Die reichsten Schätze des Orients haben nichts mit Gold und Geschmeide zu tun…



Titel: Habibi

Verlag: Reprodukt (US: Doot Doot, LLC / Pantheon Books)

Format: 672 Seiten im Hardcover (17x24cm) s/w

Inhalt: Habibi

Autoren: Craig Thompson

Zeichner: Craig Thompson

Klappentext bzw. Angaben des Verlags:
Vor einer fantastischen, aber trügerischen Märchenkulisse aus orientalischen Wüstenlandschaften, märchenhaften Harems und der allgegenwärtigen Kluft zwischen „Erster“ und „Dritter Welt“, erzählt „Habibi“ die bewegende Geschichte von Dodola und Zam. Die beiden Sklavenkindern führt der Zufall zusammen, das Schicksal trennt sie immer wieder, ihre tiefe Liebe zueinander aber überdauert allen Widrigkeiten zum Trotz .

Vielschichtig, mitreißend und in Bildern von opulenter Pracht ist „Habibi“ eine ungewöhnliche epische Liebesgeschichte, eine gezeichnete Reflektion über das gemeinsame Erbe von Islam und Christentum und eine Hommage an die Magie des Geschichtenerzählens.

Sechs Jahre nach dem international erfolgreichen und vielfach preisgekrönten „Blankets“ legt Craig Thompson endlich sein mit Spannung erwartetes neues Buch „Habibi“ vor – ein modernes Märchen aus „Tausendundeiner Nacht“.

„Die Lektüre gleicht stellenweise einem halluzinatorischen Trip, der einen in Räume und Zeiten entführt, die man sich niemals hätte träumen lassen.“ – Thomas von Steinaecker, Die Welt

„Ein Trip aus Ziffern und Buchstaben, die sich um Gesichter, Gestalten und Landschaften ranken.“ – Tobias Rüther, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

„Die gewiss fesselndste Comicerzählung des Jahres.“ – Georg Howahl, Westdeutsche Allgemeine Zeitung

„Eine Virtuosität und Meisterschaft, die schier atemberaubend ist.“ – Christian Möller, WDR5

„Auf dem besten Weg ein Klassiker von morgen zu werden.“ – Sven Waskönig, arte Journal

„Craig Thompson beweist seine vollkommenen zeichnerischen Fähigkeiten.“ – Thomas Hummitzsch, tagesspiegel.de

“Übergorgeous Work of Art. Nichts anderes als ein Meisterwerk.” – René Walter, nerdcore.de



Just my 2 cents:
Habibi – Ein Wort welches meiner Frau und mir im Jahr 2012 zum ersten mal begegnet ist. Zu der Zeit unternahmen wir unsere erste größere gemeinsame Reise und es ging in den Orient. Die Geheimnisse der Pharaonen faszinierten uns beide schon lange und so war es nur logisch, dass wir die Pyramiden und Tempel Ägyptens erkunden würden. Als kleines Goodie gab es zum Abschluss dann noch ein paar Tage am roten Meer und so verliebten wir uns in das Reisen und in den Orient zugleich, war es doch für meine Frau die erste Flugreise überhaupt! Jetzt aber zu Habibi, einem Begriff mit dem mein Schatz bei den häufigen Verhandlungen auf dem ein oder anderen Markt von den Männern betitelt wurde. Da wurde ich natürlich neugierig und wir erkundigten uns bei unserem Reiseführer namens Aladin (ernsthaft!), der uns während der Nilkreuzfahrt zur Seite stand nach der Bedeutung. Da hatte ich meine Frau ja schon richtig betitelt, denn das Wort bedeutet soviel wie meine Liebe, mein Geliebter, oder umgangssprachlich einfach mein Schatz. Allerdings hatten wir das akustisch nicht ganz richtig verstanden, denn meine Frau wurde wohl „Habibti“ genannt, was die weibliche Form des Begriffs darstellt, „Habibi“ ist die maskuline Form, sagt also die Frau zum Mann. Seit diesem September 2012 benutzen wir das Wort zu Hause sehr häufig, beinahe täglich, und so war ich direkt hin und weg, als mir dieser Comic hier im Forum zur Einstimmung auf unsere nächste Orient-Reise empfohlen wurde.

Als eine Dürre ihre Eltern an den Rand des Ruins treibt wird die neunjährige Dodola an einen wohlhabenden Schreiber verkauft und zwangsverheiratet, denn schließlich ist ein Mädchen mit neun Jahren alt genug um alle, ja, wirklich alle Pflichten einer Ehefrau zu erfüllen. Trotz aller Widrigkeiten hatte es den Vorteil dass Dodola bei ihrem neuen Gatten Lesen und Schreiben lernen durfte, den Koran, die Geschichten aus 1001 Nacht sowie die Werke vieler bedeutender Dichter studieren konnte. Doch nichts währt ewig, und so wird sie ihrem Manne nur drei Jahre später geraubt und ihm die Kehle durchgeschnitten. Als Sklavin gebrandmarkt und mit anderen Mädchen an den Haaren zusammengeknotet fristet sie fortan ein trauriges Dasein.

So geht das eine Weile, bis die bösartigen Sklavenhändler drauf und dran sind ein einen dreijährigen, farbigen Jungen dahin zu schlachten, weil er offensichtlich eine Waise ist und sich niemand um ihn kümmern will. Da gibt sich die schlaue Dodola als die Schwester des Knaben aus und darf sich von nun an um ihn kümmern. Nur kurz darauf gelingt den beiden auf abenteuerliche Weise die Flucht und sie entkommen ihren Häschern tief in die Wüste. Dort finden sie ein verlassenes Schiff, in dem die beiden zusammenleben, heranwachsen und versuchen über die Runden zu kommen. Der kleine Zam hat die besondere Gabe Wasser zu finden und Dodolas Körper erlaubt es ihr von vorbeiziehenden Karawanen Nahrung gegen Liebesdienste einzutauschen. Eine sich schnell verbreitende Legende über eine wunderschöne Wüstenhexe, die reisende verflucht, sollten sie nicht zu ihren Bedingungen verhandeln sorgt dafür, dass sie auch immer den gerechten Lohn für ihre Dienste erhält. Ach könnte es doch nur ewig so bleiben, nur die beiden in inniger Liebe wie zwischen Bruder Schwester, oder gar wie zwischen Mutter und Kind. Doch wie gesagt, nichts währt ewig und der nächste Schicksalsschlag wird die beiden für einen lange Zeit trennen. Die beiden verwandten Seelen, Dodola und Zam, die Wüstenhexe und ihr – Habibi.



Was für ein wundervoll mitreißendes und einfühlsames Werk! Was Craig Thompson hier geschaffen hat regt zum mitdenken an, zum mitleiden, mitfreuen, mitfiebern und schafft es sogar, dass ich eigene, bislang als Wahrheiten verfestigte Annahmen überdenke und in Frage stelle. Ganz großes Kino. Was mich neben der fesselnden und in weiten Teilen sehr tragischen Story am meisten begeistert hat ist nicht das wunderschön anzuschauende, enorm stimmungsvolle und aufwändige Artwork, sondern die tollen Metaphern und Gleichnisse, die zwischen Koran (Qur’an) und Bibel gezogen werden. Überdeutlich wird dem Leser vor Augen geführt, dass die Ansichten und Grundideen beider Weltreligionen so dicht beieinander liegen wie Dodola und Zam, wenn sie des Nachts nach einem bösen Traum miteinander kuschelnd wieder einschlafen. Den Koran habe ich selbst bislang noch nicht gelesen, die Bibel habe ich mir vor vielen Jahren tatsächlich mal komplett zu Gemüte geführt, aber allein die Auszüge, die hier gebracht werden haben mich schon fasziniert. Dazu gesellen sich viele Zitate von weisen Männern und großen Mystikern, wie beispielsweise Dschallaludin Rumi, dessen Leben und Weisheiten ich faszinierend finde, seit wir bei unserer Reise durch die Türkei den von ihm gegründeten Derwisch-Orden und sein Grab besuchten.

Neben all den religiösen und zwischenmenschlichen Themen, die auch gerne mal schwierig sein dürfen und von erster Liebe über Geschwisterliebe, Schamgefühle, coming of Age, Vergewaltigung, Zwangsehen, Mädchenhandel, Prostitution und Eunuchentum nahezu die komplette Bandbreite des Möglichen bieten, werden auch die großen Umwelt- und Gesellschaftsthemen der heutigen Zeit angeschnitten. Wie gehen wir mit unserer Erde um, welchen Stellenwert hat das Trinkwasser, wie wirkt sich das Bevölkerungswachstum auf Wohnraum und Armenviertel aus und so weiter. Doch immer wieder führt uns Mr. Thompson auch wieder zurück zu uns selbst und stellt die philosophischen Fragen, die jeden Menschen bewegen. Was ist Glück? Was brauche ich selbst um glücklich zu sein? Wie kann ich Glück für mich selbst und die Menschen, die mir wichtig sind erlangen, oder ist meine Chance wahres Glück zu finden im Geben viel größer, als im Gewinnen und Bekommen?



Ihr merkt, die Bandbreite an Themen, die Craig Thompson in diesem annähernd 700-Seitigen Werk angeht ist immens, und dennoch verliert er sich und seinen Stil nie aus den Augen. Ja, so mancher Übergang zwischen den einzelnen Abschnitten ist ihm wohl besser gelungen als ein Anderer, aber das ist wirklich mosern auf allerhöchstem Niveau. Schon alleine wie er die Religiösen und Philosophischen Welten miteinander verknüpft ist ein wahres Kunststück. Der streng christlich erzogene Thompson hatte es in seiner Kindheit wohl nicht ganz leicht, was er wohl in seinem Erstlingswerk Blankets eindrucksvoll aufgezeigt hat. Das muss ich auch irgendwann mal lesen. Wie er seine Kenntnisse des Islam und des Koran erlangt hat weiß ich nicht, ich meine aber mal irgendwo gehört zu haben, dass seine Ehefrau aus diesem Kulturkreis kommt. Das kann ich aber nicht mit Gewissheit sagen und finde dazu online auch gerade auf die Schnelle nichts. Ist ja prinzipiell auch erstmal zweitrangig, Hauptsache ich hatte nun das Privileg dieses bezaubernde Werk zu genießen, das neben all der wichtigen Themen, die behandelt werden vor allem eins ist: Eine sowohl in Wort als auch Bild einfach wundervoll erzählte Geschichte wie aus 1001 Nacht und eine Liebeserklärung an das Geschichtenerzählen an sich.

Meine Wertung: 9/10

Ein ganz kleines Manko bei meiner Ausgabe ist, dass das Kunstlederartige Kunststoffmaterial, in welches das Hardcover gebunden ist anscheinend Weichmacher oder Ähnliches absondert und dadurch der Einband immer leicht klebrig wirkt. Hat das noch jemand festgestellt? Ansonsten ist der Prachtband mit Lesebändchen eine wirklich hervorragende Veröffentlichung.

VG, God_W.