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Liebe kann so schön sein. Und so schmerzhaft. Da ist zum Beispiel die junge Frau, die sich verzweifelt fragt, warum ihr Freund, den sie so sehr liebt, derart niedergeschlagen und depressiv ist, seit er erfahren hat, dass seine Ex-Freundin heiraten wird (»Ein freier Tag«). Oder da sind die zwei besten Freundinnen, die einen bemüht munteren, innerlich trostlosen gemeinsamen Abend im Park verbringen. Die eine weiß bereits, dass die andere sich in ihren Freund verliebt hat – und dieser sich auch in die Freundin -, und sie wartet auf eine Aussprache, zu der die Freundin nicht den Mut aufbringt (»Im Park«). Oder da ist jene junge Frau, die in einer harmonischen Beziehung mit ihrem Freund lebt; aber als sie nach Jahren zufällig eine alte Flamme wiedertrifft, stellt sie irritiert fest, dass sie viel beeindruckter ist, als ihr lieb ist (»Ein Ort, an den man gern zurückkommt«).
23 Manga-Kurzerzählungen versammelt Kiriko Nananans »Liebe und andere Lügengeschichten«, und wie angesichts dieses Titels wenig überrascht, geht es darin nicht um unbeschwertes, glückendes Zueinanderfinden, sondern um unglückliche Liebe, unerfüllte Sehnsucht, falsch erfüllte Sehnsucht, um alte Wunden, die wieder aufbrechen, um Verwirrungen der Gefühle und Irrungen des Handelns. Und wie wundervoll sind diese Geschichten erzählt: komplex, stringent, mit verblüffender Präzision und gleichzeitig ungeheurer Poesie, emotional dicht und doch zurückhaltend.
Im letzten Jahr ist bei uns der Vorgänger »Blue« erschienen, eine zarte, in elegant reduzierten Bildern erzählte Geschichte einer Mädchenliebe, und hat uns Leser hingerissen. »Liebe und andere Lügengeschichten« mit seinen von ungeheurer Zärtlichkeit und ungeheurer Traurigkeit erfüllten Kurzgeschichten tut es genauso.