Jäger der verlorenen Erotik
[...] Nachdem Dufaux aber vermutlich absichtlich und nicht aus Ungeschicklichkeit sämtliche äußeren Beweggründe der weiblichen Figuren obsolet werden lässt, kann er nur darauf hinaus wollen, dass die Frauen dem Reiz des Harems selbst, der Anziehung der dunklen Seiten der Sexualität erliegen. Diese Anziehung lebendig zu machen gelingt dem Comic durchaus nicht immer. Vielleicht ist das Problem bei Djinn, dass eine mehr oder weniger pornografische Geschichte erzählt wird, der Comic aber gleichzeitig Angst davor hat, pornografisch zu sein. Zwar gibt es massenweise nackte Frauen zu sehen, aber Beischlafszenen werden doch meistens ausgespart oder sehr verknappt und ästhetisiert. Manchmal gelingt es Ana Mirallès durchaus, Erotik zu vermitteln – manchmal aber ist Erotik für eine derartige Geschichte vielleicht zu wenig. Alan Moore hat in seinem meisterhaften Werk Lost Girls gezeigt, dass man durchaus expliziter werden kann und womöglich auch muss, um eine Geschichte über sexuelles Begehren wirklich glaubhaft vermitteln zu können.
In einer Szene beispielsweise lässt sich Jade kleopatrahaft von Sklaven über den Bosporus rudern. Am Heck des Bootes ist ein Zelt aufgebaut, in dem Lady Nelson ein anderes Haremsmädchen zu befriedigen hat. Aus dem Zelt dringen Satzfetzen wie: „Nicht das... das nicht... Oooohhh... ja... mehr... mehr... mehr....", aber der Leser sieht nicht, was vor sich geht. Nach dieser Szene gefragt, würde Dufaux sicherlich das alte Klischee bedienen, dass es manchmal stärker sei, die Dinge der Phantasie des Lesern zu überlassen, anstatt sie explizit zu zeigen. Das mag oft zutreffen, hat für mich in diesem Fall aber nicht funktioniert. Wenn man nur erzählen möchte, dass die Botschaftersgattin irgendwelche beliebigen sexuellen Erfahrungen macht, auf die man nicht näher eingehen möchte, hätte man die Szene auch komplett weglassen können. Wirklich erotisch wird es erst, wenn Lady Nelson sich danach splitternackt den Blicken sämtlicher Ruderer aussetzen muss - einfach, weil man hier als Leser wieder beteiligt ist.
Verkleinerte Freiräume
Dort wo Erotik für die Geschichte genügt, ist diese durchaus prickelnd, da der Comic aber gleichzeitig noch Abenteuergeschichte, Politthriller und Drama um menschliche Begierden sein will und am Ende auch noch magische Elemente und Halluzinationen dazukommen, hat der Plot manchmal schwer zu tragen.
Auf der einen Seite gelingen immer wieder auch eindrückliche, stimmungsvolle Momente, (etwa die Szene, in der der Sultan als Zeichen seiner Machtaufgabe seiner Volièren öffnen lässt und eine Wolke aus Tauben über dem Palast in die Luft steigt), dann wieder muss man sich mit klischeehaftem Schurkenpersonal wie dem schmierigen Fotografen, dem strammen deutschen Offizier und dem Handlanger Kemal herumschlagen, dessen einziger Charakterzug es zu sein scheint, gerne zu vergewaltigen. Ana Mirallès kann mit ihren ansprechenden Zeichnungen viel retten - sowohl was das orientalische Lokalkolorit als auch was die Darstellung der weiblichen Helden betrifft, bei denen vor allem die verführerische Jade auch in ihren zahlreichen Nacktauftritten immer ihre Souveränität bewahrt.
Das kleinere Format des Sammelbandes könnte möglicherweise ein Grund dafür sein, dass die Freiräume, die Zeichnungen und Inhalt dem Leser lassen wollen, nicht mehr ganz so großzügig bemessen sind. Die Tatsache, dass Djinn sich so gut verkauft hat und dass es diesen (mit zahlreichen Notizen des Autors und Skizzen der Zeichnerin durchaus ansprechend angereicherten) Sammelband überhaupt gibt, spricht aber dafür, dass der Zauber bei einigen Lesern funktioniert haben muss.
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