PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Der schmale Grat zwischen Innenausbau und fahrlässiger Tötung ...



Lost Johnny
29.04.2004, 22:13
Dass das Thema „Heimwerken“ im Fernsehen mittlerweile schwerstens angesagt ist, hat wohl kaum jemand ignorieren können. Während vor ein, zwei Jahren noch vor allem junge, enthusiastische Bauherren auf dem Weg zum finanziellen Ruin begleitet wurden, haben sich die Service-Magazine und Doku-Soaps der Republik mittlerweile vor allem auf die Bereiche Innenausbau und Renovieren eingeschossen. Die Überfallkommandos von RTL (Einsatz in vier Wänden; bei VOX baugleich als Wohnen nach Wunsch ausgestrahlt) und Pro7 (S.O.S. Heimwerker) installieren schon seit geraumer Zeit in den Wohnungen naiver Bürger schlechten Geschmack und unpraktische Wohnkonzepte.

Exemplarisch möchte ich mich hier kurz über die genannte RTL-Sendung empören. Markante Elemente der Sendung sind:
1) Nicht nachvollziehbare Farbgestaltung. Der Klassiker: Jede Familie mit Kindern im Vorschulalter und/oder Hund bekommt ein weißes Sofa hingestellt. Sehr vorausschauend ...
2) Die obligatorische Obstschale – das einzige Einrichtungselement, das Moderatorin Tine Wittler selbst platziert (ja genau, das ist die „Erfolgs“-Autorin, die ihre dreimonatige Arbeitslosigkeit – welch einzigartige Leidensgeschichte, by the way – in Romanform verarbeitet hat), den Rest übernimmt nämlich ein Innenarchitekturbüro, wie der Abspann verrät. Kein sehr gutes, möchte ich anfügen ...
3) Mit dem Gezeigten nicht in Einklang zu bringende Musikeinspielungen. If I Had A Hammer verstehe ich ja noch halbwegs, auch wenn es sich um die Leonard-Nimoy-Version handelt ... aber The Devil Sent You To Laredo beim Packen von Umzugskartons? D.I.S.C.O. beim Zusammenschrauben von Regalen?? Shaft beim Lackieren von Türen?!? Nun ja, der Baby Elephant Walk, der immer dann kommt, wenn Tine Wittler Treppen steigt, passt aber wiederum doch ganz gut, das muss ich hämevoll zugeben.
Außerdem muss jeder, der sich Tine ins Haus lädt, damit rechnen, dass er sich von zwei Dritteln seiner Habseligkeiten trennen muss, denn vernünftigen Stauraum gibt es nach dem Umbau gewiss nicht mehr. Klar, da hängen zwei total kecke Stoffbeutel an der Wand, und hinter dem wegklappbaren Bett sind auch noch knapp 40 Kubikzentimeter frei, aber irgendwie bezweifle ich ein wenig, dass darin alle der 700 Bücher Platz haben, die vor der Renovierung noch im – mittlerweile von Tine zerkettensägten - Regal standen. Die einzige Ablagefläche im Raum ist eh blockiert, nämlich von ... richtig geraten, von der Obstschale.

Mittlerweile genügen derartige Einbrüche in die Privatsphäre aber natürlich schon längst nicht mehr. Nachdem RTLII bereits bei der sogenannten Hammer-Soap untalentierten Heimwerkern die Gelegenheit gab, ohne jede Profi-Unterstützung das eigene Unglück heraufzubeschwören, illegal Farbreste zu entsorgen und Sanierungen durchzuführen, die in spätestens zwei Jahren komplett vom Schimmel zerfressen sein werden, hat Kabel1 jetzt die Schraube noch ein wenig mehr angezogen: Bei Auf Dübel komm raus – Die Heimwerker kommen mussten die Teilnehmer offenbar beim Casting nachweisen, mindestens sieben linke Daumen pro Hand zu haben. Und es mag ja durchaus ein wenig berechtigte Schadenfreude aufkommen, wenn diese unbedarften Menschen sich wacker daran machen, mit einem schmalen Pinsel viele Quadratmeter Wand zu streichen, Pflastersteine auf einem ungeebneten Kiesbett zu verlegen oder meinetwegen auch beim Zuschneiden von Badezimmerfliesen ein Stück Bruch nach dem anderen zu produzieren. Der Spaß hört aber leider irgendwann auf. Und zwar spätestens dann, wenn diese Leute Treppenhäuser streichen, aus denen sie vorher ganz smart die Stufen entfernt hatten ... da pinselt man dann halt im Spagat mit einem Fuß auf dem Geländer und dem anderen an der Wand balancierend über dem Vier-Meter-Abgrund. Andere Leute lassen die mehrere Meter langen Latten, die sie soeben im Baumarkt erworben haben, einfach ungesichert aus dem Sonnendach ihres putzigen Renault Twingo ragen und wundern sich dann, wenn andere Autofahrer per Lichthupe auf die Gefahrensituation hinweisen. Und mehr als einmal beobachtet der Zuschauer Sägeblätter oder locker in der Fassung hin- und herwandernde Bohraufsätze in unmittelbarer Nähe von Pulsadern.

In diesem Momenten frage ich mich immer wieder: Was sind das nur für Menschen? Wie können die einfach so seelenruhig hinter ihrer Kamera stehen, während andere Leute, die es einfach nicht besser wissen, auf dem besten Wege sind, sich einiger Gliedmaßen zu berauben? Könnte man da nicht wenigstens mal einen kleinen Warnruf ausstoßen? Oder sich zumindest beratend äußern, wenn die ahnungslosen Selbstdarsteller im Begriff sind, vor laufender Kamera eine Straftat zu begehen? Nein, vermutlich nicht – wahrscheinlich sind diese Aasfresser von den TV-Teams am Ende des Tages lediglich leicht betrübt darüber, dass diesmal wider Erwarten doch noch alles glimpflich abgelaufen ist. Aber wer weiß, morgen ist ja auch noch ein Tag, und kamerageile Deppen, die sich bei jeder noch so großen Dummheit filmen lassen, gibt es hierzulande allem Anschein nach ja mehr als genug ...

Physeter
30.04.2004, 12:58
und kamerageile Deppen, die sich bei jeder noch so großen Dummheit filmen lassen, gibt es hierzulande allem Anschein nach ja mehr als genug ...
Aber ja, zumindest sind sie dann auf die Kohle scharf, die sie vom Sender bekommen. Und derart blöde Sendungen werden ja gekuckt! :kotz: Das kann ich schonmal gar nicht verstehen, geschweige denn nachmachen. Aber kuckt ihr mal schön und haltet mich hier mit Horrorgeschichten vom Bau auf dem laufenden, das ist immerhin ganz interessant. ;)

Lost Johnny
18.09.2004, 11:06
Die bekennende Schrankwandhasserin Tine Wittler ist mit ihrem Einsatz in vier Wänden für den Deutschen Fernsehpreis nominiert worden. Mein Ausbürgerungsantrag ist bereits eingereicht ... :tozey: