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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Eure Lieblingslyriker und ihre Werke



Isochinolin
08.08.2003, 09:56
Ich hab mir gedacht, ich mach mal einen Thread auf, in dem jeder Gedichte und Dichter vorstellen kann, die ihm gefallen. Hier kann natürlich auch interpretiert und diskutiert werden.

Ich starte gleich mal mit einem Gedicht von William Butler Yeats:

NEVER GIVE ALL THE HEART

Never give all the heart, for love
Will hardly seem worth thinking of
To passionate women if it seem
Certain, and they never dream
That it fades out from kiss to kiss;
For everthing that`s lovely is
But a brief, dreamy, kind delight
O never give the heart outright,
For they, for all smooth lips can say,
Have given their heart up to the play.
And who could play it well enough
If deaf and dumb and blind with love?
He, that made this knows all the cost,
For he gave all his heart and lost

Yeats hat eine Menge Gedichte über die Liebe geschrieben, aber auch über viele irische Legenden und über die politischen Verhältnisse zu seinen Lebzeiten.

imported_feli
08.08.2003, 10:21
Eva Strittmatter! :)

Schnee

Heut fühle ich zum ersten Mal
Wie Tote fühlen, wenn es schneit.
Es schneit so einsam vor sich hin.
Und man hat für die Stille Zeit

Und horcht den kleinen Schneegeräuschen,
Dem Knistern, Flüstern oder was.
Und man braucht niemand mehr zu täuschen.
Und es gibt Schnee und nichts als das.

Und man lernt gründlich, was die Welt war,
Die grüne, die von Gras und Stein,
Und wie geräumig der Fleck der Erde,
Der schien uns sonst so seltsam klein

Und nimmt nun uns auf und nimmt andre,
Die nach uns kommen nach der Zeit.
Und nahm die Fremden, die vor uns warn.
Und auch auf sie hat es geschneit . . .

Aus dem Sammelband "Zwiegespräch".

Regenengel
08.08.2003, 13:20
Hilde Domin ^__^

Ich war auch schon in einer Lesung von ihr und habe mir einen Gedichteband signieren lassen *g*

Folgendes Gedicht hat schon wie vieles bei ihr einen religiösen Touch, aber es steckt auch ohne jüdischen oder christlichen Glauben viel dahinter.
Den letzten Teil hat sie nachträglich hinzugefügt, als die Mondlandung war.
Ich habe es ohne Satzzeichen hier gespeichert und weiß gerade nicht, ob das auch im Original so war, sorry ^^"



Abel steh auf

Abel steh auf
es muß neu gespielt werden
täglich muß es neu gespielt werden
täglich muß die Antwort noch vor uns sein
die Antwort muß ja sein können
wenn du nicht aufstehst Abel
wie soll die Antwort
diese einzig wichtige Antwort
sich je verändern
wir können alle Kirchen schließen
und alle Gesetzbücher abschaffen
in allen Sprachen der Erde
wenn du nur aufstehst
und es rückgängig machst
die erste falsche Antwort
auf die einzige Frage
auf die es ankommt
steh auf
damit Kain sagt
damit er es sagen kann
Ich bin dein Hüter
Bruder
wie sollte ich nicht dein Hüter sein
Täglich steh auf
damit wir es vor uns haben
dies Ja ich bin hier
ich
dein Bruder

Damit die Kinder Abels
sich nicht mehr fürchten
weil Kain nicht Kain wird
Ich schreibe dies
ich ein Kind Abels
und fürchte mich täglich
vor der Antwort
die Luft in meiner Lunge wird weniger
wie ich auf die Antwort warte

Abel steh auf
damit es anders anfängt
zwischen uns allen

Die Feuer die brennen
das Feuer das brennt auf der Erde
soll das Feuer von Abel sein

Und am Sch.wanz der Raketen
sollen die Feuer von Abel sein

(Bezüglich vorletzter Zeile: Verflucht sei die Zensur normaler, deutscher Wörter :O)

Aber ich suche noch ein anderes über die Macht des Wortes. Das habe ich in der zentralen Klassenarbeit (eine Art Ersatz für die Mittlere Reife Prüfung am Gymnasium) interpretiert ;)

imported_feli
08.08.2003, 16:04
Ah ja, der Rabe Nimmermehr - Ein echter Klassiker. :)

Makoto
08.08.2003, 21:36
Es gibt mehrere gedichte, die ich gut oder sogar sehr gut finde, die meisten davon sind ncicht bekannt und von einigenkenne ich nichtmal den Autor.. macht das was oder darf ich die dann trotzdem posten?
Naja.. erstmal hab ich eines von Margot Bickel

Leben

Es ist zu einfach
einen Straßenlöter zu streicheln,
zuzusehen, wie er in ein Auto läuft
und zu sagen,
es war nicht mein Hund

Es ist zu einfach
eine Rose zu bewundern
sie zu pflücken
und zu vergessen
Wasser in die Vase zu geben

Es ist zu einfach
einen Menschen zu benutzen
zu Lieben uohne liebe
ihn stehenzulassen und zu sagen,
ich kenne ihn nicht mehr

Es ist zu einfach
seine fehler zu kennen
sie auszuleben
auf Kosten anderer und zu sagen
ich bin eben so

Es ist zu einfach
schließlich
ist
Leben
einfach
eine
ernste
Sache



Ich finde, man kann über dieses Gedicht gut nachdenken und leider stimmt es auch.. und manche Mensachen sollten es wirklich mal lesen und sich darüber Gedanken machen...

Morry
09.08.2003, 19:23
Ich geb mal mein lieblings gedicht (besser eins meiner lieblingsgedichte) zum besten.


Die Sterne

Ich sehe oft um Mitternacht,
wenn ich mein Werk getan
und niemand mehr im Hause wacht,
die Stern am Himmel an.

Sie gehen da, hin und her zerstreut,
als Lämmer auf der Flur;
in Rudeln und auch aufgereiht
wie Perlen an der Schnur;

und funkeln alle weit und breit
und funkeln rein und schön;
ich seh die große Herrlichkeit
und kann nicht satt mich sehen...

Dann sagt unterm Himmelszelt,
mein Herz mir in der Brust:
es gibt was Besseres in der Welt
als all ihr Schmerz und Lust.

Ich werf mich auf mein Lager hin
und liege lange wach
und suche es in meinem Sinn
und sehne mich danach.

Matthias Claudius (Asmus)

Laia
11.08.2003, 09:03
Das ist mein Lieblingsgedicht, aber ich weiß leider nicht, von wem es ist..


Zwei

Drüben Du, mir deine weiße
Rose übers Wasser zeigend,
Hüben ich, Dir meine dunkle
Sehnsüchtig entgegenneigend.

In dem breiten Strome, der uns
Scheidet, zittern unsere blassen
Schatten, die vergebens suchen,
Sich zu finden, sich zu fassen.

Und so stehn wir, unser Stammeln
Stirbt im Wind, im Wellenrauschen,
Und wir können nichts als unsere
Stummen Sehnsuchtswinke tauschen.

Leis, gespenstisch, zwischen unsern
Dunklen Ufern schwimmt ein wilder
Schwarzer Schwan, und seltsam schwanken
Unsere blassen Spiegelbilder.



Was ich auch total mag, ist "Die Bürgschaft" von Schiller, aber dürfte ja schon jeder kennen, oder? :)


Lizzy

Regenengel
11.08.2003, 10:17
Was wolltest du mit dem Dolche, sprich! :D
(Da gibt es auch eine geile Verarsche [sorry für den Ausdruck *g*], ich weiß nur gerade nicht, von wem ^^")

Ach und eine kleine Gogglesuche ergab das hier: "Zwei" von Gustav Falke (http://www.gedichtepool.de/autorf_falke_zwei.htm) ;)


Hm, was ich schon als kleines Mädchen toll fand, was "Der Handschuh (http://www.gutenberg2000.de/schiller/gedichte/handschu.htm)" (Schiller), das hat mein Vater mir immer vorgetragen (auswendig natürlich) und ich wollte es auch unbedingt lernen... na ja, die ersten 2 Strophen konnte ich dann mal *lol*. Aber fragt mich nicht, was das kleine Engelchen daran so fasziniert hat, vermutlich die Katzen :D (oder doch unbewusst die Haltung des Ritters :wiry: :D)

imported_feli
11.08.2003, 10:38
"In seinem Löwengarten, das Kampfspiel zu erwarten..."

In der sechsten Klasse durfte ich den Handschuh, Zauberlehrling und John Maynard lernen. Gleichzeitig... :dead: Nur zu gut, erinnere ich mich.
Dennoch Klassiker schlecht hin.

Regenengel
11.08.2003, 10:47
Original von ~susi~
In der sechsten Klasse durfte ich den Handschuh, Zauberlehrling und John Maynard lernen. Gleichzeitig... :dead: Nur zu gut, erinnere ich mich.
Dennoch Klassiker schlecht hin.
Ach ja, den Zauberlehrling... dazu habe ich ein tolles Bild in mein Deutschheft gemalt damals *g* (Himmel, ist das lange her... ich fühl mich auf einmal so alt ^^"). Aber das Gedicht mag ich auch sehr gerne...

Gerade ist mir noch was eingefallen: "Tand, Tand, ist das Gebilde von Menschenhand"
Na, wer kann die bekannte Zeile zuordnen? :D (Huch, habe ich jetzt etwa den Thread velwechsert? *gg*) (Ein unbestimmtes Gefühl sagt mir, dass susi es kennt :D)

Lösung (http://www.gutenberg2000.de/fontane/gedichte/tay.htm) ;)

Wir haben es damals in der Schule mit verteilten Rollen vorgetragen und alle möglichen Sprechhaltungen ausprobiert. Das hat mir wahnsinnig gut gefallen ^^

imported_feli
11.08.2003, 10:59
Original von Regenengel
Gerade ist mir noch was eingefallen: "Tand, Tand, ist das Gebilde von Menschenhand"
Na, wer kann die bekannte Zeile zuordnen? :D (Huch, habe ich jetzt etwa den Thread velwechsert? *gg*) (Ein unbestimmtes Gefühl sagt mir, dass susi es kennt :D)

Wir haben es damals in der Schule mit verteilten Rollen vorgetragen und alle möglichen Sprechhaltungen ausprobiert. Das hat mir wahnsinnig gut gefallen ^^

Bist du Hellseher? Das ist von Fontane... (Einer meiner liebsten Dichter und Schriftsteller - sowas muss man kennen) :)
Die Brücke am Tay ... Oder? Nicht das ich mich irre. *g*
(Ich ignoriere mal ganz großzügig den Link mit der Lösung... Pfui, Regen! :D)

Wir haben mal John Maynard mit verteilten Rollen gelesen - Ich war John Maynard. :D :dead:

Regenengel
11.08.2003, 11:07
Original von ~susi~
Bist du Hellseher? Das ist von Fontane... (Einer meiner liebsten Dichter und Schriftsteller - sowas muss man kennen) :)

Wir haben mal John Maynard mit verteilten Rollen gelesen - Ich war John Maynard. :D :dead:
Nein, aber ich weiß, dass du ihn magst ;) :D

Ich war natürlich eine der Hexen :D

"John Maynard" haben wir auch in der Schule behandelt... ich glaube, damit wäre ich aber fast durch mit meinen Schulkenntnissen, zumindest dieser Art von Gedichten. Ansonsten haben wir mehr Liebeslyrik (auch von Goethe, ja), Barock und Romantik (Abithema) gemacht. Nicht zu vergessen die Mittelalterlyrik bzw. Minnegesänge *g*

imported_feli
11.08.2003, 11:14
Meine Leidenschaft kann ich schlecht verheimlichen. ^_^
Mittelalterliche Lyrik finde ich sehr schwer, weil das auch noch eine Urform der dt. Sprache war.

Erich Kästner schreibt übrigens auch ganz tolle Gedichte - Ich muss mal sehen ob ich ein gutes in der Nähe habe. :D

http://mitglied.lycos.de/spangenberg/gedichte/kaest01.html

Leider ist mein Liebstes nicht dabei, aber habe ich den Jubiläumsband wieder hier, poste ich es mal. :)

Laia
12.08.2003, 17:59
Gedichte von Kästner mag ich auch ^^.
Und die von Heinz Erhardt find ich genial. Hier ist ne Veraxxxxung vom Erlkönig:

Der König Erl
Wer reitet so spät durch Wind und Nacht?
Es ist der Vater, es ist gleich acht.
Im Arm er den Knaben wohl hält,
Er hält ihn warm, denn er ist erkält´.
Halb drei, halb vier,es wird schon hell
Und immer noch reitet der Vater schnell
Erreicht den Hof mit Müh und Not,
Der Knabe lebt, das Pferd ist tot.


Den Zauberlehrling hab ich auch mal auswendig gelernt (die Bürgschaft auch). Hat aber Spaß gemacht :laugh1:
Regenengel, kennst du die Veraxxxxx (grins) von der Bürgschaft *Dackelblick aufsetz* :bigrazz:


Lizzyyyy :rolling:

Killa
28.08.2003, 19:56
Meiner meinung nach is der beste auto aller zeiten Tolkien und sein herr der ringe hab es sogar in englisch gelesn :)
dannach kommedgar Allan Poe .der schreibt so ur geile gruselgschichten :)

imported_kira
29.08.2003, 11:09
hm kaestner schreibt geniale gedichte... so richtig schön bissig :) hab grad keins da... aber "sachliche romanze" ist klasse, und letztens hatten wir in der uni ein weihnachtsgedicht von ihm....

mein absoluter liebling jedoch ist und bleibt "willkommen und abschied" von goethe :) .oO(wer kennt es nicht^^)

zu mittelalterlicher lyrik: ich hatte gerade ein semester lang die einführung ins mittelhochdeutsche... da haben wir eine verserzählung gelesen. aber ich war so sehr damit beschäftigt, die veränderungen der worte zum nhd nachzuvollziehen und den text zu übersetzen, daß einfach nur ein "genuß" der worte leider nicht möglich war *seufz*

Julesahne
31.03.2007, 22:45
"die brück am tay" mussten wir auch in verteilten rollen vorlesen (ich wurde wie immer übergangen) und meine mitschüler, die die hexen lesen mussten, hatten wirkliche probleme gewisse stellen synchron auszusprechen -.-

ich mag gedichte von hesse, borchert, lasker-schüler und natürlich rilke <3

STUFEN
( Hesse)

Wie jede Blüte welkt
und jede Jugend dem Alter weicht,
blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in and're, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten!
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt,
so droht Erschlaffen!
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewohnheit sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden:
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden.
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

DER KUSS
(Borchert)

Es regnet - doch sie merkt es kaum,
weil noch ihr Herz vor Glück erzittert:
Im Kuß versank die Welt im Traum.
Ihr Kleid ist naß und ganz zerknittert

und so verächtlich hochgeschoben,
als wären ihre Knie für alle da.
Ein Regentropfen, der zu Nichts zerstoben,
der hat gesehn, was niemand sonst noch sah.

So tief hat sie noch nie gefühlt -
so sinnlos selig müssen Tiere sein!
Ihr Haar ist wie zu einem Heiligenschein zerwühlt -
Laternen spinnen sich drin ein.

WELTENDE
(Lasker-Schüler)

Es ist ein Weinen in der Welt,
Als ob der liebe Gott gestorben wär,
Und der bleierne Schatten, der niederfällt,
Lastet grabesschwer.

Komm, wir wollen uns näher verbergen…
Das Leben liegt in aller Herzen
Wie in Särgen.

Du! wir wollen uns tief küssen -
Es pocht eine Sehnsucht an die Welt,
An der wir sterben müssen.

DER PANTHER
(Rilke)

Im Jardin des Plantes, Paris

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.


ist ja auch ein sehr bekanntes gedicht, zumindest dachte ich das immer, bis letztens bei "wer wird millinär?" ein zitat aus dem gedicht nicht zuordnen konnte und auch nur 59% des publikums wussten, das betreffende textzeile aus dem panther stammte.

sweet0jeanne
30.10.2007, 12:32
Gottfried Benn!


Kleine Aster

Ein ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt.
Irgendeiner hatte ihm eine dunkelhelllila Aster
zwischen die Zähne geklemmt

Als ich von der Brust aus
unter der Haut
mit einem langen Messer
Zunge und Gaumen herausschnitt,
muss ich sie angestoßen haben, denn sie glitt
in das nebenliegende Gehirn.
Ich packte sie ihm in die Brusthöhle
zwischen die Holzwolle,
als man zunähte.

Trinke dich satt in deiner Vase!
Ruhe sanft,
kleine Aster!


Der Arzt 2

Die Krone der Schöpfung, das Schwein, der Mensch -:
geht doch mit anderen Tieren um!
Mit siebzehn Jahren Filzläuse,
zwischen üblen Schnauzen hin und her,
Darmkrankheiten und Alimente,
Weiber und Infusorien,
mit vierzig fängt die Blase an zu laufen-:
meint ihr, um solch Geknolle wuchs die Erde
von Sonne bis zum Mond -? Was kläfft ihr denn?
Ihr sprecht von Seele - Was ist eure Seele?
Verkackt die Greisin Nacht für Nacht ihr Bett -
schmiert sich der Greis die mürben Schenkel zu,
und ihr reicht Fraß, es in den Darm zu lümmeln,
meint ihr, die Sterne samten ab vor Glück...?
Äh! - Aus erkaltendem Gedärm
spie Erde wie aus anderen Löchern Feuer,
eine Schnauze Blut empor -:
das torkelt
den Abwärtsbogen
selbstgefällig in den Schatten.




:engel: :engel: :engel:

J@Zz
27.12.2007, 14:21
Rainer Maria Rilke
Herbsttag

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Genosse Horn
03.01.2008, 13:41
Rose Ausländer – Ins Nichts gespannt

Fäden ins Nichts gespannt,
verwoben in das Material der Qual,
ein Muster lückenlos auf grauem Grund
wie es ein schwarzer Wille anbefahl.

