Jack Attaway
24.02.2012, 18:56
Kurioserweise habe ich im Salleck-Bereich keinen Thread zu diesen Meisterwerken gefunden. Sollte es dennoch einen geben, veuillez me pardonner...
Das blaue Tagebuch
L'amour - die schönste Sache der Welt. Und kann doch so quälend sein. Wie für Victor Sanchez, den die Begegnung mit der großen Liebe aus der Umlaufbahn des Alltags schleudert. Wiewohl das erste Rendezvous lediglich einseitiger Natur vonstatten geht, denn just einer Laune Fortunas und nicht vorhandener Fenstervorhänge wegen erblickt er während eines unplanmäßigen Halts der Stadtbahn (kenn ick!) von selbiger aus das Geschöpf seiner aufrichtigen Begierde - und zwar im blitzeblank polierten Auslieferungszustand, ganz so, wie der liebe Herrgott die anmutige Dame offenbar sehr frohgemut erschaffen hat. Es beginnt der Dornenweg des Monsieur Sanchez; die ewige Schwerarbeit der Verzauberung und Verführung und die damit einhergehenden Verwicklungen und Missverständnisse überfordern einen eher schüchternen Menschen wie Victor doch sehr.
Stopp, tatsächlich fängt die Geschichte ganz anders an. Nämlich damit, dass Schürzenjäger Armand Laborie der Fügung des Schicksals und nicht vorhandener Fenstervorhänge wegen seiner mal wieder ganz ganz großen Liebe unilateral visuell gewahr wird... äh, zu kompliziert? Tja, so sind Dreiecksbeziehungen nunmal gestrickt. Die von beiden Herren Angeschmachtete in dieser erotischen Gewitteraffäre, die als Liebesplänkelei beginnt, sich zum Liebesdrama aufschwingt und als gediegenes Kriminalstück implodiert, heißt übrigens Louise Lemoine, kommt laut eigenen Angaben nicht aus Kanada, sondern aus, mon Dieu!, Québec, und hat so ihre Prinzipien. Allerdings stecken diese voll Widersprüchlichkeit: Der konservative Wertecodex von Madame, der schwer zu dechiffrieren ist, stört sich freilich nicht an klischeehaft bereitwilliger Beischlafdienerei schon nach ein paar Drinks. Stößchen!
Juillard haucht der Geschichte mit spätherbstlicher Reserviertheit einen unterkühlten Odem der Leidenschaft ein. Die Protagonisten biedern sich nicht beim Leser an, bleiben distanziert oder gar unnahbar wie Louise aka Miss Ice-Cube. In nüchternen Bildarrangements entwirft der Autor-und-Dessinateur-in-einer-Person mit simplem Strich und hellen, aber nicht grellen Farben, die zur Erwärmung des ausgekühlten Raumklimas ihren Beitrag leisten, fast schon hüftsteif wirkende Szenarien. Man fühlt sich in eine Zeit fernab heutiger Hektik zurückversetzt, als Telefone noch Wählscheiben hatten, junge Männer durchweg Anzug und Krawatte trugen und Rote Bullen noch nicht flügelverleihend in Dosen abgefüllt wurden. Doch gerade aus der Zurückgenommenheit quillt die Kraft dieses aus der Summe verschiedener Blickwinkel zusammengesetzten Gegenwartsschauspiels. Um Zufälle geht es, um tatsächliche und durch Inszenierung sowie Manipulation erzwungene. Und um das Glück der Liebe, das oft spät erkannt wird. Manchmal auch zu spät. Trief, tropf, schmatz.
Vor mir liegt die erweiterte Auflage mit zusätzlichen Skizzen, Drucken und einem nachträglichen Epilog, der leider den gelungenen Schluss von Das blaue Tagebuch verhunzt, indem es Motive der Handelnden auf libidinöse Schoß- und Schwanzgeilheit, pardon, runterholt. Andererseits ist dies wohl der ehrlichere Schluss in einer an Wirrnissen und Missdeutungen menschlicher Chemie reichen Geschichte.
Nach dem Regen
Der Nachfolgeband von Das blaue Tagebuch erfreut schon auf den ersten Seiten mit einem Wiedersehen alter Bekannter und einer handfesten Überraschung - Woshhhhhhhhh,
Victor und Louise sind jetzt ein Paar, eine Bumsgemeinschaft, ein Ehegattensplittinganwärterduett! Jedoch schert sich Gevatter Zufall nicht um die Vertrauten, sondern lockt eine neue Figur auf das größer gewordene Spielfeld von Liebschaft, Rache und Zerwürfnis: Abel Mias entdeckt in der Galerie von Victor ein kürzlich aufgenommenes Foto, das einen seit geraumer Zeit verschollenen Freund beim Villa-Watching in Florenz abbildet. Ein lupenreiner Kriminalfall setzt sich in Bewegung. In dessen Verlauf kommen besagter Freund, toskanische Landschaften, die Kultautos Fiat Topolino und Citroën DS, zwei wunderschöne Frauen, ein gehörnter Ehemann, merkwürdige Fußballbundesligaergebnisse, ein brutaler Gangster mit offenem Hosenstall und ein Kater mit bibelfestem Namen vor. Ein wuchtiges Thema, dank federhafter Leichtigkeit von Juillard luftdurchlässig erzählt und gezeichnet. Wenn Das blaue Tagebuch die herzhafte Dorade war, dann ist Nach dem Regen das blutige Steak. Unbedingt im Doppelpack einverleiben! Lecker!
Fazit: Ich weiß, dass beide Bände gefühlt so alt sind wie Elvis tot ist. Na und, man kann doch auch mal Titel der Backlist würdigen und weiterempfehlen, selbst wenn es dem Vernehmen nach Verleger geben soll, bei denen diese Vokabel auf der Beliebtheitsskala ganz unten zwischen Diarrhö und Kundenfreundlichkeit rangiert. Mich haben die ruhigen und doch bewegenden Stories beeindruckt, nicht zuletzt, weil man ihnen Glaubhaftigkeit nachsagen kann. Zudem empfinde ich ihr Erscheinungsbild als eine Wohltat gegenüber manch eingleisiger *hüstelhüstel* Graphic Novel, in der sich krakelige Zeichnungen unförmig drängen und deren Perspektiven in alle Winde kippen. Irgendwie, irgendwo, irgendwann könnte ich mir sehr gut eine - ALARM!!!!!!! - Gesamtausgabe der beiden Alben ganz im Sinne unserer hippen Bänker vorstellen - mit unverschämt viel Boni. :fies:
Das blaue Tagebuch
L'amour - die schönste Sache der Welt. Und kann doch so quälend sein. Wie für Victor Sanchez, den die Begegnung mit der großen Liebe aus der Umlaufbahn des Alltags schleudert. Wiewohl das erste Rendezvous lediglich einseitiger Natur vonstatten geht, denn just einer Laune Fortunas und nicht vorhandener Fenstervorhänge wegen erblickt er während eines unplanmäßigen Halts der Stadtbahn (kenn ick!) von selbiger aus das Geschöpf seiner aufrichtigen Begierde - und zwar im blitzeblank polierten Auslieferungszustand, ganz so, wie der liebe Herrgott die anmutige Dame offenbar sehr frohgemut erschaffen hat. Es beginnt der Dornenweg des Monsieur Sanchez; die ewige Schwerarbeit der Verzauberung und Verführung und die damit einhergehenden Verwicklungen und Missverständnisse überfordern einen eher schüchternen Menschen wie Victor doch sehr.
Stopp, tatsächlich fängt die Geschichte ganz anders an. Nämlich damit, dass Schürzenjäger Armand Laborie der Fügung des Schicksals und nicht vorhandener Fenstervorhänge wegen seiner mal wieder ganz ganz großen Liebe unilateral visuell gewahr wird... äh, zu kompliziert? Tja, so sind Dreiecksbeziehungen nunmal gestrickt. Die von beiden Herren Angeschmachtete in dieser erotischen Gewitteraffäre, die als Liebesplänkelei beginnt, sich zum Liebesdrama aufschwingt und als gediegenes Kriminalstück implodiert, heißt übrigens Louise Lemoine, kommt laut eigenen Angaben nicht aus Kanada, sondern aus, mon Dieu!, Québec, und hat so ihre Prinzipien. Allerdings stecken diese voll Widersprüchlichkeit: Der konservative Wertecodex von Madame, der schwer zu dechiffrieren ist, stört sich freilich nicht an klischeehaft bereitwilliger Beischlafdienerei schon nach ein paar Drinks. Stößchen!
