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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Auf Splashcomics: Deutsche Comicforschung 2011 [Splashcomics - Rezensionen]



Bernd Glasstetter
06.02.2011, 00:20
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Pünktlich zum Jahresende erschien wieder eine Ausgabe des Sackmannschen Kompendiums Deutsche Comicforschung. Man kann bereits vorweg nehmen, dass auch der siebte Band ein Musterbeispiel für Konsistenz auf hohem Niveau ist, inhaltlich wie äußerlich. Wie die letzte Ausgabe hat auch dieser zwölf Beiträge und selbst beim Umfang gibt es wieder eine Punktlandung bei 144 Seiten.

Wer die vorigen Nummern kennt, der weiß was ihn erwartet: akribische Analyse, Literaturwissenschaft, die in die Tiefe geht, mit allem was dazu gehört, aber dennoch nicht zu abgehoben verfasst, dass einem während der Lektüre die Augen vor Langeweile permanent zuklappen. Eckart Sackmann will den Fachmann ansprechen, weniger den interessierten Leser. Manch einer wird sich verwundert fragen, ob das nicht im Prinzip die gleichen Leute sind, aber es gibt durchaus feine Unterschiede. Während die einschlägige Fachpresse gewissen Zwängen unterliegt, was Inhalt und Umfang der Beiträge betrifft, kann Sackmann in die Vollen gehen, sprich: die Themen sind losgelöst von jeglichen Interessen, außer den eigenen, und der Detailgrad der Beiträge ist mitunter sehr fein, ja fast mikronisiert.

Das diesjährige Titelthema wurde vom Herausgeber und Horst-Joachim Kolbe erarbeitet: Zehn kleine Negerlein: Afrikaner im deutschen Kolonialcomic fördert auf fast 20 Seiten allerlei Interessantes zu Tage und glänzt durch eine ausgesuchte Bildauswahl. Ein politisch-unkorrekter "Neger", das war von 1884 bis 1918, als Deutschland sich mit dem Besitz von Kolonien in Afrika herumschlug, für den Durchschnittsdeutschen noch ein nackter Wilder im Bastrock. Die beiden Autoren versuchen herauszuarbeiten, welche Bilder und Sichtweisen transportiert wurden. Den typischen "Kolonialcomic" gab es freilich nicht, auch wenn es der Titel suggeriert. Viele Beispiele sind eher aus den Bereichen Cartoon, Bild-Gag oder Illustration. Auch liest sich der Text stellenweise wie eher eine Geschichte der deutsch-afrikanischen Kolonien, also wie ein rein historischer Beitrag aus einem Geschichtsbuch, aber nichtsdestotrotz ist er gut geschrieben und höchst interessant.

Highlights aus Sicht des Leser, der sich für nostalgische Comics interessiert, dürften die Beiträge über den frühen Reinhold Escher und Roland Kohlsaat sein.

Sackmann, wohl Deutschlands Mecki-Experte Nummer 1, widmet sich dem bekannten Hamburger Stachelkopf-Zeichner. Hier wird eine andere Seite von Escher beleuchtet. Anhand vieler bemerkenswerter Informationen, die zum Teil aus Briefwechseln des Verfassers mit Escher aus den 1980er Jahren stammen, wird ein interessanter Beitrag geboten, der nicht nur für Mecki-Fans von Bedeutung ist.

Desweiteren beleuchtet Günther Damann die Comics von Roland Kohlsaat, der mit seinen Geschichten von Jimmy das Gummipferd unsterblich wurde. Kohlsaats Mischung aus Abenteuer und Fantasy fesselte nicht nur die jungen Leser der Kinderbeilage Sternchen der Illustrierten Stern.

Ebenfalls hochinteressant ist Michael F.Scholz' Artikel über Wolfgang Altenburger, der als Redakteur einer Reihe innovativer Comicprojekte eine zentrale Rolle in der Comicgeschichte der DDR eingenommen hatte. Auch Sackmanns Zeitreise nach 1984, als der erste Comic-Salon in Erlangen über die Bühne ging, ist ein richtiges Schmankerl, denn er fasst nicht nur längst vergessene Details zusammen, sondern recherchierte auch die Ursprünge der Idee für diesen wichtigen Event.

Nicht jeder Beitrag ist für jeden Leser gleich interessant. Einige der Texte dürften sehr weit weg vom allgemeinen Comic-Interesse liegen, selbst von dem des Comic-Fachmanns. Über Wilhelm Busch gibt es bereits genug Literatur. Eine Schwerpunkt-Analyse der Busch-Nummern von längst vergessenen satirischen Zeitschriften wie die Lustigen Blätter oder Simplicissimus vorzunehmen, mag noch von Belang sein, aber Beiträge über Hellmut M. Peter, den wohl nur Eckart Sackmann noch kennt und über den es gar nichts zu recherchieren gibt, wirken wie Blitzlicht-Vignetten, die man schnell wieder vergessen hat. Ebenso fragt man sich, ob eine Untersuchung der Werke eines Horst von Möllendorff, der zu seiner Zeit diverse Bildwitze veröffentlichte, diese ganze Liebesmüh in Form von Recherche und Aufbereitung wert sind. Dieser Zeichner hat keinerlei bleibenden Eindruck hinterlassen und seine Machwerke waren nicht einmal besonders gut.

Auffällig ist, dass zwei Drittel des Bandes vom Herausgeber selbst stammen. Damit wird die Deutsche Comicforschung 2011 fast zur Sackmann-Show. Egal, wie man zu den Beiträgen stehen mag, der Hardcover ist handwerklich hervorragend gemacht. Es gibt jede Menge passendes und seltenes Bildmaterial, das Layout ist angenehm, die Fülle an Fußnoten und Anmerkungen sind möglichst nah am jeweiligen Anker im Text platziert und nicht am Ende jedes Artikels angehäuft. Allerdings wird gerade bei den Fußnoten manchmal etwas übertrieben. Auch wenn sich das bei Texten mit wissenschaftlichem Anspruch so gehört, sind diesmal stellenweise so viele Fußnoten zu finden, dass man bei den ganzen Verweisen und Nummern manchmal ein Eindruck bekommt, man liest ein Solo-Rollenspiel-Abenteuer und ist die halbe Lesezeit mit Hin-und-Her-Blättern beschäftigt.



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