muss es nicht überall richtig sein...

    Manchmal ist eine Zigarre einfach nur eine Zigarre.
    Hier zum Beispiel .
    (zumindest nach meinem Dafürhalten. Aber wenn du das trotzdem anders sehen magst, ist mir das auch recht, ausdiskutieren will ich das jetzt nicht, dazu finde ich die These etwas zu "far out"...)
    Geändert von Matbs (18.03.2006 um 10:47 Uhr)

  20. #120
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    Klar könnte man das auch bei Asterix und OBelix, bei Harry und Platte, bei Spirou und Fantasio, bei Holmes und Watson und bei Lucky Luke und Jolly Jumper vermuten. Aber gerade bei dieser Serie ploppt es mir immer wieder ins Bewusstsein. Ich glaube aber auch nicht, dass Hergé so etwas beabsichtigt hat.
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  21. #121
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    Zitat Zitat von Mick Baxter Beitrag anzeigen
    Waren wir uns nicht einig, daß in "Lucky Luke" der Wilde Westen, wie wir ihn aus Hollywood-Filmen kennen, parodiert wird? Und in den Filmen gibt es keinen Genozid, somit auch nichts zu parodieren (wenn das überhaupt möglich ist).
    Die Diskussion ging über die Parodie von Hollywoodfilmen hinaus.
    http://www.comicforum.de/showthread.php?t=77931

  22. #122
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    Original geschrieben von Mick Baxter:
    Also wenn Bienlein eine Maschine erfindet, mit der Menschen teleportiert werden können, ist das akzeptabel (auch wenn die Wissenschaft die Möglichkeit verneint). Wird bei der Suche nach der Lösung des Rätsels, wie Menschen aus einem verschlossenen Raum verschwinden konnten, diese Maschine aus dem Hut gezaibert, bleibt ein schaler Nachgeschmack.
    Jepp.

    Hängt auch alles von der Erwartungshaltung gegenüber dem Lesestoff ab.

    Original geschrieben von Matbs:
    Also ich hab´ den Begriff "asexuell" gewählt, weil ich ihn für genau zutreffend halte. Die bloße Tatsache, dass es keinen explizitien sexuellen Kontext gibt, bedeutet m.M.n. nämlich überhaupt nicht, dass es stattdessen zwangsläufig einen impliziten sexuellen Subtext geben muss.
    Schön geschrieben !
    Ist aber leider Trend, sich Serien ohne explizite sexuelle Aussage nach eigenem Gusto zurecht zu interpretieren.

  23. #123
    Verstorben Avatar von hipgnosis
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    Bitte nur keine Sexualdebatte über Tim & Struppi.

    Und Kapitän Haddock in Verbindung mit Tim irgendeine Zuneigung zuzusprechen, die auch nur etwas anderes als freundschaftliches und abenteuerlustiges Credo beinhaltet, halte ich für völlig absurd!

    Da scheint dann doch der reine Interpretationswille - Vater des Gedanken - zu sein @Crazy Quokka

    Zitat Zitat von @Crazy Quokka
    Letzterer lässt Tim bei sich wohnen und beide genießen die Gesellschaft des anderen, obwohl sie charakterlich grundverschieden sind.
    Gerade diese grundverschiedenen Charaktere sind massgeblich für das Funktionieren der Tim + Struppi Abenteuer vonnöten. Stell´ Dir vor wie eintönig es wäre, Hergé hätte Tim einen gleichen und vielleicht noch gleichalten Mitstreiter zur Seite gestellt - müsste die Serie dann Tim + Tom heissen?

    Sorry, nicht böse sein - aber bitte nichts pädophiles hineininterpretieren - ich kann nicht mehr!

    Geändert von hipgnosis (19.03.2006 um 18:11 Uhr)

  24. #124
    Verstorben Avatar von hipgnosis
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    Heissa - eigentlich wollte ich noch ein Schlußfazit setzen, aber der Gedanke wie Tim + Haddock gerade fröhlich im Adamskostüm über eine Blumenwiese schwingen , während Struppi vergnügt nach Schmetterlingen springt , lässt mich gerade nicht los!

