Johnny Deville
22.09.2002, 22:55
ich hoffe T von http://www.commendatori.com hat nichts dagegen, dass ich das hier rein stelle:)
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Leichen zum Dessert
Von Thomas Schulz
Die Amerikaner sind noch immer die brillantesten TV-Geschichtenerzähler: Reihenweise entstanden jüngst hochgelobte neue Serien. Doch nur wenige schaffen es ins deutsche Fernsehen. Die oft ebenso anspruchsvollen wie skurrilen US-Produktionen sind den Senderchefs zu riskant - und zu teuer.
Als vor ein paar Wochen die Nominierungen für den US-Fernsehpreis Emmy bekannt, wurden, hätten bei der deutschen Außenstelle von Warner Brothers die Sektkorken knallen müssen. 44-mal wurden alleine die beiden Warner-Erfolgsserien "West Wing" und "Six Feet Under" (zu Deutsch: "Sechs Fuß unter der Erde") für den amerikanischen Fernseh-Oscar nominiert. Die Kritiker überschlagen sich. Die Quoten sind beeindruckend. So was sollte eigentlich zum Exportschlager taugen. Ist es aber nicht.
Weder das Polit-Spektakel noch die skurrile Serie um eine verrückte Leichenbestatter-Familie werden wohl je in Deutschland zu sehen sein. US Serien haben es zunehmend schwer im hiesigen Fernsehen. Der Grund liegt paradoxerweise in ihrer herausragenden Qualität.
Jahrelang rissen sich die deutschen TV-Sender um die wichtigsten US-Formate wie "Sex And The City", "Emergency Room" oder "Ally McBeal". Halb Deutschland diskutierte über die hysterische Bostoner Anwältin. Im Reichstag veranstallteten Abgeordnete eine Ally-Fanparty. Das Buch "Generation Ally" wurde schon dank seines Titels ein Bestseller.
Doch so groß die Euphorie für einige Jahre war, so schnell geht es nun bergab mit dem amerikanischen TV Lifestyle. Mehr und mehr verschwinden die US-Serien im Spätprogramm (wie etwa "Die Sopranos") oder ganz von der Einkaufsliste der deutschen Sender. RTL-Chef Gerhard Zeiler kommentierte lapidar: "Lokale Produktionen kommen besser an."
Zeiler liefert damit die Erklärung für ein Phänomen, das in keinem Programm mehr zu übersehen ist: Die deutsche TV-Landschaft hat sich von den einst übermächtigen Amerikanern emanzipiert und setzt fast ausschließlich auf Eigenproduktionen - vom Arztalltag in Dur und Mull bis zur längst austauschbar gewordenen Krimiware.
Dabei werden gerade die US-Serien immer besser. Allein in den vergangenen beiden Jahren entstanden reihenweise außergewöhnliche Serien, die mit neuen Themen, neuen Erzählmustern und neuen Perspektiven jonglieren. die renommierte "New York Times", sonst eher für deftige Verrisse bekannt, spricht bereits von einer "neuen Ära" der Fernsehunterhaltung.
In Deutschland wird man darauf jedoch warten müssen. Selbst preisgekrönte und von der Kritik gefeierte US-Serien finden nicht mehr den Weg in deutsche Wohnzimmer. Die hiesigen Programmchefs sind sich einig: Was da aus den USA kommt, ist oft zu Komplex, zu satirisch, zu anspruchsvoll. "Die Serie erfüllt im deutschen Fernsehen andere Funktionen", sagt ZDF-Programmchef Hans Janke. "Mit ihr macht man es sich gemütlich, sie ist gefühlvoll, familiär, heimatlich."
Sind die Zuschauer also zu blöd für Neues - oder die TV-Chefs zu ängstlich?
Immerhin: Deutsche Serien sind vor allem eines - billiger. Und sie garantieren von vornherein mehr Zuschauer. Das alleine zählt in Zeiten flauer Werbemärkte. So bleibt zwischen Quotendruck und sinkenden Senderumsätzen schnell das Neue, Frische, Außergewöhnliche, aber eben auch Riskante auf der Strecke: innovative Serienformate, die Geschichten jenseits von niederbayerischen Kommissaren und norddeutschen Landärzten erzählen.
Eine der wenigen erfolgreichen US-Produktionen die den Sprung noch geschafft haben, ist ein Thriller. RTL hat für die kommende Saison "24" eingekauft, von den US-Fernsehkritikern zum "TV-Programm des Jahres" gekürt.
Die Handlung von "24" erscheint zunächst reichlich banal: Der Chef einer Antiterroreinheit muss einen Anschlag auf den ersten schwarzen Präsidentschaftskandidaten verhindern. Aber die "24"-Produzenten haben bewiesen, dass man auch mit einer sattsam bekannten Verschwörungsstory "revolutionäres" ("New York Times") Fernsehen machen kann - indem man einfach die alten Erzählmuster aufbricht.
"24" findet in Echtzeit statt. Das heißt: Eine Stunde im Leben des Agenten ist eine Stunde Fernsehzeit. 24 Folgen fügen sich zu einem einzigen Tag. Die Handlung wird nicht gestreckt oder komprimiert, sondern durch eine immer wieder eingeblendete Digitaluhr vorangetrieben. Da die Hauptpersonen der vielen Handlungsstränge aber räumlich getrennt agieren, wird der Bildschirm regelmäßig geteilt, so hetzen Darsteller und Zuschauer von einer Krise zur nächsten.
Im Kern ist "24" ein altbewährtes Rennen gegen die Zeit - aber auf ein Tempo geschraubt, das für den Zuschauer so schweißtreibend ist wie bislang kein Fernsehprogramm zuvor.
Schon zwischen Mitternacht und 2 Uhr morgens werden drei Agenten erschossen, ein Flugzeug gesprengt, eine Verschwörung aufgedeckt. Das macht "24" noch nicht zu einer intellektuellen Herausforderung, aber außergewöhnlich spannend. Die komplexe Handlung verlangt loyale Zuschauer, die keine Folge verpassen. Ein Risiko, das RTL an den Partnersender VOX weiterreicht. Dort soll "24" nächstes Jahr im Abendprogramm laufen. Immerhin.
Entstehen konnte ein solches Format nur in den USA, denn dort sind Kreativität und Produktion oft bei einer Person gebündelt. "Writer-Producer", schreibende Produzenten, werden die Chef-Kreativen genannt, die nicht nur die Drehbücher schreiben, sondern meist auch Regie, Casting und Finanzen verantworten, wie einst Chris Carter, der mit "Akte X" einen weltweiten Übersinnlichkeits-Boom auslöste.
"Nur so entsteht eine runde Serie aus einem Guss", glaubt Christiane Ruff, die sich als Deutschland-Chefin der Sony Pictures Film- und Fernsehproduktion auf beiden Seiten des Atlantik auskennt. Im deutschen System, wo Autoren, Produzenten und Sender oft gegeneinander arbeiten, fehle es an der so wichtigen "single vision", die eine außergewöhnliche Serie von einer durchschnittlichen unterscheidet.
Zwar ist auch ZDF-Programmchef Janke sicher: "Wir müssen uns in diese Richtung bewegen, um zu mehr bemerkenswerten Produktionen zu kommen." Zwar seien "die Landärzte und die Sokos doch sehr in Ordnung", wenn auch "ohne die besondere Note". Aber in Deutschland spiele eben der Fernsehfilm eine wichtigere Rolle. Bei den Amerikanern hingegen "stecken die ganze erzählerische Intelligenz, der Spielwitz und der Einfallsreichtum in der Serie".
Dabei konzentriert sich die Intelligenz in den USA zunehmend beim Bezahlfernsehen HBO. Seit Mitte der Neunziger Jahre baute der Sender mit den 38 Millionen Abonnenten seinen Etat für Eigenproduktionen systematisch auf mittlerweile 500 Millionen Dollar jährlich aus und produziert seither ein hochgelobtes Meisterwerk nach dem anderen. Mit 93 Nominierungen für die Emmy-Verleihung am Sonntag liegt HBO auf Platz eins vor allen großen US-Senderketten. Selbst Steven Spielbergs letztes Projekt war eine groß angelegte Serienproduktion für den Bezahlkanal.
"Band Of Brothers" heißt die gemeinsam mit Tom Hanks produzierte Mini-Serie über eine Fallschirmjägereinheit im Zweiten Weltkrieg, die als "grandios" und "spektakulärste TV-Serie aller Zeiten" gefeiert wurde. Über 10 Teile schildern Spielberg und Hanks ähnlich bildgewaltig und detailgetreu wie in "Der Soldat James Ryan" die auf wahren Begebenheiten beruhenden Erlebnisse der 101. Airborne Division von den ersten gemeinsamen Trainingstagen 1942 über die Landung in der Normandie und den Vormarsch durch Holland und Belgien bis zum Sturm auf Hitlers Alpenversteck "Adlerhorst".
Die Produktion ist die teuerste der Fernsehgeschichte: 125 Millionen Dollar versenken Spielberg und Hanks in das zwar filmisch grandiose, aber auch so gut wie unverkäufliches Projekt. Nur die BBC war bereit, 15 Millionen Pfund für die Ausstrahlung zu bezahlen. Alle deutschen Sender haben bereits abgewinkt: "Unbezahlbar", heißt es allenthalben.
Geld ist jedoch bei "Six Feet Under", dem jüngsten Erfolgsprojekt von HBO nicht das Problem. Eher "die Machart", wie ZDF-Mann Janke sagt. Niemand wagt eine Schätzung zur Größe der Fangemeinde einer Serie, die eine zerrüttete Familie mit Crack-rauchender Tochter, schwulem Sohn und neurotischer Tochter beschreibt, die zusammen ein Bestattungsinstitut betreiben.
So außergewöhnlich "Six Feet Under" ist, so schwer verkäuflich sind die Leichen zum TV-Dessert auch. Allein das Hauptthema führt die schwarze Liste jedes Zielgruppenforschers an: Tod und Sterblichkeit. Zur Überraschung aller, selbst der Macher, wuchs sich das Projekt in den USA zum Publikums- und Kritikererfolg aus, prämiert mit zwei Golden Globes.
Trotzdem lösen die Hauptattribute der Serie - morbid, skurril, rabenschwarz - bei deutschen Programmeinkäufern lange antrainierte Abwehrreaktionen aus. Ganz beiläufig erfährt der Zuschauer nämlich in aller Deutlichkeit, dass Tote Gase ausströmen und Erektionen haben oder dass sich jedes noch so verstümmelte Gesicht mit der richtigen Paste wieder herrichten lässt.
Man weiß nicht, ob man lachen oder schreien soll. Dabei ist es nicht der allgegenwärtige Tod, der die Darsteller in Depressionen stürzt, sondern die Zeit davor. Wenn einer der Hauptakteure sich sorgt, dass er nach Formaldehyd stinkt, sagt seine Freundin: "Du riechst okay. Dein Leben stinkt."
"Six Feet Under" stammt aus der Feder von Alan Ball, der mit einem Oscar für das Drehbuch des Kinohits "American Beauty" ausgezeichnet wurde. Ihm ist durchaus bewusst, dass sein Werk sich nicht unbedingt als Exportschlager eignet: "Abosender verkaufen Fernsehen an Zuschauer. Normale Sender verkaufen Zuschauer an Werbetreibende. Da ist doch klar, dass immer alles aufgeweicht und glattgebügelt werden muss, um möglichst viele Zuschauer zu erreichen und positive Gefühle zu wecken."
Aber egal, wie hoch Lob und Anspruch auch sein mögen: Eine Chance hat die Serie nicht, solange sie nicht in die "deutsche Gefühlswelt übertragbar" ist, so ARD-Programmdirektor Günter Struve. Handlung und Konzept müssten mit der Vorstellungswelt des Publikums übereinstimmen. "Frivole Anspielungen", sagt Struve, "sind für unser eher älteres Publikum bei den Abendserien schwer zu verdauen."
Bei RTL wird zumindest einem US-Überraschungshit Quotenpotenzial zugesprochen: Die Superman-Neuauflage "Smallville" läuft ab Anfang 2003 am Samstagnachmittag. Zwar versprechen die Jugendjahre des Superhelden in einem Kaff in Kansas keinen intellektuellen Tiefgang. Aber Warner Brothers ist es gelungen, einem bereits in Grund und Boden verfilmten Stoff eine neue Richtung zu geben.
"Smallville" ist wider Erwarten kein Heldenepos: Die Atmosphäre ist bisweilen dunkel, die Charaktere sind gespalten. Schon der Serienauftakt macht klar: Der vermeintliche Held ist auch ein Zerstörer, seine Ankunft wird begleitet von einem Meteoritenhagel, der über die Kleinstadt wie eine Giftbombe hereinbricht.
Ins RTL-Programm geschafft hat es auch die belanglose Fantasy-Serie "Dinotopia" - kein Wunder, ist der Kölner Sender doch Co-Produzent des Dino-Abenteuers. Die Handlung ist fad, die Dialoge sind schwach und die Schauspieler grauenhaft. Aber Trickaufnahmen mit Dinosauriern kommen im Zweifelsfall immer gut an.
Dagegen sucht die deutsche Warner Brothers-Chefin Sylvia Rothblum noch immer einen Abnehmer für "West Wing", eine der erfolgreichsten TV-Produktionen der vergangenen drei Jahre und für 21 Emmys nominiert. Die anspruchsvolle Politserie über den fiktiven US-Präsidenten Bartlet und seine Berater erweckt mit schnellen Schnitten, rasanten Kamerafahrten und pointierten Dialogen die Hektik hinter den Kulissen des Weißen Hauses. "West Wing" gilt als Beweis, dass auch Politik unterhaltend sein kann. Der "Bartlet for President"-Aufkleber findet in den USA reißenden Absatz - die hochklassige Serie in Deutschland nicht.
Zwar hält auch RTL-Chef Zeiler "West Wing" für eine brillante Serie. Kaufen wird er sich dennoch nicht: "Hier würde die völlig untergehen." US-Politik? Zu weit weg. Zu anders. Zu riskant.
Deswegen versuchen sich nun ARD und ZDF unabhängig voneinander an einer eigenen Polit-Serie übers Kanzleramt und dessen Akteure. Für das ZDF soll der Produzent Ulrich Lenze demnächst die ersten Drehbücher liefern: "Das Kanzleramt" ist schon für die Hauptsendezeit um 20:15 vorgesehen.
"Wir müssen endlich mehr riskieren", sagt ZDF-Programmchef Janke. "Es ist Zeit, auch hier die Tür zum Außerordentlichen aufzustoßen."
(C) "Der Spiegel"
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:rolleyes:
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Leichen zum Dessert
Von Thomas Schulz
Die Amerikaner sind noch immer die brillantesten TV-Geschichtenerzähler: Reihenweise entstanden jüngst hochgelobte neue Serien. Doch nur wenige schaffen es ins deutsche Fernsehen. Die oft ebenso anspruchsvollen wie skurrilen US-Produktionen sind den Senderchefs zu riskant - und zu teuer.
Als vor ein paar Wochen die Nominierungen für den US-Fernsehpreis Emmy bekannt, wurden, hätten bei der deutschen Außenstelle von Warner Brothers die Sektkorken knallen müssen. 44-mal wurden alleine die beiden Warner-Erfolgsserien "West Wing" und "Six Feet Under" (zu Deutsch: "Sechs Fuß unter der Erde") für den amerikanischen Fernseh-Oscar nominiert. Die Kritiker überschlagen sich. Die Quoten sind beeindruckend. So was sollte eigentlich zum Exportschlager taugen. Ist es aber nicht.
Weder das Polit-Spektakel noch die skurrile Serie um eine verrückte Leichenbestatter-Familie werden wohl je in Deutschland zu sehen sein. US Serien haben es zunehmend schwer im hiesigen Fernsehen. Der Grund liegt paradoxerweise in ihrer herausragenden Qualität.
Jahrelang rissen sich die deutschen TV-Sender um die wichtigsten US-Formate wie "Sex And The City", "Emergency Room" oder "Ally McBeal". Halb Deutschland diskutierte über die hysterische Bostoner Anwältin. Im Reichstag veranstallteten Abgeordnete eine Ally-Fanparty. Das Buch "Generation Ally" wurde schon dank seines Titels ein Bestseller.
Doch so groß die Euphorie für einige Jahre war, so schnell geht es nun bergab mit dem amerikanischen TV Lifestyle. Mehr und mehr verschwinden die US-Serien im Spätprogramm (wie etwa "Die Sopranos") oder ganz von der Einkaufsliste der deutschen Sender. RTL-Chef Gerhard Zeiler kommentierte lapidar: "Lokale Produktionen kommen besser an."
Zeiler liefert damit die Erklärung für ein Phänomen, das in keinem Programm mehr zu übersehen ist: Die deutsche TV-Landschaft hat sich von den einst übermächtigen Amerikanern emanzipiert und setzt fast ausschließlich auf Eigenproduktionen - vom Arztalltag in Dur und Mull bis zur längst austauschbar gewordenen Krimiware.
Dabei werden gerade die US-Serien immer besser. Allein in den vergangenen beiden Jahren entstanden reihenweise außergewöhnliche Serien, die mit neuen Themen, neuen Erzählmustern und neuen Perspektiven jonglieren. die renommierte "New York Times", sonst eher für deftige Verrisse bekannt, spricht bereits von einer "neuen Ära" der Fernsehunterhaltung.
In Deutschland wird man darauf jedoch warten müssen. Selbst preisgekrönte und von der Kritik gefeierte US-Serien finden nicht mehr den Weg in deutsche Wohnzimmer. Die hiesigen Programmchefs sind sich einig: Was da aus den USA kommt, ist oft zu Komplex, zu satirisch, zu anspruchsvoll. "Die Serie erfüllt im deutschen Fernsehen andere Funktionen", sagt ZDF-Programmchef Hans Janke. "Mit ihr macht man es sich gemütlich, sie ist gefühlvoll, familiär, heimatlich."
Sind die Zuschauer also zu blöd für Neues - oder die TV-Chefs zu ängstlich?
Immerhin: Deutsche Serien sind vor allem eines - billiger. Und sie garantieren von vornherein mehr Zuschauer. Das alleine zählt in Zeiten flauer Werbemärkte. So bleibt zwischen Quotendruck und sinkenden Senderumsätzen schnell das Neue, Frische, Außergewöhnliche, aber eben auch Riskante auf der Strecke: innovative Serienformate, die Geschichten jenseits von niederbayerischen Kommissaren und norddeutschen Landärzten erzählen.
Eine der wenigen erfolgreichen US-Produktionen die den Sprung noch geschafft haben, ist ein Thriller. RTL hat für die kommende Saison "24" eingekauft, von den US-Fernsehkritikern zum "TV-Programm des Jahres" gekürt.
Die Handlung von "24" erscheint zunächst reichlich banal: Der Chef einer Antiterroreinheit muss einen Anschlag auf den ersten schwarzen Präsidentschaftskandidaten verhindern. Aber die "24"-Produzenten haben bewiesen, dass man auch mit einer sattsam bekannten Verschwörungsstory "revolutionäres" ("New York Times") Fernsehen machen kann - indem man einfach die alten Erzählmuster aufbricht.
"24" findet in Echtzeit statt. Das heißt: Eine Stunde im Leben des Agenten ist eine Stunde Fernsehzeit. 24 Folgen fügen sich zu einem einzigen Tag. Die Handlung wird nicht gestreckt oder komprimiert, sondern durch eine immer wieder eingeblendete Digitaluhr vorangetrieben. Da die Hauptpersonen der vielen Handlungsstränge aber räumlich getrennt agieren, wird der Bildschirm regelmäßig geteilt, so hetzen Darsteller und Zuschauer von einer Krise zur nächsten.
Im Kern ist "24" ein altbewährtes Rennen gegen die Zeit - aber auf ein Tempo geschraubt, das für den Zuschauer so schweißtreibend ist wie bislang kein Fernsehprogramm zuvor.
Schon zwischen Mitternacht und 2 Uhr morgens werden drei Agenten erschossen, ein Flugzeug gesprengt, eine Verschwörung aufgedeckt. Das macht "24" noch nicht zu einer intellektuellen Herausforderung, aber außergewöhnlich spannend. Die komplexe Handlung verlangt loyale Zuschauer, die keine Folge verpassen. Ein Risiko, das RTL an den Partnersender VOX weiterreicht. Dort soll "24" nächstes Jahr im Abendprogramm laufen. Immerhin.
Entstehen konnte ein solches Format nur in den USA, denn dort sind Kreativität und Produktion oft bei einer Person gebündelt. "Writer-Producer", schreibende Produzenten, werden die Chef-Kreativen genannt, die nicht nur die Drehbücher schreiben, sondern meist auch Regie, Casting und Finanzen verantworten, wie einst Chris Carter, der mit "Akte X" einen weltweiten Übersinnlichkeits-Boom auslöste.
