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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Fan-Fiction: Alternative Evangelion 2 - Nephilim



TomQuarz
30.11.2001, 01:24
Hallo werte Leser!
Dieser Thread knüpft an eine wundervolle Tradition an. Vor fast einem Jahr eröffnete Erzengel hier eine Fan-Fiction zu Neon Genesis Evangelion, die dieser wundervollen Serie ein alternatives Ende gab. Einsetzend nach dem fünften Teil der Movie-Edition spannen Gaia-san, Kitana, NGE-Fan, Zero-Cool, Moerf, ich selbst und unsere Triebfeder Erzengel hier eine Geschichte, in der die Erde nach dem Besuch der Engel nun Besuch von der Gegenseite erhielt.
Hier nun werden wir diese Fan-Fiction, die damals in einem gewaltigen Showdown gipfelte, fortsetzen.
Ich hoffe, daß möglichst viele der alten Autoren uns wieder beehren werden, und heiße Pflänzchen als neue Mitautorin herzlich willkommen.
Neue Interessierte können sich in dem Thread "Alternative Evangelion 2: Konzeption, Anmeldung, Diskussion" melden. Sie erhalten dort ein Briefing über die bisherige und die neue Geschichte, soweit schon ein Gerüst feststeht.
Ich bitte darum, im Interesse der Geschichte, daß sich alle neuen Autoren wirklich dort anmelden und nicht einfach hier Beiträge posten. Sonst gibt es ein Riesenkuddelmuddel. Lob und Tadel könnt Ihr auch in dem Konzeptions-Thread loswerden. Wir möchten nach schlechten Erfahrungen mit der Stabilität einzelner Threads diesen hier so "sauber" wie möglich halten. Jeder Kommentar ist natürlich willkommen, und jeder interessierte Schreiber darf mitmachen. Dies ist nur eine Bitte um ein wenig Disziplin.
Also nochmals herzlich willkommen, und möge die Geschichte beginnen!

TomQuarz
30.11.2001, 01:26
Und so beginnt es....


"Wer von Euch kann mir sagen, was dann geschah?"
Die junge Leherin strahlte überglücklich, als sich Ihr ein Dutzend Kinderhände entgegenreckten. Es war ihr erster Tag, und schon hatten die Kinder sie akzeptiert, hingen an ihren Lippen.
Gerade wollte sie ihre Wahl treffen, da hob sich unendlich langsam, aber mit der Grazie einer alten Tänzerin, ein schlanker Arm nach oben. Die Hand daran wackelte kurz wie die Flamme einer Kerze. Der Junge, dem die Hand gehörte, war der Lehrerin schon aufgefallen. Nämlich dadurch, daß er die ganze Stunde über geschwiegen hatte. Sein ordentlich gescheiteltes blondes Haar fiel ihm in langen Fransen in die Stirn und verdeckte fast seine wasserblauen Augen. augen, di eine unendliche Tiefe zu haben schienen. Augen, in denen man versinken konnte, in denen man sich verlieren konnte. Augen voller Traurigkeit und doch auch unterdrückter Wut. Die Leherin hatte gelernt, in den Augen von Menschen zu lesen. Daß die Augen der Spiegel der Seele waren, wußte sie besser als jeder andere Mensch auf der Welt. Hatte sie nicht ihre wunderschönen braunen Mandelaugen erst verdienen müssen?
Warm lächelte die Referendarin den blonden Jungen an und nickte ihm ermutigend zu.
"Sagst Du uns Deinen Namen? Schließlich möchte ich Euch alle kennenlernen."
Die Stimme des Kanben klang glockenhell, als er aufstand und zu sprechen begann. Es war wie die Schiffsglocke eines verlorenen Segelschiffs aus den alten Zeiten, die aus dem Nebel klang:
"Ryo Asakawa, 13 Jahre alt, Lehrerin.
In jener Nacht vor acht Jahren, die als die "Schwärzeste Nacht" bekannt wurde, versuchte eine weltweit agierende Terroristengruppe namens SEELE, die Welt mit Hilfe einer sogenannten NEO-Bombe zu vernichten. Doch durch das Opfer der Helden von NERV konnte die Kettenreaktion, die diese Bombe in der Erdatmosphäre ausgelöst hatte, im Keim erstickt werden. Dennoch zerstörte die Explosion die Stadt Neo Tokio 3 fast völlig, und die NEO-Welle richtete weltweit große Schäden an.
Inzwischen sind diese Schäden fast behoben. Unsere neue Heimatstadt Tito-City, eigentlich Trans-TOkio-CITY, erhebt sich strahlend über den Trümmern der alten Stadt, und wir, die Waisen dieser Nacht, haben als Schüler dieser Schule unter der Obhut des Staates und unserer Lehrer Wärme und Geborgenheit erleben dürfen.
Die Welt hat - so lehrte man uns - aus den Fehlern dieser Nacht gelernt. Nie wieder wollte man sich selbst so nahe an den Abgrund befördern. Daher haben die Regierungen der Welt nun endgültig einen Pakt geschlossen, der die Welt schon innerhalb von drei Jahren gänzlich vereinen wird."
"Das ist richtig", hörte sich die Lehrerin selbst sagen. Sie war wieder erstaunt, wie einfach ihr diese Lüge über die Lippen kam. Sie wußte wie kaum jemand anderes, daß damals vor acht Jahren etwas ganz anderes geschehen war. Doch die Regierung und die Organisation "WÄCHTER" - unter der Leitung Kajis, wie sie später erfuhr - beschlossen, daß die Menscheit nicht reif für die Wahrheit war. Jede Information über die EVAs, die Engel, die Dämonen, das Erscheinen des leibhaftigen Satans, wurde versteckt, verdeckt, verborgen. Hinter einem Netz aus Lügen. Und doch, war es denn so falsch? SEELE hatte die Welt in die Apokalypse treiben wollen. Mitglieder von Nerv waren gestorben, und ihr Tod hatte mit die Welt gerettet. Yuichi. Pater Viktor. Gendo. Törichter, verzweifelter, lieber Gendo.
War es nicht einfach besser, den Kindern die Last zu ersparen, die das Wissen um all diese Dinge bedeutete? Hatte sie nicht selbst acht Jahre lang versucht, all diese Erinnerungen abzuschütteln. WAR ES NICHT DAS BESTE?
"Das glaube ich nicht". Eine glockenhelle Stimme. Es war die Stimme des Jungen. "Ich glaube, in jener Nacht waren Kräfte am Werk, die sich jeglicher menschlicher Kontrolle entzogen. Kräfte von jenseits unserer Welt."
Die braunen Augen der Lehrerin flackerten nervös, als sie versuchten, das unergründliche Blau in den Augen dieses Jungen zu durchdringen, auf der Suche nach einer Antwort auf eine einzige Frage: WUSSTE ER ES? KONNTE er es wissen?
Die schlanke junge Frau taumelte leicht zurück, bis sie an der Tischplatte des Lehrerpults Halt fand. Zitternd fuhren ihre feingliedrigen Finger durch das rötlich-violette Haar.
Die Stimme eines Mädchens aus der ersten Reihe - Hikari, soweit sich die Lehrerin erinnerte - holte sie in die Gegenwart zurück. Fürsorglichkeit und Wärme klangen in den respektvollen Worten mit: "Ist Ihnen nicht wohl, Ayanami-sensei?"
Rei Ayanamis junger Körper straffte sich. "Nein, Hikari, es ist alles in Ordnung. Danke Dir. Ryo, was sagtest Du?" Reis Stimme war leicht belegt, doch fest und autoritär.
"Ich sagte, ich glaube alles das nicht. Ich habe Bilder gesehen, von gewaltigen Riesen, die sich in der Stadt bekämpften. Ich war zwar noch klein damals, aber ich habe nicht vergessen."
Rei lächelte mild. "Was Du gesehen hast, waren die EVAs. Es waren die gewaltigen Roboter von NERV, mit denen sie die Katastrophe verhinderten. Deine Phantasie ist eine gute Sache, Ryo Asakawa. Doch Du mußt sie von der Geschichtsschreibung auseinanderhalten. Du bist ein aufgeweckter Junge, das merke ich jetzt schon. Doch es geht nicht an, daß Du mich und Deine früheren Lehrer als Lügner abstempelst. Ich sollte Dich dem Direktor melden und Dich eine Strafarbeit schreiben lassen. Aber es ist unser erster gemeinsamer Tag, und darum werde ich Gnade walten lassen. Doch eine derartige Respektlosigkeit werde ich nie wieder hinnehmen! Denk' über Dein Verhalten nach, und dann sprechen wir uns morgen noch einmal darüber aus. So, und da gleich die große Pause beginnt, dürft Ihr gehen. Aber seid leise, damit der Direktor nichts merkt!"

Rei sah den Kindern durch das Fenster nach, als sie in den Hof hinausliefen. Der Anblick der spielenden Kinder im Kindergarten jenseits des Schulhofs beruhigte sie. Darum war sie Lehrerin geworden. Um diese unschuldigen kleinen Dinger aufwachsen zu sehen und ihnen dabei zu helfen, eine erfüllte Kindheit zu erleben. Die Kindheit, die sie nie gehabt hatte. Ihr Leben hatte erst vor acht Jahren begonnen, als sie schon älter war, als Ryo jetzt. Ihr war nicht wohl dabei, den Jungen so angeschnauzt zu haben. Er hatte ja recht. Als Rei in den blauen Herbsthimmel hinaufblickte, ließ sie die letzten acht Jahre ihrer Ausbildung Revue passieren. Dafür hatte sie sich nicht abgerackert, nicht dafür, Kinder zu belügen. Auch wenn diese Lügen sie schützen sollten. Hieß, diese Kinder zu belügen nicht, sich selbst zu belügen? Acht Jahre lang hatte sie versucht, vor ihrer Vergangenheit wegzulaufen. Hatte sich selbst belogen. Doch es mußte Schluß sein. Dieser Junge hatte es ihr begreiflich gemacht. Sie mußte sich der Vergangenheit stellen. Ein einziges Wort eines Dreizehnjährigen genügte, um alles wiederzubringen.
Mit dem Geschmack des LCL auf den Lippen faßte Rei einen Entschluß. Nach dem Unterrichtsende würde sie heute einen Weg gehen, den sie seit Jahren nicht mehr gegangen war. Den Weg zu dem einzigen Mann in Japan, der offiziell über die Geschehnisse von damals sprechen durfte. Kommandant Kaji. Sie mußte mit ihm über die Lügen reden. Und über die eine Frage, die sich aufdrängte: Wie konnte dieser Junge so genau wissen, was damals geschehen war? Wieso nahm er an, die EVAs seien nicht von dieser Welt? Er war damals fünf Jahre alt gewesen. Er konnte es nicht wissen.

TomQuarz
04.12.2001, 00:40
Der kühle Herbstwind streichelte Reis Waden und kroch unter ihren blauen Rock wie die kalte Hand eines verlorenen Geliebten. Gedanken an Gendo und Shinji waberten leise im Hinterkopf der jungen Frau, als sie fröstelnd ihre Wolljacke enger um die Schultern zog und ihren Schritt beschleunigte. Es hatte keinen Sinn, in der Vergangenheit zu verharren. Es war schon paradox. Die letzten Jahre hatte sie geglaubt, vorwärts gegangen zu sein, aber mit ihrer Selbsttäuschung hatte sie sich nur im Kreis gedreht.
Es war etwas nicht geheuer mit diesem Jungen. Sie hatte immer wieder mal Momente der Erinnerung gehabt, und diese Träume, die sie nicht wirklich verlassen wollten, aber nichts hatte sie emotional so gepackt.
Ein Schaudern lief durch ihren Körper. Ihre Haut erschien seidendünn, fast durchsichtig, und sie fühlte sich plötzlich zerbrechlich und fiebrig. Es konnte nicht das Wetter sein. Sie war Schlimmeres gewöhnt. Dieses Fieber war anders, jedes Beben ihrer Muskeln hinterließ ein Gefühl des Verwesung, des Todes. Übelkeit stieg in Rei Ayanami auf, und plötzlich klappte sie zusammen, als hätte man ihr den Stecker gezogen. Rei bemerkte nicht, wie sich ihr Körper am Boden krümmte und schüttelte, wie sich ihr Magen entlehrte und der ehemalige Inhalt eine stinkende Pfütze unter ihrem Gesicht bildete. Sie konnte es nicht bemerken, denn sie war an einem ganz anderen Ort.
Der Übergang war so fließend, daß Rei sich nicht einmal wunderte. Vor ihr breitete sich eben noch die Straße aus, flankiert von den herbstlichen Bäumen mit dem Laub in den Farben des Feuers. Dann verflossen die Blätter und wurden zu wirklichen Flammen, Feuer, das alles verzehrte. Rei erschrak und drehte sich um, um wegzurennen, doch das Feuer war überall. Die Schule stand in Flammen. Schreiende Kinder liefen heraus, ihre Kleider ein feuriges Inferno, das Haut und Haare verschlang. Das Kreischen der sterbenden Kleinen drang Rei in Mark und Bein. Dann hörte sie das Dröhnen. wie schwere Hammerschläge auf dem Amboß des Schicksals. Wham! Wham! Wham!
Es kam näher, schien sich über die ganze Straße auszudehnen, und mit jedem Schlag wurde die Hitze größer, unerbittlicher. Rei konnte die Luft in ihren Lungen kochen spüren. Dann sah sie es auftauchen. Wie ein Turm aus Feuer, eine Säule biblischen Ausmaßes, die sich durch die Landschaft fraß. Doch es war keine Feuersäule, denn was es auch war, es hatte Beine und Arme. Jeder Schritt ein Erdbeben, jede Bewegung der Arme ein Flächenbrand. Es war wie das personifizierte Feuer. Unaufhaltsam, allesverschlingend. Und die Stadt war sein Opfer.
Als das Wesen seine glühenden Augen auf Rei richtete, spürte sie, wie ihr Blut zu kochen begann. Sie versuchte zu schreien, doch die Luft schnitt ihr in den Rachen wie ein glühendes Eisen.
Mit einem Röcheln erstarb das Leben in ihr mit einem Aufglühen wie eine Glühbirne, wenn sie ausbrennt.
Regungslos lag der Körper des ehemaligen "Children" in seinem eigenen Erbrochenen auf der Straße. Der Herbstwind blies Blätter gegen ihre grazilen Flanken, und langsam bildeten sie dort kleine Anhäufungen, wie Wellen, die an einer Klippe brachen.
Nur ein Geräusch durchbrach die Einsamkeit dieser Szenerie. Es war das Klappern metallener Absätze auf dem Asphalt.
Ein einzelner Mann spazierte ungerührt die Allee entlang. Sein schwarzer Pferdeschwanz schien fast den Boden zu berühren, und bildete einen fast komplementären Kontrast zu seiner schmalen, bleichen Gesamtheit. Er schien alterslos, und sein Gesicht war ausdruckslos, als er über dem leblosen Körper von Rei halt machte und auf sie herabsah.
"Daß sie so übertreiben müssen, alle von ihnen. Und schon morgen ist wieder alles vorbei. Die Begrenzungen des Körpers. Warum kann dies Fleisch das Licht nicht ertragen? WARUM?
Egal, es ist nicht zu ändern. Es hat also begonnen. Meine Suche hat begonnen, endlich zu enden. Du, kleine Rei, wirst mich zu ihnen führen. Du bist auserwählt."
Der Fremde drehte sich um und ging, ohne noch einmal zurückzublicken. Der Herbstwind blies immer noch.