    So ich fange mich mal wieder ein.

    Der Zyklus verbindet doch auf sehr klassische Weise das Abenteuergenre mit einer Detektivgeschichte mystischen Hintergrundes. Dazu noch die nötige Portion Humor und herauskommt ein Zweiteiler, der alle Elemente beinhaltet um dem Leser oder auch dem Filmfan zu gefallen. Möge das ein Grund dafür sein, daß diese Geschichte hoch im Kurs der Kritiker steht und daher auch als optimale Basis einer Verfilmung diente.

    Ich möchte mich meiner Benotung im Grunde @felix Einschätzung anschließen, tendiere zwischen 7,8-8/10 für beide Alben.

    Ursache für die kleine Differenz ist die Tatsache, daß ich nach dem ersten Lesen den Sonnentempel etwas favourisierte, nach längerer Betrachtung und Ausarbeitung dieses Threads, aber auch immer mehr Gefallen den sieben Kristallkugeln entgegenbringe.

    Zuerst fand ich die Dynamik des Sonnentempels etwas ansprechender - nun lerne ich doch mehr und mehr den einfühlsamen Aufbau der Kristallkugeln schätzen.

    Alles in Allem ein wirklich ansprechendes Abenteuer das mich als Leser doch einige Zeit unterhalten konnte, ohne mich allerdings richtig zu fesseln.
    Dafür sind mir die Zeichnungen dann doch etwas zu einfach in Hergé´s klarem Strich und der Plot ist zwar sehr stimmig, aber eben auch etwas konstruiert.

    Allerdings ist es immer wieder toll diese Klassiker der Comic-Literatur in Ihrem zeitlichen Kontext zu verstehen und die Entwicklung des Genres bis zur heutigen Zeit zu erleben.

  25. #125
    Mitglied Avatar von Matbs
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    Na gut, fazitieren wir mal.

    T&S sind für mich "Top of the Crop". Im Bereich "Frankobelgier", im übergeordneten Bereich "Comics" und eigentlich sogar im noch allgemeineren Bereich "Geschichten". Das mag zum Teil daran liegen, dass sie mich über ca. 25 meiner 28 Lebensjahre begleitet haben und ich somit eine gewisse emotionale Bindung und damit auch Voreingenommenheit mitbringe. Aber da hört´s ja gottseidank nicht auf (zumindest glaube ich das): Ungeachtet des Nostalgiefaktors ist es mir immer wieder gelungen, T&S neu für mich zu entdecken und mich auf verschiedenen Arten an ihren Abenteuern zu freuen. Gerade in den letzten zwei Wochen habe ich versucht, intensiv über die Serie nachzudenken und sie auch so ein bisschen auseinanderzunehmen, um rauszufinden wie sie "tickt". Und wisst ihr was? Auch der Blick hinter die Kulissen hat mir den Spass nicht verdorben, sondern ihn eigentlich nur noch vergrössert. Aus T&S lässt sich unglaublich viel "rausholen", es gibt unglaublich viele Aspekte, Motive und Eigenheiten der Serie (sowohl inhaltlich als auch formal), die es Wert sind, diskutiert zu werden (in der Tat sähe ich da noch eine ganze Menge weiterer interessanter Punkte, die man noch anschneiden könnte - mal ganz zu Schweigen von dem Potentiel der ganz großen Alben, wie "Tim in Tibet" oder auch "Die Juwelen der Sängerin"). Auch wenn die Abenteuer von Tim und co. auf den ersten Blick vielleicht nur als "ganz normale Abenteuergeschichten" (falls es so was denn überhaupt gibt) erscheinen, verbirgt sich in ihnen (zumindest für mein Empfinden) eine überraschende literarische Tiefe, die m.M.n. deutlich über die praktisch aller anderer vergleichbarer Serien hinausgeht, und die vielleicht auch mit erklären kann, warum gerade T&S ein so zeitloses und internationales Phänomen sind.

