Bildzitate im Mosaik

[eddy richard]

Vorgestern entdeckte ich beim Besuch der Alten Nationalgalerie in Berlin ein kleinformatiges Ölbild, das mir verdächtig bekannt vorkam. Es stellt eine Berliner Straße dar, wurde 1831 von Johann Philipp Eduard Gaertner gemalt und heißt „Die Parochialstraße“ Und richtig, am Abend entdeckte ich beim Nachblättern das Motiv im Mosaik von HH, Heft 82 „Der Kampf um die Badewanne“ auf S. 13 oben wieder. Und passend lautet dort die Bildunterschrift: „... Die Badestube der Digedags in der Parochialstraße ist bald stadtbekannt ...“
Die Badestube oder gar die Dagse selber konnte der Maler 1831 noch nicht in seinem Bild festhalten, denn diese eröffneten Dig und Dag ja erst ca. 10 Jahre später. Aber der damals von Eduard Gaertner ins Bild gesetzte Kesselschmied steht auch im Mosaik vor seiner Werkstatt, wie es sich für ein gutes Bildzitat gehört. Allerdings hat ihn der Mosaik- Zeichner wohlbeleibter und etwas kahlköpfiger dargestellt als der Maler Gaertner. Kein Wunder, 10 Jahre – und seien es auch wirtschaftlich erfolgreiche – gingen eben nicht spurlos an dem Meister vorüber.

Bin ich der erste, der dieses Bildzitat entdeckt hat, oder ist das längst bekannt? Zumindest ist es im Mosapedia- Artikel zu Heft 82 nicht erwähnt.
Ich könnte mir denken, gerade (oder besonders) in der Berlin- Serie gibt es noch mehr Bildzitate.
Hin und wieder kann man ja etwas über Bildzitate im Mosaik (auch in der aktuellen Serie) lesen. Gibt es hierzu (eine) umfassene Abhandlung(en), außer in Kramers Fanbüchern?

[Bhur]

Das ist eine schöne Entdeckung! Mir ist das neu.

[Tilberg]

Feine Sache! Für S. 2 und 20/21 gab es sicherlich ähnliche Vorlagen. ich werde die Anregung mal aufnehmen und ein paar Gaertner-Kataloge D) durchblättern.

Um deine Frage zu beantworten: Eine umfassende Darstellung der Bildzitate im Mosaik gibt es leider nicht; alles Bekannte ist nur Stückwerk. In der MosaPedia findest du alle Beispiele, die wir schon zusammengetragen haben (das sind natürlich noch längst nicht alle bekannten, aber es werden sukzessive mehr) in der Kategorie "Quelle (Bild)". Hier ist der Link.

Apropos, magst du nicht einen Artikel "Eduard Gaertner" für die MosaPedia schreiben? Dort können wir dann nach und nach alle seine Bilder sammeln, die als Vorlage fürs Mosaik gedient haben, und sie ihren Mosaik-Pendants gegenüberstellen.

PS: Eine schöne Sammlung von Bildquellen für die frühen Hefte der Weltraumserie findest du hier bei Mosafilm.

[thowiLEIPZIG]

Postkarte aus Berlin, um 1912, von F.A.Schwartz(!!!) und Rückseite KRACH IM HOFTHEATER...

[Predantus]

Ich habe das Gaertner-Bild mal in der MP hochgeladen, damit es jeder vergleichen kann:

http://mosapedia.de/wiki/index.php/B...ertnerws55.jpg

Das Bild befand sich übrigens zu dem Zeitpunkt in Westberlin und war also im Original für das MOSAIK-Kollektiv nicht so leicht erreichbar.

[FilthyAssistant]

Vorgestern entdeckte ich beim Besuch der Alten Nationalgalerie in Berlin ein kleinformatiges Ölbild(...)

jaja, der eintrittsfreie donnerstag abend in den berliner museen ist schön was schönes

[gbg]

Vorlage für Heft 81 aus Atlantis Juli 1936 heft 7 "Alt berliner Bilderbogen dort werden die verschiedenen Vorlagen der berlinserie fast komplett vorgestellt.
schicke mal ein paar scanns demnächst..
Und sicher findet sich in Kramers Fanbüchern und MMM auch ein inweis, welche Bildquellen genutz wurden.

[Bhur]

Auf die Scans bin ich schon gespannt.

Und sicher findet sich in Kramers Fanbüchern und MMM auch ein inweis, welche Bildquellen genutz wurden.

Sicher. Sie sind nur so gut versteckt, dass sie niemand findet.

[CHOUETTE]

... und außerdem: wer liest sowas schon?

[eddy richard]

Vielen Dank an Tilberg für die links zu "Quelle Bild" im Mosapedia und zu Mosafilm. Da hatte ich vorgestern soviel zu lesen, dass ich garnicht zum antworten kam. Ich bin erstaunt, wieviel diesbezüglich schon recherchiert und zusammengetragen wurde.
Dem netten Vorschlag, einen Artikel über Gaertner im Mosapedia zu schreiben, werde ich aus Mangel an Kompetenz wohl nicht entsprechen können. Mit meiner Entdeckung ging es mir eher wie dem blinden Huhn, welches auch mal ein Korn findet. (Noch dazu fand ich dieses Korn nicht am eintrittsfreien Donnerstagabend sondern am eintrittskostenintensiven Mittwoch.)
Auf die von gbg in Aussicht gestellten Scans bin ich auch schon gespannt.

[Tilberg]

Ich glaube, der filzige Assistent muß nochmal zurück an die Uni, Wochentage pauken.

PS: Zum Artikelschreiben in der MosaPedia braucht man übrigens keinerlei Kompetenz.

[FilthyAssistant]

Ich glaube, der filzige Assistent muß nochmal zurück an die Uni, Wochentage pauken.

pöh. wenn an dem tag, an dem ich poste, erst 4 beiträge inkl. dem vom herrn tillberg stehen, geh ich einfach davon aus, dass der thread auch an dem tag gestartet wurde

und solange ich nicht sonntags bei gräbert stehe...

[Bhur]

Keine Neu- eher eine Wiederentdeckung, aber gerade frisch in der Mosapedia:
http://mosapedia.de/wiki/index.php/D...honieorchester

[Tilberg]

Auch auf die Gefahr hin, mich mal wieder als der elende Ignorant zu erweisen, der ich nun mal bin: Ist bekannt, ob die Buchreihe "Berliner Leben", insbesondere der Band von 1806 bis 1847, als Vorlage für die Berlinhefte gedient hat? Im genannten Buch sind jedenfalls einige Bilder enthalten, die definitiv im Mosaik benutzt wurden, allerdings kann man die natürlich auch in anderen Publikationen finden. Das Bild von Eduard Gaertner, mit dem dieser Thread hier eröffnet wurde, ist genauso drin wie die Krolloper, Nante und der Stralauer Fischzug usw. Auch diverse Hintergrundbilder, die im Mosaik nicht einem namentlich genannten Ort zugeordnet werden, habe ich entdecken können.

Heute abend schaue ich mal in MMM nach, mal sehen.

[Tilberg]

So. Im FanBuch steht nichts darüber, und auch im Literaturverzeichnis von MMM nicht; den Inhalt von MMM zu überprüfen, war mir leider aus bekannten Gründen nicht so einfach möglich. Wenn doch was drüber drinstehen sollte, steinige man mich.

Ich konnte folgende Bilder aus dem Mosaik zweifelsfrei Illustrationen aus dem "Berliner Leben 1806-1847" zuordnen:

- #84 S. 15 oben = Brüderstr. mit Petrikirche um 1808
- #82 S. 13 oben = Reetzengasse von Eduard Gaertner (nicht die Parochialstr., wie im Mosaik)
- Nante in #80 Rückseite und #81 S. 2 = Lithographie (von Franz Burchard Dörbeck) eines Eckenstehers

Für folgende Bilder aus dem Mosaik habe ich sehr ähnliche Illustrationen im BL gefunden, wobei manchmal nur die Perspektive anders ist, aber trotzdem markante Details übereinstimmen:

- #81 S. 2 ~~~ Potsdamer Tor um 1830
- #82 S. 8 oben ~~~ Krolls Etablissement um 1845 (Lithographie von A. Carse)
- #80 S. 16/17 ~~~ Bahnhof der Berlin-Potsdamer Eisenbahn um 1840
- #81 S. 11 oben (Eierfrau) ~~~ Lithographie (von Franz Burchard Dörbeck) einer Hökerin, vor allem in der Körperhaltung
- der Stralauer Fischzug in #82 S. 14/15 ~~~ Rückkehr vom Stralauer Fischzug 1831, Zeichnung von Theodor Hosemann