Juillard haucht der Geschichte mit spätherbstlicher Reserviertheit einen unterkühlten Odem der Leidenschaft ein. Die Protagonisten biedern sich nicht beim Leser an, bleiben distanziert oder gar unnahbar wie Louise aka Miss Ice-Cube. In nüchternen Bildarrangements entwirft der Autor-und-Dessinateur-in-einer-Person mit simplem Strich und hellen, aber nicht grellen Farben, die zur Erwärmung des ausgekühlten Raumklimas ihren Beitrag leisten, fast schon hüftsteif wirkende Szenarien. Man fühlt sich in eine Zeit fernab heutiger Hektik zurückversetzt, als Telefone noch Wählscheiben hatten, junge Männer durchweg Anzug und Krawatte trugen und Rote Bullen noch nicht flügelverleihend in Dosen abgefüllt wurden. Doch gerade aus der Zurückgenommenheit quillt die Kraft dieses aus der Summe verschiedener Blickwinkel zusammengesetzten Gegenwartsschauspiels. Um Zufälle geht es, um tatsächliche und durch Inszenierung sowie Manipulation erzwungene. Und um das Glück der Liebe, das oft spät erkannt wird. Manchmal auch zu spät. Trief, tropf, schmatz.
Vor mir liegt die erweiterte Auflage mit zusätzlichen Skizzen, Drucken und einem nachträglichen Epilog, der leider den gelungenen Schluss von Das blaue Tagebuch verhunzt, indem es Motive der Handelnden auf libidinöse Schoß- und Schwanzgeilheit, pardon, runterholt. Andererseits ist dies wohl der ehrlichere Schluss in einer an Wirrnissen und Missdeutungen menschlicher Chemie reichen Geschichte.
Nach dem Regen
Der Nachfolgeband von Das blaue Tagebuch erfreut schon auf den ersten Seiten mit einem Wiedersehen alter Bekannter und einer handfesten Überraschung - Woshhhhhhhhh,
Victor und Louise sind jetzt ein Paar, eine Bumsgemeinschaft, ein Ehegattensplittinganwärterduett! Jedoch schert sich Gevatter Zufall nicht um die Vertrauten, sondern lockt eine neue Figur auf das größer gewordene Spielfeld von Liebschaft, Rache und Zerwürfnis: Abel Mias entdeckt in der Galerie von Victor ein kürzlich aufgenommenes Foto, das einen seit geraumer Zeit verschollenen Freund beim Villa-Watching in Florenz abbildet. Ein lupenreiner Kriminalfall setzt sich in Bewegung. In dessen Verlauf kommen besagter Freund, toskanische Landschaften, die Kultautos Fiat Topolino und Citroën DS, zwei wunderschöne Frauen, ein gehörnter Ehemann, merkwürdige Fußballbundesligaergebnisse, ein brutaler Gangster mit offenem Hosenstall und ein Kater mit bibelfestem Namen vor. Ein wuchtiges Thema, dank federhafter Leichtigkeit von Juillard luftdurchlässig erzählt und gezeichnet. Wenn Das blaue Tagebuch die herzhafte Dorade war, dann ist Nach dem Regen das blutige Steak. Unbedingt im Doppelpack einverleiben! Lecker!
Fazit: Ich weiß, dass beide Bände gefühlt so alt sind wie Elvis tot ist. Na und, man kann doch auch mal Titel der Backlist würdigen und weiterempfehlen, selbst wenn es dem Vernehmen nach Verleger geben soll, bei denen diese Vokabel auf der Beliebtheitsskala ganz unten zwischen Diarrhö und Kundenfreundlichkeit rangiert. Mich haben die ruhigen und doch bewegenden Stories beeindruckt, nicht zuletzt, weil man ihnen Glaubhaftigkeit nachsagen kann. Zudem empfinde ich ihr Erscheinungsbild als eine Wohltat gegenüber manch eingleisiger *hüstelhüstel* Graphic Novel, in der sich krakelige Zeichnungen unförmig drängen und deren Perspektiven in alle Winde kippen. Irgendwie, irgendwo, irgendwann könnte ich mir sehr gut eine - ALARM!!!!!!! - Gesamtausgabe der beiden Alben ganz im Sinne unserer hippen Bänker vorstellen - mit unverschämt viel Boni. :fies: