Habe keinen Thread speziell zu Schleef finden können; falls es doch einen gibt, kann man das hier ja hinten dran hängen.
Grund meines Postings ist das Erscheinen von Schleefs "Tagebuch 1964-1976: Ostberlin" (bisher gab es nur den Band bis 1963). Für AAP-Sammler unerläßlich!
Seinen Aufzeichnungen zufolge hat er - von der Hochschule relegiert - vom 1.9. bis Ende Dezember 1965 beim Mosaik gearbeitet. Im Januar 66 war er auf Reisen, im Februar bekam er dann seine erste Stelle am Theater.
Schleef war - wie man den Tagebüchern entnehmen kann - ein ziemlich aufmüpfiger, innerlich sehr verzweifelter, einsamer und einzelgängerischer junger Mann. In diesem Licht sollte man dann auch seine Kommentare zur Arbeit für Hegenbarth sehen; Schleef war nämlich alles andere als begeistert. Bereits Ende September trat er in einen Sprechstreik ("...was soll ich sagen, keiner ist interessiert, Banalitäten...").
Dennoch bekam er von Hegenbarth im November eine günstige Beurteilung, die eine Wiederaufnahme an der Hochschule befürwortet ("...hat sich in das Kollektiv eingefügt und nimmt an seinem gesellschaftlichen Leben teil...). Außer typisch realsozialistischen Worthülsen enthält diese Beurteilung jedoch nichts Wichtiges.
Am 3.12. beschrieb Schleef die 10-Jahres-Feier des Mosaiks. Insbesondere kommentierte er genau die Szene, die wir auch von dem Foto kennen, auf dem er zu sehen ist:
"Blumen im stalinalleeschen Sitzungsraum, Wein, elegante Anzüge, am Vorstandstisch ein Blauhemd, ... , dazwischen Hegenbarths derbes, bäuerisches, sich selbst feierndes Lachen, seine Frau, etwas zurückhaltender. ... Mein Bau steht auch dort. Man gähnt, man raucht, meist unaufmerksam, aber er demonstriert sich selbst, groß, derb, engstirnig. Nur ein Ich."
Es folgt eine Anmerkung Schleefs aus dem Jahre 1998, in der er Hegenbarth als Boss porträtiert: "Er schlägt alles wild zusammen, was sich ihm in den Weg stellt, auch die guten Ideen, ... er beißt, er tritt, er macht seinen Weg, der DDR-Einzelaktionist, und nun hat er Erfolg. Ich bin Teil dieser Mannschaft, die er rekrutiert, nur Ausgeflippte, die unter Sondertarifen, die er einführt, arbeiten, besser bezahlt als woanders, besser gehalten, dafür stumm überm Zeichenbrett ... ja er hat die DDR für sich umgebogen..." (Schleef beschreibt noch einen späteren Besuch bei Hegenbarth, vor der Wende; dieser führt ihn in seinen Keller, zeigt ihm die alten Hefte, die er inzwischen wieder zurückgekauft habe).
Im Tagebuch (3.12.65) weiter zu Hegenbarth: "... Ein kleiner ungekrönter König in Ostberlin. Einer, den im Grunde alle bewundern ... er bringt den Exportartikel, dafür ist diese Kleine Feier, Dujardin Prost. ... Ich trinke sehr viel, es schmeckt hier, man ißt, sieht einen kurzen Versuchsfilm ... Meine Wunden bluten, ich kann nicht mehr bleiben. Ich gehe."
Dazu dann wieder eine Anmerkung (offenbar später eingefügt): "Ich verlasse eine Party, auf der auch einer meiner Modellbauten vorgestellt wird, den ich danach nicht wiedersehe, eine Festung am Meer, mit hochspritzenden, beweglichen Wellen, mit beweglichen Piratenschiffen, die einen Angriff vorbereiten, das ist die Welt der Digedags."
Im nächsten mosaikrelevanten Eintrag, vom 15.12.65: "Ich zerbreche fast jeden Tag, jeden Tag diese scheußlichen Farben und Seiten austuschen."
Dazu dann wieder eine spätere Anmerkung: "Im MOSAIK waren mir die Hintergründe der einzelnen Episoden anvertraut, die mit zugeordneten Farben ausgetuscht wurden, wir saßen an Tischen hintereinander, der Cartoon ging von Tisch zu Tisch. Es begann mit dem Austuschen der Digedag-Figuren, der größeren Requisiten und Besonderheiten, am Ende der Kette landeten die Cartoons bei Frau A und mir, wichtig war, daß hier Schmincke, Westfarbe verwendet wurde, von der stets etwas abgezweigt wurde, das durfte nicht auffallen, unser Farbenverbrauch wurde streng kontrolliert, er kostete Devisen."
Über Silvester fuhr Schleef dann nach Prag, reiste weiter umher und scheint seine Arbeit beim Mosaik nicht wieder aufgenommen zu haben. In der kurzen Chronik dieser Zeit am Ende des Bandes (S. 477) steht dazu noch: "September - Dezember 1965: Schleef zeichnet Comic-Hintergründe für die Digedag-Geschichten, die im Mosaik-Heft des Verlags Junge Welt erscheinen."
Abgesehen von den sehr subjektiven - aber trotzdem interessanten - Einschätzungen über Hegenbarth enthalten die Aufzeichnungen doch eine Menge Spannendes über die Arbeit am Mosaik und Schleefs Teilnahme daran.
Ein paar Fragen stellen sich mir spontan:
1. Welche von Piratenschiffen belagerte Festung am Meer modellierte Schleef Ende 1965? Konstantinopel und die Kreuzfahrer? Pordoselene und die byzantinischen Söldner? Die Burg von Janos wird es nicht sein, denn die entsprechenden Hefte waren gerade von Juli bis November 1965 erschienen, und es gab ja einen Vorlauf von einigen Monaten.
2. Wer ist diese Frau A, die zusammen mit Schleef die letzten Details kolorierte?
3. Welchen Versuchsfilm hat man sich am 3.12.65 angeschaut?
Ach ja, der Band ist bei Suhrkamp erschienen und kostet 30 Euro.
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