"Nur so entsteht eine runde Serie aus einem Guss", glaubt Christiane Ruff, die sich als Deutschland-Chefin der Sony Pictures Film- und Fernsehproduktion auf beiden Seiten des Atlantik auskennt. Im deutschen System, wo Autoren, Produzenten und Sender oft gegeneinander arbeiten, fehle es an der so wichtigen "single vision", die eine außergewöhnliche Serie von einer durchschnittlichen unterscheidet.
Zwar ist auch ZDF-Programmchef Janke sicher: "Wir müssen uns in diese Richtung bewegen, um zu mehr bemerkenswerten Produktionen zu kommen." Zwar seien "die Landärzte und die Sokos doch sehr in Ordnung", wenn auch "ohne die besondere Note". Aber in Deutschland spiele eben der Fernsehfilm eine wichtigere Rolle. Bei den Amerikanern hingegen "stecken die ganze erzählerische Intelligenz, der Spielwitz und der Einfallsreichtum in der Serie".
Dabei konzentriert sich die Intelligenz in den USA zunehmend beim Bezahlfernsehen HBO. Seit Mitte der Neunziger Jahre baute der Sender mit den 38 Millionen Abonnenten seinen Etat für Eigenproduktionen systematisch auf mittlerweile 500 Millionen Dollar jährlich aus und produziert seither ein hochgelobtes Meisterwerk nach dem anderen. Mit 93 Nominierungen für die Emmy-Verleihung am Sonntag liegt HBO auf Platz eins vor allen großen US-Senderketten. Selbst Steven Spielbergs letztes Projekt war eine groß angelegte Serienproduktion für den Bezahlkanal.
"Band Of Brothers" heißt die gemeinsam mit Tom Hanks produzierte Mini-Serie über eine Fallschirmjägereinheit im Zweiten Weltkrieg, die als "grandios" und "spektakulärste TV-Serie aller Zeiten" gefeiert wurde. Über 10 Teile schildern Spielberg und Hanks ähnlich bildgewaltig und detailgetreu wie in "Der Soldat James Ryan" die auf wahren Begebenheiten beruhenden Erlebnisse der 101. Airborne Division von den ersten gemeinsamen Trainingstagen 1942 über die Landung in der Normandie und den Vormarsch durch Holland und Belgien bis zum Sturm auf Hitlers Alpenversteck "Adlerhorst".
Die Produktion ist die teuerste der Fernsehgeschichte: 125 Millionen Dollar versenken Spielberg und Hanks in das zwar filmisch grandiose, aber auch so gut wie unverkäufliches Projekt. Nur die BBC war bereit, 15 Millionen Pfund für die Ausstrahlung zu bezahlen. Alle deutschen Sender haben bereits abgewinkt: "Unbezahlbar", heißt es allenthalben.
Geld ist jedoch bei "Six Feet Under", dem jüngsten Erfolgsprojekt von HBO nicht das Problem. Eher "die Machart", wie ZDF-Mann Janke sagt. Niemand wagt eine Schätzung zur Größe der Fangemeinde einer Serie, die eine zerrüttete Familie mit Crack-rauchender Tochter, schwulem Sohn und neurotischer Tochter beschreibt, die zusammen ein Bestattungsinstitut betreiben.
So außergewöhnlich "Six Feet Under" ist, so schwer verkäuflich sind die Leichen zum TV-Dessert auch. Allein das Hauptthema führt die schwarze Liste jedes Zielgruppenforschers an: Tod und Sterblichkeit. Zur Überraschung aller, selbst der Macher, wuchs sich das Projekt in den USA zum Publikums- und Kritikererfolg aus, prämiert mit zwei Golden Globes.
Trotzdem lösen die Hauptattribute der Serie - morbid, skurril, rabenschwarz - bei deutschen Programmeinkäufern lange antrainierte Abwehrreaktionen aus. Ganz beiläufig erfährt der Zuschauer nämlich in aller Deutlichkeit, dass Tote Gase ausströmen und Erektionen haben oder dass sich jedes noch so verstümmelte Gesicht mit der richtigen Paste wieder herrichten lässt.
Man weiß nicht, ob man lachen oder schreien soll. Dabei ist es nicht der allgegenwärtige Tod, der die Darsteller in Depressionen stürzt, sondern die Zeit davor. Wenn einer der Hauptakteure sich sorgt, dass er nach Formaldehyd stinkt, sagt seine Freundin: "Du riechst okay. Dein Leben stinkt."
"Six Feet Under" stammt aus der Feder von Alan Ball, der mit einem Oscar für das Drehbuch des Kinohits "American Beauty" ausgezeichnet wurde. Ihm ist durchaus bewusst, dass sein Werk sich nicht unbedingt als Exportschlager eignet: "Abosender verkaufen Fernsehen an Zuschauer. Normale Sender verkaufen Zuschauer an Werbetreibende. Da ist doch klar, dass immer alles aufgeweicht und glattgebügelt werden muss, um möglichst viele Zuschauer zu erreichen und positive Gefühle zu wecken."
Aber egal, wie hoch Lob und Anspruch auch sein mögen: Eine Chance hat die Serie nicht, solange sie nicht in die "deutsche Gefühlswelt übertragbar" ist, so ARD-Programmdirektor Günter Struve. Handlung und Konzept müssten mit der Vorstellungswelt des Publikums übereinstimmen. "Frivole Anspielungen", sagt Struve, "sind für unser eher älteres Publikum bei den Abendserien schwer zu verdauen."
Bei RTL wird zumindest einem US-Überraschungshit Quotenpotenzial zugesprochen: Die Superman-Neuauflage "Smallville" läuft ab Anfang 2003 am Samstagnachmittag. Zwar versprechen die Jugendjahre des Superhelden in einem Kaff in Kansas keinen intellektuellen Tiefgang. Aber Warner Brothers ist es gelungen, einem bereits in Grund und Boden verfilmten Stoff eine neue Richtung zu geben.
"Smallville" ist wider Erwarten kein Heldenepos: Die Atmosphäre ist bisweilen dunkel, die Charaktere sind gespalten. Schon der Serienauftakt macht klar: Der vermeintliche Held ist auch ein Zerstörer, seine Ankunft wird begleitet von einem Meteoritenhagel, der über die Kleinstadt wie eine Giftbombe hereinbricht.
Ins RTL-Programm geschafft hat es auch die belanglose Fantasy-Serie "Dinotopia" - kein Wunder, ist der Kölner Sender doch Co-Produzent des Dino-Abenteuers. Die Handlung ist fad, die Dialoge sind schwach und die Schauspieler grauenhaft. Aber Trickaufnahmen mit Dinosauriern kommen im Zweifelsfall immer gut an.
Dagegen sucht die deutsche Warner Brothers-Chefin Sylvia Rothblum noch immer einen Abnehmer für "West Wing", eine der erfolgreichsten TV-Produktionen der vergangenen drei Jahre und für 21 Emmys nominiert. Die anspruchsvolle Politserie über den fiktiven US-Präsidenten Bartlet und seine Berater erweckt mit schnellen Schnitten, rasanten Kamerafahrten und pointierten Dialogen die Hektik hinter den Kulissen des Weißen Hauses. "West Wing" gilt als Beweis, dass auch Politik unterhaltend sein kann. Der "Bartlet for President"-Aufkleber findet in den USA reißenden Absatz - die hochklassige Serie in Deutschland nicht.
Zwar hält auch RTL-Chef Zeiler "West Wing" für eine brillante Serie. Kaufen wird er sich dennoch nicht: "Hier würde die völlig untergehen." US-Politik? Zu weit weg. Zu anders. Zu riskant.
Deswegen versuchen sich nun ARD und ZDF unabhängig voneinander an einer eigenen Polit-Serie übers Kanzleramt und dessen Akteure. Für das ZDF soll der Produzent Ulrich Lenze demnächst die ersten Drehbücher liefern: "Das Kanzleramt" ist schon für die Hauptsendezeit um 20:15 vorgesehen.
"Wir müssen endlich mehr riskieren", sagt ZDF-Programmchef Janke. "Es ist Zeit, auch hier die Tür zum Außerordentlichen aufzustoßen."
(C) "Der Spiegel"
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