Scheuch
25.10.2001, 16:33
Berliner Morgenpost von heute S. 20
Als die Abrafaxe noch Digedags hießen
. . . und noch kein Film, sondern der einzige Comic der DDR waren: Erinnerungen eines «Mosaik»-Fans
Von Peter Claus
Per Bildgeschichten durch Zeiten und Länder: Zu Mauerzeiten gingen die Digedags, stellvertretend für alle Arbeiter und Bauern, auf Reisen.
Foto: Mosaik
«Ein Ritter, der den Weg nicht kennt, kommt niemals in den Orient.» Fast immer war es der kleine Schmitt, der als erster mit einem Ritter-Runkel-Spruch wie diesem auf dem Schulhof prahlte. Schmittchen nämlich besaß etwas, worum ihn in all die anderen Jungpioniere zwischen Fichtelberg und Kap Arkona beneideten, damals, in den sechziger Jahren: eine Tante namens Hilde. Und die hatte einen Traumjob: Sie arbeitete beim Postzeitungsvertrieb der DDR. So kam es, dass der rothaarige Rotzlümmel, der bei der Wahl in die Fußballmannschaft stets als Letzter auserkoren wurde, immer als erster das aktuelle «Mosaik»-Heft mit den neuesten Abenteuern des unerschrockenen Dreigespanns Dig, Dag und Digedag in seinem nach Plaste, Elaste und Leberwurststulle riechenden Ranzen verwahrte.
Getreu der nur leicht abgewandelten Runkelrüben-Redensart, ratterte er auch gern des Öfteren mit dem Schmelz des Gönners in der Stimme: «Ein Rittersmann aus gutem Holz, ist nur auf seine Tanten stolz.» Schadenfreude kam auf, als die Bildgeschichten-Lieferantin die Ritter-Regel «Hinein ins Mittelmeer! Wenn das nicht hilft, weiß ich kein Mittel mehr» wörtlich nahm, die unkleidsame Ostpostgarderobe ablegte und schon beim ersten Versuch die Prüfung zum Republikflüchtling mit Bravour bestand.
Fortan völlig chancenlos, auch nur als Ersatzspieler vom Sportkollektiv bedacht zu werden, schwänzte nun auch Schmittchen, wie seit Jahren alle Postzeitungsvertriebstantenlosen, an jedem vierten Mittwoch zwischen elf und zwölf Uhr die Schule und reihte sich ein in die erwartungsfrohe Schlange vorm Kiosk von Frau Naue. Die mit Körperfülle und Herzenswärme gleichermaßen gesegnete Händlerin gedruckter Träume folgte der bewährten preußischen Maxime «Wer zuerst kommt, malt zuerst». Also war das Gerangel groß.
Denn der 1955 von dem Zeichner Hannes Hegen aus der Taufe gehobene, monatlich erscheinende Comic um die drei Frechdachse, die Digedags, erlangte bereits kurze Zeit nach seinem Auftauchen Kultstatus. Wiewohl niemand der «Mosaik»-Anhänger aller Altersklassen im Land der Planerfüllungsmärchen und Politphrasen das Wort Kultstatus (oder gar den Begriff Comic) kannte. Das Trio und dessen jeweilige Partner, wie der bereits erwähnte Rittersmann, waren schlichtweg Familienmitglieder, die für ein paar Groschen Sehnsüchte erfüllten, wie beispielsweise Reisen auf den Mond und ins antike Rom, nach Syrakus und in die Weiten der Prärie und, gemeinsam mit Kumpel Runkel, ins Mittelalter.
«Viele Ziele, viele Treffer!» - die «Mosaik»-Macher um Hannes Hegen folgten ihren für den Ritter von der lächerlichen Gestalt kreierten Botschaften beharrlich. Die Trefferquote der Digedag-Süchtigen hingegen schwankte. Je nach Lage der Papierversorgung, und die war fast immer schief, wurde die Spitzenauflage des zunächst von der Pionierorganisation Ernst Thälmann, dann vom Zentralrat der FDJ herausgegebenen Heftes von 500 000 gedruckten Exemplaren keineswegs immer erreicht. So kam es, dass manchmal schon die Nummer drei in der Schlange vorm Naueschen Hexenhäuschen mit gesenktem Kopf und leeren Händen wieder abtraben musste.
Doch: «Wo ein Ossi ist, ist auch ein Weg.» Die DDR-Wahrheit schlug auch in diesem Fall regelmäßig durch: Matchboxautos, von der Großmutter im Fischbeinkorsett aus dem Westen geschmuggelt, Bubbelgum aus dem weihnachtlichen Westpaket oder auch mal ein dem Vater stibitzter Zehn-Mark-Schein waren wertvolle Tauschobjekte. Was selbst in der Rückschau verständlich ist: Knallbunt, phantasievoll und fern bekannter ideologischer Zeigefinger, war der Unterhaltungswert beträchtlich.
1975 verließ Hannes Hegen den Verlag und nahm die Rechte an seinen Kreationen mit. Angesichts der Digedag-Nachfolger, den Abrafaxen, konnte die Schmitt-Generation nur müde abwinken. Denn im Vergleich zum Original wirkten die neuen Knollennasen behäbig, lieferten weniger Witz, durcheilten zu häufig steril ausgedachte Episoden. Und es fehlten Lebensweisheiten à la «Selbst auf der längsten Leiter, kommt man schließlich nicht mehr weiter!» Das sagte sich wohl auch Frau Naue und schloss ihren Laden. Es ist nicht bekannt, ob es einen direkten Zusammenhang gibt zwischen dem Abtreten der Handelsfrau und dem der Digedags. Für den kleinen Schmitt und dessen Gefährten allerdings zeichnete dieser geballte Liebesentzug die Zeit des zögerlichen Erwachsenwerdens für immer. Denn: «Geht ein Wegbegleiter Dir verloren, kriegst Du ganz schnell rote Ohren.»
Als die Abrafaxe noch Digedags hießen
. . . und noch kein Film, sondern der einzige Comic der DDR waren: Erinnerungen eines «Mosaik»-Fans
Von Peter Claus
Per Bildgeschichten durch Zeiten und Länder: Zu Mauerzeiten gingen die Digedags, stellvertretend für alle Arbeiter und Bauern, auf Reisen.
Foto: Mosaik
«Ein Ritter, der den Weg nicht kennt, kommt niemals in den Orient.» Fast immer war es der kleine Schmitt, der als erster mit einem Ritter-Runkel-Spruch wie diesem auf dem Schulhof prahlte. Schmittchen nämlich besaß etwas, worum ihn in all die anderen Jungpioniere zwischen Fichtelberg und Kap Arkona beneideten, damals, in den sechziger Jahren: eine Tante namens Hilde. Und die hatte einen Traumjob: Sie arbeitete beim Postzeitungsvertrieb der DDR. So kam es, dass der rothaarige Rotzlümmel, der bei der Wahl in die Fußballmannschaft stets als Letzter auserkoren wurde, immer als erster das aktuelle «Mosaik»-Heft mit den neuesten Abenteuern des unerschrockenen Dreigespanns Dig, Dag und Digedag in seinem nach Plaste, Elaste und Leberwurststulle riechenden Ranzen verwahrte.
Getreu der nur leicht abgewandelten Runkelrüben-Redensart, ratterte er auch gern des Öfteren mit dem Schmelz des Gönners in der Stimme: «Ein Rittersmann aus gutem Holz, ist nur auf seine Tanten stolz.» Schadenfreude kam auf, als die Bildgeschichten-Lieferantin die Ritter-Regel «Hinein ins Mittelmeer! Wenn das nicht hilft, weiß ich kein Mittel mehr» wörtlich nahm, die unkleidsame Ostpostgarderobe ablegte und schon beim ersten Versuch die Prüfung zum Republikflüchtling mit Bravour bestand.
Fortan völlig chancenlos, auch nur als Ersatzspieler vom Sportkollektiv bedacht zu werden, schwänzte nun auch Schmittchen, wie seit Jahren alle Postzeitungsvertriebstantenlosen, an jedem vierten Mittwoch zwischen elf und zwölf Uhr die Schule und reihte sich ein in die erwartungsfrohe Schlange vorm Kiosk von Frau Naue. Die mit Körperfülle und Herzenswärme gleichermaßen gesegnete Händlerin gedruckter Träume folgte der bewährten preußischen Maxime «Wer zuerst kommt, malt zuerst». Also war das Gerangel groß.
Denn der 1955 von dem Zeichner Hannes Hegen aus der Taufe gehobene, monatlich erscheinende Comic um die drei Frechdachse, die Digedags, erlangte bereits kurze Zeit nach seinem Auftauchen Kultstatus. Wiewohl niemand der «Mosaik»-Anhänger aller Altersklassen im Land der Planerfüllungsmärchen und Politphrasen das Wort Kultstatus (oder gar den Begriff Comic) kannte. Das Trio und dessen jeweilige Partner, wie der bereits erwähnte Rittersmann, waren schlichtweg Familienmitglieder, die für ein paar Groschen Sehnsüchte erfüllten, wie beispielsweise Reisen auf den Mond und ins antike Rom, nach Syrakus und in die Weiten der Prärie und, gemeinsam mit Kumpel Runkel, ins Mittelalter.
«Viele Ziele, viele Treffer!» - die «Mosaik»-Macher um Hannes Hegen folgten ihren für den Ritter von der lächerlichen Gestalt kreierten Botschaften beharrlich. Die Trefferquote der Digedag-Süchtigen hingegen schwankte. Je nach Lage der Papierversorgung, und die war fast immer schief, wurde die Spitzenauflage des zunächst von der Pionierorganisation Ernst Thälmann, dann vom Zentralrat der FDJ herausgegebenen Heftes von 500 000 gedruckten Exemplaren keineswegs immer erreicht. So kam es, dass manchmal schon die Nummer drei in der Schlange vorm Naueschen Hexenhäuschen mit gesenktem Kopf und leeren Händen wieder abtraben musste.
Doch: «Wo ein Ossi ist, ist auch ein Weg.» Die DDR-Wahrheit schlug auch in diesem Fall regelmäßig durch: Matchboxautos, von der Großmutter im Fischbeinkorsett aus dem Westen geschmuggelt, Bubbelgum aus dem weihnachtlichen Westpaket oder auch mal ein dem Vater stibitzter Zehn-Mark-Schein waren wertvolle Tauschobjekte. Was selbst in der Rückschau verständlich ist: Knallbunt, phantasievoll und fern bekannter ideologischer Zeigefinger, war der Unterhaltungswert beträchtlich.
1975 verließ Hannes Hegen den Verlag und nahm die Rechte an seinen Kreationen mit. Angesichts der Digedag-Nachfolger, den Abrafaxen, konnte die Schmitt-Generation nur müde abwinken. Denn im Vergleich zum Original wirkten die neuen Knollennasen behäbig, lieferten weniger Witz, durcheilten zu häufig steril ausgedachte Episoden. Und es fehlten Lebensweisheiten à la «Selbst auf der längsten Leiter, kommt man schließlich nicht mehr weiter!» Das sagte sich wohl auch Frau Naue und schloss ihren Laden. Es ist nicht bekannt, ob es einen direkten Zusammenhang gibt zwischen dem Abtreten der Handelsfrau und dem der Digedags. Für den kleinen Schmitt und dessen Gefährten allerdings zeichnete dieser geballte Liebesentzug die Zeit des zögerlichen Erwachsenwerdens für immer. Denn: «Geht ein Wegbegleiter Dir verloren, kriegst Du ganz schnell rote Ohren.»