    Für mich ist die Serie sowohl zeichnerisch als auch erzählerisch äusserst durchdacht, und, was noch viel wichtiger ist, meisterhaft umgesetzt. Graphisch beeindruckt mich Hergés unglaublich effektiver Zeichenstil immer wieder, ohne dass er mir dabei "klinisch", "langweilig" oder "hölzern" vorkäme; Hergé ist einfach so gut (m.M.n., ich sach´s lieber noch mal dazu), dass er potentiellen Gefahren der Ligne Claire mit meisterhafter Souveränität umschifft. Und was die erzählerische Qualität seiner Arbeit angeht - vielleicht mag ja einfach die Tatsache, wie natürlich die meisten Leser selbst die wildesten Zufälle zu akzeptieren scheinen, als ein kleines Indiz der Meisterschaft des Erzählers herhalten.

    Bleibt noch die Grundstimmung: Ich liebe Tims Welt, eben weil sie auf so viele Arten groß und geheimnisvoll ist, und gleichzeitig doch so ein bisschen unserer gleicht - doch wo unsere Welt immer kontrollierter, überschaubarer und weniger geheimnisvoll wird ("Die Welt wird immer kleiner", wie irgendein Softwareunternehmen [Microsoft? IBM?] mit widerlicher Selbstgefälligkeit vor einigen Jahren mal in einem Werbespot verkündet hat - als ob das was Gutes wäre!), bietet Tims Kosmos mit seiner Akzeptanz des Möglichen und nicht des Wahrscheinlichen, praktisch unendlichen Raum für Abenteuer, Mysterien, und die Phantasie. Ich selbst reise unheimlich gerne, und hab´s dabei auch immer gern schwierig und dreckig und unbequem, solange ich nur was Neues entdecken kann - und genau dasselbe Glücksgefühl, dass mich bei diesen Entdeckungen, und den damit verbundenen kleinen Abenteuern verspüre (so extreme Sachen wie Tim hab´ ich bisher noch nicht erlebt. Vielleicht ist das ja auch ganz gut so...), kriege ich auch immer ein bisschen, wenn ich T&S lese - und das ist mir viel wert!


    Also, was bleibt am Ende?
    - Ich mag die Zeichnungen. Sehr.
    - Ich mag das Setting. Sehr.
    - Ich mag die Geschichte. Sehr.
    - Ich mag den Humor. Ziemlich.
    - Ich mag die Grundstimmung. Sehr.
    - Ich mag mein Gefühl persönlicher Nostalgie. Sehr
    - Ich mag es, dass ich jenseits dieses Gefühls in der Lage bin, die Serie auf ganz vielen Ebenen zu geniessen.
    - Ich mag die allgemeine Nostalgie, die eine Art idealisiert-zeitlose Jahrhundertmitte zeigt.
    - Eigentlich mag ich alles. Sehr.

    Tim und Struppi ist eine Serie, die bei mir per Default im Einserbereich landet (entsprechend auch meinen allgemeinen Ausführungen oben, die die letztendliche Ausprägung der Endnote für die beiden besprochenen Alben von vornherein schon im oberen Bereich der Tabelle verortet).
    Allerdings gibt es zwischen den einzelnen Abenteuern natürlich noch kleine Unterschiede - die "Kristallkugeln" und der "Sonnentempel" sind zwar gut, aber es gibt noch ein paar Alben, die ich obendrüber ansiedeln würde. Entsprechend vergebe ich für beide
    9/10 möglichen Punkten (oder, wenn ich hipgnosis Dezimalpunktetabelle verwenden würde, so ca. 9,4/10 für beide).
    Geändert von Matbs (19.03.2006 um 18:33 Uhr)

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