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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Auf Splashcomics: X-Men: Frauen auf der Flucht [Splashcomics - Rezensionen]



Bernd Glasstetter
16.12.2010, 00:27
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X-Men: Frauen auf der Flucht ist ohne Zweifel ein Comic, der bewegt. Als vor Jahren die Meldung kursierte, dass Marvel Milo Manara für eine Umsetzung der X-Men gewonnen hatte, reiften in der Fan-Gemeinde die ersten Knabenblütenträume und die Spekulationen schossen ins Kraut. Manara, bekannt für die Darstellung von erotischen Frauen, die auch mal pornografisch, aber stilvoll, inszeniert sein kann, kümmert sich um Marvels Vorzeigemutanten. Holla! Das Ergebnis müßte die aufreizendsten X-Frauen aller Zeiten bedeuten.

Als schon keiner mehr mit einem Marvel-Comic aus der Feder von Manara rechnete, kam er plötzlich doch auf den Markt. In Deutschland fast zeitgleich mit der US-Ausgabe, die lediglich im Heftformat und drei Seiten Bonus-Material publiziert wurde, und hier wurde die Geschichte im Vorfeld als Marvel Graphic Novel, also was ganz besonderes, angekündigt.

Bei Panini Deutschland orientierte man sich an der italienischen Ausgabe. Da ist die Geschichte eine Hardcoverausgabe wert mit allem Pipapo, das heißt mit einer Einleitung von Joe Quesada (in der US-Fassung das Nachwort), einem Sketchbook, einem Blick hinter die Kulissen, einem Interview mit Manara und einem Nachwort von Nick Lowe, dem Redakteur der US-Ausgabe. Für Unbeleckte gibt es noch eine Übersicht mit den wichtigsten Handlungsträgern - schließlich handelt es sich um einen X-Men-Titel, die bekannt dafür sind, dass pro Heft immer mindestens 20 Superhelden- und schurken durch die Seiten geistern.

Quesadas Vorwort ist symptomatisch für den Band: effekthascherisch und irreführend. Er schreibt, dass er Manara nicht leiden kann, meint aber natürlich, dass er neidisch auf ihn ist, weil der Italiener so gut zeichnen kann. Der Titel verspricht die X-Men, aber geboten werden "nur" die X-Frauen (der US-Originaltitel heißt übrigens passender schlicht X-Women). Im Impressum wird ein englischer Titel genannt, der im Original gar nicht auftaucht: Uncanny X-Men: Gals on the Run. Dieser Titel, der wohl der Arbeitstitel war, ist so schwachsinnig, dass er vor Drucklegung von den Amerikanern erst einmal gestrichen wurde. Im Deutschen, als Frauen auf der Flucht, wird er übrigens auch nicht besser.

In seinem Vorwort schreibt Quesada weiter, dass man zwei "Großmeister mit beeindruckenden Karrieren auf dem Höhepunkt ihres Schaffens" zusammengebracht hat. Ein Genie verdient ein Genie. Nun, bezüglich Chris Claremont ist das maßlos übertrieben, denn dieser hatte seine besten Zeiten in den 1970er und 1980er Jahren, was schon eine Weile her ist. Er stellte damals einen Rekord auf, was die Ausdauer betrifft, immerhin schrieb der 17 Jahre lange die monatliche Heftserie Uncanny X-Men und prägte dadurch eine ganze Generation von Superheldenfans. Außerhalb von Marvel und Mutanten hat er jedoch nie richtig einen Fuß auf den Boden bekommen, und die letzten zehn Jahre nervt er seine Leser durch noch geschwätzigere, textlastigere Stories als zu seinen Glanzzeiten. Ein Höhepunkt des Schaffens sieht sicherlich anders aus.

Auch Manara scheint nicht wirklich eine gute Phase erwischt zu haben, als er Frauen auf der Flucht gezeichnet hat. Das ist kein Wunder, denn im abgedruckten Interview gibt er freimütig zu, dass er mit dem ganzen Superheldengedöns herzlich wenig anfangen kann. Dabei bemühte sich Claremont, eine möglichst flache Story zu schreiben und alles so zu konstruieren, damit Manara das tut, was er am besten kann: schöne Frauen in lasziven Posen darzustellen, mit halbgeöffneten Mündern und spärlich bekleidet.

Man fragt sich natürlich, für welche Zielgruppe dieses Experiment gedacht ist. Die X-Men-Fans werden die hanebüchene Story kritisieren und sich wundern, warum die Proportionen der Frauen plötzlich stimmig sind. Keine drallen Oberweiten, keine Superkräfte, viel weniger Kra-Boom und Ka-Ta-Tong als sonst. Die Anhänger von Manara könnten sich betrogen fühlen, weil die Frauen zu viel Texil tragen und es sexuell nicht weit genug geht. Vertane Chance auf beiden Seiten?

Über das Frauenbild des Bandes braucht man sich aber nicht aufzuregen. Das war zu erwarten. Es ist sogar amüsant zu sehen, was Manara sich alles hat einfallen lassen. Durch den seichten Plot von Claremont wirken die X-Mädels ohnehin als hätten sie die Gehirne von Paris Hilton oder Daniela Katzenberger eingepflanzt bekommen, aber wo sieht man schon eine halbnackte Psylocke beim Schweinefüttern im Dschungel oder Shadowcat im Bikini beim Wäschewaschen im Camp?

Letztlich ist der Band eine Kombination, wo nicht das Beste aus zwei Welten herauskam, sondern genau das Gegenteil. Schade - aber wirklich überaschend ist es nicht. Deshalb ist der Band, wie eingangs erwähnt, ein Comic der bewegt. Aber eher, weil man über sich selber erstaunt ist, da man dachte, aus dieser Idee hätte was werden können.




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