Das Rot, das Blau, das Grün versagt.
Zäh fügt sich Zug um Zug das Bild der Schmach
Und wenn ein faden sich zu röten wagt,
wird doppelt dunkel unser Ungemach.

So sorgt die viel geübte Henkershand
Für einen starken Stoff aus Gram gewebt
ein Kleid, dem jeder Körper widerstrebt.

Und der einst Bruder stand, steht abgewandt
Und trägt das Zerrbild der verruchten Zeit
In seinem Blick der Unbekümmertheit.

La Chatte Noire
04.01.2008, 22:01
Georg Herwegh - Aufruf 1841

Reißt die Kreuze aus der Erden!
Alle sollen Schwerter werden,
Gott im Himmel wird's verzeihn.
Lasst, oh lasst das Verseschweißen!
Auf den Ambos legt das Eisen!
Heiland soll das Eisen sein.

Eure Tannen, eure Eichen -
Habt die grünen Fragezeichen
Deutscher Freiheit ihr gewahrt?
Nein, sie soll nicht untergehen!
Doch ihr fröhlich Auferstehen
Kostet eine Höllenfahrt.

Deutsche, glaubet euren Sehern,
Unsre Tage werden ehern,
Unsre Zukunft klirrt in Erz;
Schwarzer Tod ist unser Sold nur,
Unser Gold ein Abendgold nur,
Unser Rot ein blutend Herz!

Reißt die Kreuze aus der Erden!
Alle sollen Schwerter werden,
Gott im Himmel wird's verzeihn.
Hört er unsre Feuer brausen
Und sein heilig Eisen sausen,
Spricht er wohl den Segen drein.

In den Städten sei nur Trauern,
Bis die Freiheit von den Mauern
Schwingt die Fahnen in das Land;
Bis du, Rhein, durch freie Bogen
Donnerst, lass die letzten Wogen
Fluchend knirschen in den Sand.

Reißt die Kreuze aus der Erden!
Alle sollen Schwerter werden,
Gott im Himmel wird's verzeihn.
Gen Tyrannen und Philister!
Auch das Schwert hat seine Priester,
Und wir wollen Priester sein!

Vor der Freiheit sei kein Frieden,
Sei dem Mann kein Weib beschieden
Und kein golden Korn dem Feld;
Vor der Freiheit, vor dem Siege
Seh' kein Säugling aus der Wiege
Frohen Blickes in die Welt!

Lion
05.01.2008, 00:05
Eins meiner Lieblingsgedichte, jedenfalls von den großen Künstlern:

Kurt Tucholsky - Augen in der Großstadt

Wenn du zur Arbeit gehst
am frühen Morgen,
wenn du am Bahnhof stehst
mit deinen Sorgen:
da zeigt die Stadt
dir asphaltglatt
im Menschentrichter
Millionen Gesichter:
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider -
Was war das? vielleicht dein Lebensglück...
vorbei, verweht, nie wieder.

Du gehst dein Leben lang
auf tausend Straßen;
du siehst auf deinem Gang, die
dich vergaßen.
Ein Auge winkt,
die Seele klingt;
du hast's gefunden,
nur für Sekunden...
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider -
Was war das? Kein Mensch dreht die Zeit zurück...
Vorbei, verweht, nie wieder.

Du mußt auf deinem Gang
durch Städte wandern;
siehst einen Pulsschlag lang
den fremden Andern.
Es kann ein Feind sein,
es kann ein Freund sein,
es kann im Kampfe dein
Genosse sein.
Er sieht hinüber
und zieht vorüber ...
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider -
Was war das?
Von der großen Menschheit ein Stück!
Vorbei, verweht, nie wieder.

Genosse Horn
05.01.2008, 02:05
Original von Dragonblood
Eins meiner Lieblingsgedichte, jedenfalls von den großen Künstlern:

Kurt Tucholsky - Augen in der Großstadt

Wenn du zur Arbeit gehst
am frühen Morgen,
wenn du am Bahnhof stehst
mit deinen Sorgen:
da zeigt die Stadt
dir asphaltglatt
im Menschentrichter
Millionen Gesichter:
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider -
Was war das? vielleicht dein Lebensglück...
vorbei, verweht, nie wieder.

Du gehst dein Leben lang
auf tausend Straßen;
du siehst auf deinem Gang, die
dich vergaßen.
Ein Auge winkt,
die Seele klingt;
du hast's gefunden,
nur für Sekunden...
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider -
Was war das? Kein Mensch dreht die Zeit zurück...
Vorbei, verweht, nie wieder.

Du mußt auf deinem Gang
durch Städte wandern;
siehst einen Pulsschlag lang
den fremden Andern.
Es kann ein Feind sein,
es kann ein Freund sein,
es kann im Kampfe dein
Genosse sein.
Er sieht hinüber
und zieht vorüber ...
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider -
Was war das?
Von der großen Menschheit ein Stück!
Vorbei, verweht, nie wieder.

brilliantes gedicht, hätt ich villeicht selber auch gepostet *___*

btw. kennt jemand von euch "Die TodesfugE" von Paul Celan ?

black_widow
19.01.2008, 21:36
@ Treize Khushrenada

Ich liebe dieses Gedicht! :wow: Als wir es im Unterricht durchgenommen haben, habe ich mich freiwillig gemeldet es vorzutragen xD
Und ich habe ein Referat über Paul Celan gehalten.

Genosse Horn
20.01.2008, 00:16
Original von black_widow
@ Treize Khushrenada

Ich liebe dieses Gedicht! :wow: Als wir es im Unterricht durchgenommen haben, habe ich mich freiwillig gemeldet es vorzutragen xD
Und ich habe ein Referat über Paul Celan gehalten.

ich auch ^^

Manga-Freak Xtina
20.01.2008, 10:41
Meine absolute Lieblingsballade.


Erlkönig
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er fasst ihn sicher, er hält ihn warm.

Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? -
Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Kron' und Schweif? -
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. -

"Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel' ich mit dir;
Manch bunte Blumen sind an dem Strand;
Meine Mutter hat manch gülden Gewand."

Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht? -
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind!
In dürren Blättern säuselt der Wind. -

"Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein."

Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort? -
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau;
Es scheinen die alten Weiden so grau. -

"Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt." -
Mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan! -

Dem Vater grauset's, er reitet geschwind,
Er hält in Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Mühe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.

Johann Wolfgang von Goethe

sweet0jeanne
29.01.2008, 15:32
Der Schmetterling
(Hermann Hesse)

Mir war ein Weh geschehen,
Und da ich durch die Felder ging,
Da sah ich einen Schmetterling,
Der war so weiß und dunkelrot,
Im blauen Winde wehen.

O du! In Kinderzeiten,
Da noch die Welt so morgenklar
Und noch so nah der Himmel war,
Da sah ich dich zum letztenmal
Die schönen Flügel breiten.

Du farbig weiches Wehen,
Das mir vom Paradiese kam,
Wie fremd muß ich und voller Scham
Vor deinem tiefen Gottesglanz
Mit spröden Augen stehen!

Feldeinwärts ward getrieben
Der weiß’ und rote Schmetterling,
Und da ich träumend weiterging,
War mir vom Paradiese her
Ein stiller Glanz geblieben.



Der Tiger
William Blake

Tiger, Tiger, hell entfacht
In den Waldungen der Nacht,
Welches Gottes Aug und Hand
Nur dein entsetzlich Gleichmaß band?

Welcher Himmelsabgrund kennt
Feuer, das im Aug dir brennt?
Wessen Flügel war Bedräuer?
Welche Hand griff nach dem Feuer?

Welche Schulter, welch Gesetz
Flocht dein Herz als sehnig Netz?
Und als erstmals schlug voll Grauen,
Welche Schreckenhand und Klauen?

Was der Hammer? Was das Feuer?
Und dein Hirn in welcher Esse?
Amboß was? Wes Griff gepreßt
Hielt dein tödlich Schreckenbild fest?

Als die Sterne Speere schossen
und Tränen in den Himmel gossen,
Sah lächelnd Er Sein Werk vor Sich?
Schuf Er, der auch das Lamm schuf, dich?

Tiger, Tiger, grelle Pracht
in den Dickichten der Nacht,
Welches Gottes Aug und Hand
Mut für dein furchtbar Gleichmaß fand?

Koji
29.01.2008, 16:28
Roald Dahl hat einen herrlichen Humor. Eigentlich hab ich's mit Gedichten nicht so, besonders die zu interpretieren fällt mir schwer.

Little Red Riding Hood and the Wolf - Roald Dahl

As soon as Wolf began to feel
That he would like a decent meal,
He went and knocked on Grandma's door.
When Grandma opened it, she saw
The sharp white teeth, the horrid grin,
And Wolfie said, "May I come in?'
Poor Grandmamma was terrified,
"He's going to eat me up!'' she cried.