Ich weiß nicht recht, ob das schon ausreicht, um von einer möglichen "Vorlage" zu sprechen. Das Buch ist jedenfalls 1954 bei Rütten & Loening in (Ost)-Berlin erschienen, kommt also zeitlich hin. Inhaltlich (es handelt sich bei dem Buch um eine kommentierte Sammlung zeitgenössischer Texte) gibt es auch einige Übereinstimmungen (z.B. wird die Eisenbahn Berlin-Potsdam thematisiert, Paganinis Auftritte in Berlin beschrieben u.a.m.). Aber auch das ist nicht zwingend, denn diese Themen findet man sicher ohne weiteres auch in anderen Büchern zum Thema Berlin im 19. Jhd.

Hat jemand von euch vielleicht schon mal was dazu gehört/gelesen? Ist der Titel bekannt?

[Pym Particle]

Ich muss wieder einmal eine meiner berüchtigten dummen Fragen stellen. Gibt es eigentlich Überlebende aus den diversen Creativen-Kollektiven, die solche Fragen noch aus eigener Erfahrung beantworten könnten? Nehmen die irgendwie an den Aktivitäten der Fan-Community teil?

[Bhur]

Lothar Dräger (Autor 1957-1990 und künstlerischer Leiter 1976-1990) steht Fragen der Fans noch immer sehr aufgeschlossen gegenüber. Auch Lona Rietschel, Jochen Arfert und einige andere Kreative stehen noch zur Verfügung. Leider ist es aber oft so, dass sie sich nicht mehr an alle Vorlagen, die sie benutzt haben, erinnern können. Das ist ja auch nur zu verständlich. Wer merkt sich sowas schon über Jahrzehnte? Aber fragen kostet im Einzelfall trotzdem nichts.

[eddy richard]

Zitat von Tilberg:
- #82 S. 13 oben = Reetzengasse von Eduard Gaertner (nicht die Parochialstr., wie im Mosaik)

Im Internet steht unter www.luise-berlin.de :

"Parochialstraße
Sie verläuft von der Jüden- über die Kloster- zur Waisenstraße.

Die Namensgebung erfolgte am 11. März 1862.
Parochial - griech. paroikia, das Beieinanderwohnen, die Nachbarschaft; daraus abgeleitet parochia, Kirchspiel, Pfarre. Bei den früheren Straßennamen handelte es sich immer nur um Straßenteile.

Frühere Namen waren
Idens-Gasse (16. Jh.-17. Jh.)
Reezengasse (17. Jh.-1862)
Hoffmanns-Gäßlein (16. Jh.-um 1580)
Mauermanns-Gasse (um 1580-1640)
Belingsgäßlein (1640-18. Jh.)
Kronengasse (18. Jh.-1862)
Der freie Fahrweg (16. Jh.-17. Jh.)
Podewilsgasse (17. Jh.-um 1800)
Parochialkirchgasse (um 1800-1862)" (Zitat Ende)

Die Badestube der Digedags befand sich also in der ab 1862 so benannten Parochialstraße.

Im Übrigen, Tilberg, finde ich Deine Entdeckungen im "Berliner Leben" sehr interessant. Mal sehen, ob ich das Buch auch mal zumindest leihweise auftreiben kann.

[Tilberg]

Das habe ich noch nicht verstanden, mit den alten Namen. Das überschneidet sich doch.

Übrigens habe ich jetzt auch noch den Band "Berliner Leben 1648-1805" eingesehen. Darin gibt es ein Bild, das die Vorlage für die Rückseite von Heft 80 abgegeben hat, den Molkenmarkt. Man sieht zwar nicht sehr viel im Mosaik, weil die großen Figuren viel verdecken, aber die Details stimmen alle überein. Das bedeutet aber nicht, daß die Zeichner diese Vorlage auch wirklich diesem Buch entnommen haben müssen. Die Illustration (vom Ende des 18. Jahrhunderts) kann ohne weiteres auch in einem anderen Berlin-Bildband enthalten sein.

[Predantus]

Ein Blick in den Katalog der Nationalgalerie besagt, dass Bild trägt den Titel ›Die Parochialstraße‹ und wurde 1831 von Gaertner gemalt.

[Tilberg]

Seltsam. In dem Berliner-Leben-Band heißt es "Reetzengasse". Aber wenn ich das richtig verstehe, war "Ree(t)zengasse" ein früherer Name zumindest eines Teils der Parochialstraße, und zwar zur Zeit der Mosaikhandlung. Dann hat man im Katalog der NG vielleicht nur den Namen aktualisiert?

[Tilberg]

Das mit den alten Namen habe ich nun, nach einem Blick auf die von eddy verlinkte Seite, verstanden. Ree(t)zengasse, Kronengasse und Parochialkirchgasse wurden 1862 zusammengefaßt und erhielten den neuen Namen Parochialstraße.

[Tilberg]

Ich habe hier mal das Bild vom Molkenmarkt hochgeladen, das für die Rückseite von Heft 80 benutzt wurde und im band "Berliner Leben 1648-1805" enthalten ist. Das 0riginal heißt "Vue du Marché dit Molkenmarkt et de l'Église St. Pierre, dans l'éloignement" und ist ein Kupferstich von Johann Rosenberg, etwa 1785. Als Quelle ist im "Berliner Leben" das Kupferstichkabinett Berlin angegeben.

[eddy richard]

Hiermit möchte ich die noch bis März 08 im Berliner Ephraim- Palais zu sehende Ausstellung "Eiserne Zeiten. Ein Kapitel Berliner Industriegeschichte" sehr weiterempfehlen. Ich war gestern dort, und war insbesondere im Borsig- Ausstellungsraum glücklich wie ein Honigkuchenpferd, wegen der dort zu findenden Bezüge zum Mosaik, speziell Hefte 81/82 und 77.

(Das Mosaik wird in der Ausstellung freilich nicht erwähnt, und natürlich ist es so, dass das Primäre die historischen Ereignisse sind, und das Sekundäre ihre Verarbeitung im Mosaik oder die Präsentation in einer Ausstellung. Nur kann ich das in meinem Kopf manchmal nicht auseinanderhalten, und das Mosaik wird zum Primären. Also nicht wie bei Marx: "Das Primat der Materie!" sondern eben wie bei Mosaik- Fans: "Das Primat des Mosaik!")

Direkte Bildquellen konnte ich zwar nicht entdecken, aber es gibt viele inhaltliche Wiedererkennungseffekte. Auf eine große Leinwand wurde ein Bild Eduard Biermanns "Maschinen- Bauanstalt Borsig an der Chausseestraße" kopiert (ein anderes Motiv, als das im Mosa- Pedia erwähnte und in Heft 81 als Vorlage verwendete), auf dem mehr vom (inzwischen erweiterten(?)) Borsig- Werk zu sehen ist. Auf diesem Bild ist auch der Straßentransport einer Lokomotive per Pferdegespann dargestellt. Es gibt in dem Raum u.a. eine Borsig- Büste, ein Schnittmodell einer Lokomotive (ein etwas späteres Modell als das der Wettfahrt), und interessant ist auch der dort gezeigte Film über Borsig und das sich in Deutschland entwickelnde Eisenbahnwesen. So gibt es darin einen Ausschnitt eines UFA- Spielfilms von 1934 über die erste deutsche Eisenbahn, und es wird erwähnt, dass Borsig von seinen Meistern Rechenschaft über "vermurkste" Werkstücke verlangte, was ja im Mosaik- Heft 82 S.11unten/S.12 ebenfalls thematisiert wird.
Auch der Rest der überschaubaren Ausstellung ist interessant und sehr sehenswert.

[Tilberg]

Im gerade erschienen Abrafaxe-Sammelband 35 ist ja ein Porträt zu Horst Boche drin. Auf S. IV ist ein Foto von ihm zu sehen an seinem Arbeitsplatz. Von den drei Bildern hinter ihm an der Wand dürfte das linke die Vorlage für die Karlsbrücke in Heft 78 (Rückseite) und das rechte die Vorlage für eine der Berliner Straßenansichten (evtl. die Parochialstraße?) gebildet haben. Das mittlere Bild konnte ich nicht recht zuordnen. Ist das ein Fluß? Oder eine Magistrale?