036: Harte Schule
Im November 1959 wird das Thema Fliegerei vertieft. Immerhin bekamen die Digedags im vorhergehenden Heft ein Sportflugzeug geschenkt. Nun heißt es: lernen - und den Pilotenschein machen!
Flugschein und DDR, da kommt so mancher ins Grübeln. Wie funktionierte das?
Am 25. April 1950 erfolgte in der ehemaligen DDR der erste Nachkriegsstart mit einem Segelflugzeug. Unter Leitung der FDJ begann ein schrittweiser Aufbau des Flugsports. (In der Bundesrepublik Deutschland mußten sich die Flugsportler etwas länger gedulden, ab 19. Juni 1951 durfte dort mit Genehmigung der Alliierten geflogen werden.)
Mit den 1950 in der Jugendorganisation entstandenen Interessengemeinschaften für Motorsport, Segelflug, Schießen, Reiten, Fechten u. a. gab es bereits Voraussetzungen für eine neue Organisation, die Gesellschaft für Sport und Technik (GST), weshalb der FDJ auch in der DDR-Geschichtsschreibung die Vaterschaft zugeschrieben wurde. Sie hatte zwar Ende Mai auf ihrem IV. Parlament in Leipzig den Vorschlag zur Schaffung der neuen Massenorganisation unterbreitet; doch da waren in der SED-Führung längst die entsprechenden Weichen gestellt und Beschlüsse gefaßt. Diese mündeten schließlich in der Regierungsverordnung vom 7. August 1952 über die Bildung der GST, die noch im selben Jahr 350 000 Mitglieder vereinte. Als wichtigste Aufgabe wurde im Statut der neuen Organisation festgeschrieben, »die breitesten Schichten der Bevölkerung und der Jugend in ihren Reihen zu vereinigen mit dem Ziel, den Interessen des deutschen Volkes zu dienen ... (und) die Regierung der DDR bei der Organisierung der bewaffneten Verteidigung der Heimat und des sozialistischen Aufbaus zu unterstützen.« Als Schwerpunkte wurden »die Entwicklung des Segel- und Motorflugsports, des Motor- und Wasserfahrsports, des Schieß- und Geländesports sowie des Amateurfunkens zum Massensport« genannt. Diese Wehrsportarten - später folgten weitere, andere wurden ausgegliedert - standen jedem Jugendlichen und Erwachsenen offen, wenn auch vom ersten Tage an gern gesehen war (und entsprechend gefördert wurde), daß die hier erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten später in den Dienst der sozialistischen Landesverteidigung gestellt wurden, sei es als Berufssoldat, Soldat auf Zeit oder - nach 1962 - als Wehrpflichtiger.
Auch wenn die GST vor allem in den 70er und mehr noch in den 80er Jahren mehr und mehr als »Schule des Soldaten von morgen« zum Instrument der unmittelbaren Vorbereitung auf den Wehrdienst wurde - das betraf zum Beispiel 1985/86 rund 100 000 angehende Mot.-Schützen, Militärkraftfahrer und Nachrichtenspezialisten sowie Matrosen bzw. Flugzeugführer -, so sollte nicht übersehen werden, daß ein erheblicher Teil ihrer mehr als 600 000 Mitglieder in den 80er Jahren durchaus freiwillig in den genannten Wehrsportarten bis hin zum Modellbau aktiv war. Zeugnis der Anziehungskraft des GST-Angebots für sport- und technikbegeisterte Freizeitsportler waren nicht zuletzt auch die internationalen Erfolge von Sportschützen und Fallschirmsportlern, Segel- oder Motorfliegern, Orientierungstauchern oder Modellbauern, die wiederholt Olympia-, WM- oder EM-Medaillen mit nach Hause brachten.
Mit dem Rücktritt des Zentralvorstandes am 27. Januar 1990 endete ihre Geschichte. Ausbildungsstützpunkte wurden geschlossen oder privatisiert.
Flugplätze und ihre Ausbildungseinrichtungen in Grenz- und Berlinnähe hatten es nach 1961 schwerer, und 1979 verschärften sich die Flugbestimmungen weiter. Es wurden neue Sicherheitsbestimmungen für den Flugsport erlassen. Grund dafür war, daß sich immer mehr Flieger mit ihren Maschinen in Richtung Westen absetzten. Die Folge war, daß 50 Prozent aller Flugplätze geschlossen wurden.
Als Vorbild für die "Harte Schule" der Digedags könnte durchaus die Flugschule in Schönhagen, 40 km südlich vom Berliner Zentrum entfernt, gedient haben. Hier finden wir sogar einen der wenigen Flugplätze und -schulen, die auch diese Zeit durch- und überlebt haben und auch heute noch von großer Bedeutung sind.
Tonio Turbo mag ja ein ausgezeichneter Testpilot sein, als Pädagoge macht er keinen allzu tiefen Eindruck, zumindest nicht auf Dag. Diesem kommt die Rolle eines arroganten sowie aufsässigen Besserwissers zu, dem in Wirklichkeit weit mehr als das notwendige Fachwissen fehlt. Daraus ergibt sich ein im Mosaik einzigartiger Konflikt zwischen den beiden sonst so unzertrennlichen Kobolden. Zieht man das beinahe letzte Cover des Mosaiks von Hannes Hegen in Betracht, so ist nicht ausgeschlossen, daß der Streit zwischen Dig, Dag und Tonio Turbo auch die gespannte Situation zwischen Verlag, Redaktion und Künstlern widerspiegelt. Wir werden beim nächsten Heft bestimmt noch einmal auf dieses Thema kommen.
Doch bleiben wir noch einen Augenblick bei den jungen Fliegern. Heini, ein von den anderen Jungen gern gehänselter Flugschüler, wird gerne mit dem glücklosen Bruchpiloten Quax verglichen (Ufa-Film mit Heinz Rühmann, 1941). Dabei macht Heini, ganz wie Heinz Rühmann im tatsächlichen Leben, auf der Maschine eine sehr gute Figur. Heini fliegt tapfer einen Rettungseinsatz (ohne Bruchlandung), Heinz trägt als Kurierflieger eine echte Luftwaffenkombination mit Feldwebelrangabzeichen. Die "dunklere Seite" des Quax wird nicht von Heini, sondern von Dag repräsentiert. Ähnlich den Digedags hat Quax zwar nicht gleich ein Flugzeug, aber immerhin die Ausbildung zum Sportflieger gewonnen. Schon am ersten Tag macht er sich durch seine Angeberei und Disziplinlosigkeit völlig unbeliebt ... Wie im Mosaik wird Quax mit der Zeit ein disziplinierter und tüchtiger Flugkapitän. Bei Dag steckt allerdings keine Frau hinter dem Sinneswandel! Ihm hilft ein Katastropheneinsatz, der ehrliche Wille, ohne Rücksicht auf Besitz und eigenes Wohlergehen, anderen Menschen und dem Freund "Heini" zu helfen, um auf dem Boden der Realität zurückzukommen.
Hochwasser und Überschwemmung hat in unserem Comic also mal etwas Heilendes - die Betroffenen können gerettet werden. Das schließt nicht aus, daß beim Betrachten der Bilder die schrecklichen Auswirkungen des Tsunamis vom 26.12.2004 in Südostasien in Erinnerung gerufen werden. In den 50er Jahren - so auch 1959 - wurden vielerorts Maßnahmen gegen die Gefahr von Hochwasser und Überschwemmung eingeleitet, wozu auch Dämme und Talsperren gehörten. Erst 1958 führte Elbe und Mulde gefährliches Hochwasser. Dresden, Freiberg, Demitz-Thumitz oder Grimmen erinnern in den jenen Augusttagen etwas an die nördliche Mosaiktiefebene einschließlich der zerstörten Schienenwege. Auch im Osterzgebirge, im Einzugsgebiet der Müglitz, treten alle 30 Jahre extreme Hochwasser auf. Dort war es 1957 zu Höchstständen gekommen. Vergleichsbilder aus den Jahren 1927 und 2002 zeigen, gleich denen im Mosaik, die von den Wassergewalten zerstörten Bahnanlagen.
Schließlich stellt sich in diesem Heft ein neuer Begleiter der Digedags, der von sich behauptet sehr klug zu sein, vor. LEXI(kon) nennt sich das Bürschlein. Um ehrlich zu sein, ich konnte auch ohne diese Pappnase ganz gut erkennen, auf welchen Seiten die gezielte Wissensvermittlung abläuft.
Beilage zum Heft 36, "Freitag der Dreizehnte": Wem ist noch nie etwas schief gegangen - an einem Freitag , dem 13.? Zufall? Daran kann zumindest Onkel Theo nicht glauben. Wie anders wäre es auch erklärlich, daß der Kalenderblock ausgerechnet am Freitag, dem 13. November 1959, von der Wand fällt? Und warum sollte der Nagel wohl rein zufällig mit der spitzen Seite nach oben genau an die Stelle fallen, die Theodor mit dem ersten Schritt aus dem Bett betritt? Zufall, daß er vor Schmerz brüllend den Tisch umwirft und dabei die Vase zertrümmert? Ja, vielleicht. Es ist nämlich auch gut möglich, daß es an der Spinne liegt, als er sich mit dem Hammer auf den Daumen prügelt. Schließlich bringt Spinne am Morgen Kummer und Sorgen. Die Richtigkeit dieser Weisheit kann Frau Meier bestätigen, nachdem Theo diese umrennt, weil er nur auf seinen verbrühten Daumen, den er eigentlich kühlen wollte, achtet. Aber immerhin, die schöne dicke Daumenbinde wird ihm im Büro des statistischen Amtes für Statistik davor bewahren, sich die Finger zu beschmutzen. Doch vorher läßt er sich noch von "Schwarze Katze" erschrecken und fällt vom Motorroller. Da haben zumindest Klaus und Hein etwas zu lachen, die zufällig gerade ihre Pionierhalstücher in Richtung Schule bewegen. Angekommen im Büro, muß Theodor nur noch die Berichte für den Abteilungsleiter mit Tintenflecken verderben, sogleich erkennen wir auch in der Beilage eine leicht gereizte Stimmung. Auf dem Heimweg, wie sollte es anders sein, trifft er Klaus und Hein und braucht somit, zu Hause angekommen, für den Spott nicht zu sorgen. Belustigt klären sie Onkel Theo auf: Nicht Freitag der 13. war schuld, sondern er selbst, als er den Kalender, 11 Monate zuvor, nicht sachgemäß an der Wand befestigte. Doch ob es Theodor aber-glaubt, weiß nur Lothar Dräger.
Was im April 1959 sonst noch so passierte:
Weitere Berliner Schlagzeilen des Monats:
- Der Bundesausschuß der Deutschen Partei lehnt am 3. November eine Fusion mit anderen politischen Gruppen ab, da die Deutsche Partei als »einzige konservative Partei der Bundesrepublik« ihren eigenen Weg gehen müsse, wenn sie dem Auftrag ihrer Wähler und Anhänger gerecht werden wolle. Eine Fusion war der DP von der CDU anläßlich von Besprechungen über eine eventuelle Wahlkoalition für die nächsten Bundestagswahlen nahegelegt worden.
- Der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Heinrich von Brentano, gibt im Bundestag eine Regierungserklärung zur Außenpolitik ab und erklärt u.a., daß sich in der Frage der Oder-Neiße-Linie der Standpunkt der Bundesregierung nicht geändert habe. In voller Übereinstimmung mit dem erklärten Willen des ganzen deutschen Volkes habe sie immer wieder darauf hingewiesen, daß das deutsche Reich in seinen Grenzen von 1937 fortbesteht und daß einseitige Entscheidungen, die in den Jahren nach dem völligen Zusammenbruch getroffen wurden, vom deutschen Volk nicht anerkannt werden.
- Sowjetrussische Protestnote an die drei Westmächte gegen die geplante Errichtung eines Rundfunksenders ("Deutschlandfunk") in Westberlin.
- TASS-Erklärung kritisiert Äußerungen Adenauers zur Westberlin-Frage und stellt fest, daß der Friedensvertrag mit Deutschland eine kardinale Frage auf der Gipfelkonferenz bilden werde.
- Außerordentlicher Parteitag der SPD verabschiedet Grundsatzprogramm. Das so genannte Godesberger Programm wird das Parteiprogramm der SPD von 1959 bis 1989 sein. Es wird am 15. November 1959 von einem SPD-Parteitag in Bad Godesberg (heute Teil von Bonn) verabschiedet. Es vollzieht auch programmatisch den praktisch längst vollzogenen Wandel der SPD von einer marxistischen Arbeiterpartei hin zu einer pragmatischen Volkspartei. Es hat in seinen Grundzügen bis heute Gültigkeit. Vorgänger des Programms war seit 1925 das "Heidelberger Programm", das bereits 1946 durch die politischen Grundsätze der SPD abgeschwächt wurde. Das "Godesberger Programm" wird 1989 durch das "Berliner Programm" abgelöst.
- Das Bundesministerium für Wirtschaft gibt laut Bulletin bekannt: »Am 24. November 1959 ist in Berlin auf der Grundlage des Berliner Interzonenhandelsabkommens vom 20. September 1951 eine Interzonenhandelsvereinbarung für das Jahr 1960 unterzeichnet worden. Sie enthält die Warenlisten für das Jahr 1960 und sieht im Waren- und Dienstleistungsverkehr über die verschiedenen Verrechnungskonten einen Umsatz von ca. 2,3 Mrd. VE vor.«
- Protestnote der Bundesregierung wegen Aufbringung eines deutschen Frachtdampfers durch französische Marinebehörden. Diese vermuteten Waffen für die algerischen Aufständischen. Es handelte sich jedoch nur um Sturmlampen und Jagdmunition. Ein Sprecher des französischen Außenministeriums gibt am 24. November zu, daß die französischen Behörden in der Ladung der Bilbao nichts Verdächtiges gefunden hätten. Dies schließe aber nicht aus, daß es andere Schiffe gäbe, die Kriegsmaterial für die Aufständischen in Algerien beförderten. Deutschland fordert Schadenersatz, der Konflikt wird diplomatisch beigelegt.
- Die Ostberliner Müllabfuhr mustert die letzten Pferde aus und übergibt sie als »Ehrenpensionäre« dem Tierpark.
- Durch einen KO-Sieg in der ersten Runde verteidigt der Berliner Gustav (»Bubi«) Scholz seinen Titel als Europameister und Deutscher Meister im Mittelgewicht der Berufsboxer gegen den Kölner Peter Müller.
- Der Forscher Manfred von Ardenne gibt seinen Institutskomplex in Berlin-Lichterfelde West auf und übernimmt in Dresden (Weißer Hirsch) die Leitung eines neuen Instituts.
- In der vollbesetzten Werner-Seelenbinder-Halle (Fritz-Riedel-Straße, Prenzlauer Berg) schlägt die DDR-Eishockey-Nationalmannschaft in ihrem 75. Länderspiel Norwegen mit 3:1.
- Zum ersten Mal ist die Figur »Sandmännchen« im Ostberliner Fernsehfunk zu sehen.
- Der Weihnachtsmarkt auf dem Ostberliner Marx-Engels-Platz (Schloßplatz, Mitte) wird in diesem Jahr als ausgesprochener »Kinderweihnachtsmarkt« eröffnet.
- Die Stadtverordnetenversammlung beschließt den »Siebenjahrplan 1959 bis 1965 der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin«.
In den nächsten Tagen ist Disziplin und Lernen angesagt. Oder pfeifen wir etwas auf die "Harte Schule" und nehmen alles so lässig wie Dag? Zank und Streit ist bei diesem Heft mal ausdrücklich erlaubt, aber nur, wenn sich am Ende alle wieder vertragen.
Orlandos Rumpelkammer zeigt, wie man das Heft humorvoll betrachten kann - und im Archiv von Tangentus wird der Inhalt wie immer auf den Punkt gebracht.
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