And she was absolutely right.
He ate her up in one big bite.
But Grandmamma was small and tough,
And Wolfie wailed, "That's not enough!
I haven't yet begun to feel
That I have had a decent meal!''
He ran around the kitchen yelping,
"I've got to have a second helping!''
Then added with a frightful leer,
"I'm therefore going to wait right here
Till Little Miss Red Riding Hood
Comes home from walking in the wood.''
He quickly put on Grandma's clothes,
(Of course he hadn't eaten those).
He dressed himself in coat and hat.
He put on shoes, and after that
He even brushed and curled his hair,
Then sat himself in Grandma's chair.
In came the little girl in red.
She stopped. She stared. And then she said,

"What great big ears you have, Grandma.''
"All the better to hear you with,'' the Wolf replied.
"What great big eyes you have, Grandma.''
said Little Red Riding Hood.
"All the better to see you with,'' the Wolf replied.

He sat there watching her and smiled.
He thought, I'm going to eat this child.
Compared with her old Grandmamma
She's going to taste like caviar.

Then Little Red Riding Hood said, "But Grandma,
what a lovely great big furry coat you have on.''

"That's wrong!'' cried Wolf. "Have you forgot
To tell me what BIG TEETH I've got?
Ah well, no matter what you say,
I'm going to eat you anyway.''
The small girl smiles. One eyelid flickers.
She whips a pistol from her knickers.
She aims it at the creature's head
And bang bang bang, she shoots him dead.
A few weeks later, in the wood,
I came across Miss Riding Hood.
But what a change! No cloak of red,
No silly hood upon her head.
She said, "Hello, and do please note
My lovely furry wolfskin coat.''

sweet0jeanne
30.01.2008, 09:54
Blauer Schmetterling

Flügelt ein kleiner blauer
Falter vom Wind geweht,
Ein perlmutterner Schauer,
Glitzert, flimmert, vergeht.
So mit Augenblicksblinken,
So im Vorüberwehn
Sah ich das Glück mir winken,
Glitzern, flimmern, vergehn.



Im Nebel
Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den anderen,
Jeder ist allein.

Voll von Freuden war mir die Welt,
Als noch mein Leben Licht war,
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkle kennt,
Das unentrinnbar und leise.
Von allen ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist einsam sein.
Kein Mensch kennt den anderen,
Jeder ist allein



Das waren noch zwei kleine Gedichte von Hermann Hesse... :D

Manga-Freak Xtina
30.01.2008, 14:10
Was ich ja auch sehr schön finde, ist "Die Vergeltung" von Droste-Hülshoff. Ich mag die Ironie am Ende... Batavia....

Die Vergeltung

I.

Der Kapitän steht an der Spiere,
Das Fernrohr in gebräunter Hand,
Dem schwarzgelockten Passagiere
Hat er den Rücken zugewandt.
Nach einem Wolkenstreif in Sinnen
Die beiden wie zwei Pfeiler sehn,
Der Fremde spricht: »Was braut da drinnen?«
»Der Teufel«, brummt der Kapitän.

Da hebt von morschen Balkens Trümmer
Ein Kranker seine feuchte Stirn,
Des Äthers Blau, der See Geflimmer,
Ach, alles quält sein fiebernd Hirn!
Er läßt die Blicke, schwer und düster,
Entlängs dem harten Pfühle gehn,
Die eingegrabnen Worte liest er:
»Batavia. Fünfhundertzehn.«

Die Wolke steigt, zur Mittagsstunde
Das Schiff ächzt auf der Wellen Höhn,
Gezisch, Geheul aus wüstem Grunde,
Die Bohlen weichen mit Gestöhn.
»Jesus, Marie! wir sind verloren!«
Vom Mast geschleudert der Matros',
Ein dumpfer Krach in aller Ohren,
Und langsam löst der Bau sich los.

Noch liegt der Kranke am Verdecke,
Um seinen Balken fest geklemmt,
Da kommt die Flut, und eine Strecke
Wird er ins wüste Meer geschwemmt.
Was nicht geläng' der Kräfte Sporne,
Das leistet ihm der starre Krampf,
Und wie ein Narwal mit dem Horne
Schießt fort er durch der Wellen Dampf

Wie lange so? er weiß es nimmer,
Dann trifft ein Strahl des Auges Ball,
Und langsam schwimmt er mit der Trümmer
Auf ödem glitzerndem Kristall.
Das Schiff! - die Mannschaft! - sie versanken.
Doch nein, dort auf der Wasserbahn,
Dort sieht den Passagier er schwanken
In einer Kiste morschem Kahn.

Armsel'ge Lade! sie wird sinken,
Er strengt die heisre Stimme an:
»Nur grade! Freund, du drückst zur Linken!«
Und immer näher schwankt's heran,
Und immer näher treibt die Trümmer,
Wie ein verwehtes Möwennest;
»Courage!« ruft der kranke Schwimmer,
»Mich dünkt ich sehe Land im West!«

Nun rühren sich der Fähren Ende,
Er sieht des fremden Auges Blitz,
Da plötzlich fühlt er starke Hände,
Fühlt wütend sich gezerrt vom Sitz.
»Barmherzigkeit! ich kann nicht kämpfen.«
Er klammert dort, er klemmt sich hier;
Ein heisrer Schrei, den Wellen dämpfen,
Am Balken schwimmt der Passagier.

Dann hat er kräftig sich geschwungen,
Und schaukelt durch das öde Blau,
Er sieht das Land wie Dämmerungen
Enttauchen und zergehn in Grau.
Noch lange ist er so geschwommen,
Umflattert von der Möve Schrei,
Dann hat ein Schiff ihn aufgenommen,
Viktoria! nun ist er frei!

II.

Drei kurze Monde sind verronnen,
Und die Fregatte liegt am Strand,
Wo mittags sich die Robben sonnen,
Und Bursche klettern übern Rand,
Den Mädchen ist's ein Abenteuer
Es zu erschaun vom fernen Riff,
Denn noch zerstört ist nicht geheuer
Das greuliche Korsarenschiff.

Und vor der Stadt da ist ein Waten,
Ein Wühlen durch das Kiesgeschrill,
Da die verrufenen Piraten
Ein jeder sterben sehen will.
Aus Strandgebälken, morsch, zertrümmert,
Hat man den Galgen, dicht am Meer,
In wüster Eile aufgezimmert.
Dort dräut er von der Düne her!

Welch ein Getümmel an den Schranken! -
»Da kommt der Frei - der Hessel jetzt -
Da bringen sie den schwarzen Franken,
Der hat geleugnet bis zuletzt.«
»Schiffbrüchig sei er hergeschwommen«,
Höhnt eine Alte: »ei, wie kühn!
Doch keiner sprach zu seinem Frommen,
Die ganze Bande gegen ihn.«

Der Passagier, am Galgen stehend,
Hohläugig, mit zerbrochnem Mut,
Zu jedem Räuber flüstert flehend:
»Was tat dir mein unschuldig Blut?
Barmherzigkeit! - so muß ich sterben
Durch des Gesindels Lügenwort,
O, mög' die Seele euch verderben!«
Da zieht ihn schon der Scherge fort.

Er sieht die Menge wogend spalten -
Er hört das Summen im Gewühl -
Nun weiß er, daß des Himmels Walten
Nur seiner Pfaffen Gaukelspiel!
Und als er in des Hohnes Stolze
Will starren nach den Ätherhöhn,
Da liest er an des Galgens Holze:
»Batavia. Fünfhundertzehn.«

sweet0jeanne
08.12.2008, 20:43
Ich bin vor kurzem über ein Gedicht von Berthold Brecht gestolpert und es
hat mich erschüttert, verwirrt und ich krieg es nicht mehr aus dem Kopf...

Über die Verführung von Engeln(1948)

Engel verführt man gar nicht oder schnell.
Verzieh ihn einfach in den Hauseingang
Steck ihm die Zunge in den Mund und lang
Ihm untern Rock, bis er sich naß macht, stell
Ihn das Gesicht zur Wand, heb ihm den Rock
Und fick ihn. Stöhnt er irgendwie beklommen
Dann halt ihn fest und laß ihn zweimal kommen
Sonst hat er dir am Ende einen Schock.

Ermahn ihn, daß er gut den Hintern schwenkt
Heiß ihn dir ruhig an die Hoden fassen
Sag ihm, er darf sich furchtlos fallen lassen
Dieweil er zwischen Erd und Himmel hängt —

Doch schau ihm nicht beim Fi*ken ins Gesicht
Und seine Flügel, Mensch, zerdrück sie nicht.

Melange
19.12.2008, 18:29
Eigentlich mag ich Lyrik nicht so, aber Theodor Storm hats mir angetan. Ich weiß nicht, ob er der ist, der mir von allen am besten gefällt, aber er schreibt die schönsten Sachen, die ich kenne.


Die Nachtigall

Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen.

Sie war doch sonst ein wildes Blut;
Nun geht sie tief in Sinnen,
Trägt in der Hand den Sommerhut
Und duldet still der Sonne Glut
Und weiß nicht, was beginnen.

Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen.