Hulk
Seitdem bekannt wurde, dass Ang Lee für Universal das teure Prestige-Projekt „The Hulk“ inszenieren würde, lagen viele Fragen in der Luft. Würde der renommierte Regisseur von „Tiger & Dragon“ dem amerikanischen Kinosommer die Kunst des Geschichtenerzählens zurückgeben? Würde ihm ein Actionfilm vom Range eines „Terminator II“ gelingen? Oder würde er angesichts der logistischen Herausforderung einer großen Studioproduktion versagen? Um es vorwegzunehmen: Der größte anzunehmende Unfall ist eingetreten. Ang Lee hat einen Film gedreht, der weder das Popcorn-Publikum der Multiplexe noch seine angestammte Arthaus-Gemeinde zufrieden stellen wird. Sein „Hulk“ ist ein Drama ohne Seele, ein Actionfilm ohne Dynamik, eine Effekte-Show ohne große Bilder.
Gleich die umständliche Exposition lässt Schlimmes ahnen: Man muss lange warten, bis man der Hauptfigur, dem jungen Wissenschaftler Bruce Banner, zum ersten Mal begegnet. Dessen Vater hatte einst im Auftrag des US-Militärs an der Kreation regenerativer Zellkulturen gearbeitet. Als man ihm Versuche mit menschlichen Probanden nicht gestatten wollte, wagte er das Experiment am eigenen Körper. Mit dessen Folgen wird Bruce konfrontiert, nachdem er bei einem Unfall im Labor einer tödlichen Strahlendosis ausgesetzt wird. Fortan verwandelt er sich bei jedem Wutanfall in eine riesige grüne Gestalt, die ihre Gefühle durch hemmungslose Zerstörungsorgien austobt. Plötzlich taucht auch sein Vater wieder auf, den Bruce nie kennengelernt hatte, um seinem Sohn den Ursprung der eigenen Existenz zu offenbaren.
Nach seinem zweiten Berserker-Trip gesteht Bruce seiner schockierten Ex-Freundin, dass es sich gut anfühle, sich in der Gestalt des wilden Hulks über jede menschliche Norm hinwegzusetzen und seinen Emotionen freien Lauf zu lassen. Er empfinde dabei Wut, Macht und Freiheit. Diese Worte brandmarken Bruce Banner jedoch nicht als genre-typischen „mad scientist“, der mittels seiner Superkräfte die Weltherrschaft anstrebt, sondern verweisen auf das Thema, das unter dem Comic-Plot verborgen liegt: Die Sehnsucht nach einer Identität jenseits komplexer Regelwerke, die die moderne Welt dem Einzelnen auferlegt; das Verlangen nach einem unmittelbar empfundenen Leben ohne jeden Rechtfertigungszwang. Aber weder in den Sequenzen, in denen man den zivilisierten Akademiker Bruce kennen lernt, noch in den Momenten, in denen der Hulk Freilauf hat, gelingt es Ang Lee, diesen Ansatz, dem Neandertaler der Neuzeit eine universelle Bedeutung zu geben, konsequent durchzuhalten. Stattdessen verzettelt er sich im Bemühen, dem Film eine modische Optik zu verleihen.
Ang Lees Filme haben sich noch nie durch besonderen Stilwillen ausgezeichnet. Seine Stärke liegt vielmehr in der Zeichnung der Charaktere, die in der tragischen Geschichte des Superhelden, dessen Talent eher Fluch als Segen ist, ein fruchtbares Betätigungsfeld hätte finden können. Offenbar aber fand Lee keinen Zugang zu seinen Figuren, denn sie verharren allesamt auf dem Niveau von eindimensionalem Comic-Personal. Umso fataler wirkt es sich deshalb aus, dass er keine individuelle Bilderwelt kreieren konnte, die seinem Hulk eine Heimat gegeben hätte. Selbst die Action-Sequenzen haben keine eigene Ästhetik, sondern wirken eher wie uninspirierte, computergenerierte Studien für das Videospiel zum Film.
Dieser Missstand ist in der Post-Produktion wohl deutlich zu Tage getreten, sodass man bei der Montage jeden erdenklichen Trick anwandte, um den Reiz der Bilder zu maximieren. Der Split-Screen-Overkill trägt aber nicht zum Unterhaltungswert bei, sondern stört als planloses Ablenkungsmanöver den Erzählfluss. Am Ende verlässt man das Kino mit zwei Fragen: Wann wird Hollywood aufhören, Filme zu produzieren, bei denen man mehr Sorgfalt in die Powerpoint-Präsentation zum Marketingkonzept als in das Drehbuch investiert? Und warum wächst eigentlich die blaue Unterhose als einziges Kleidungsstück mit, wenn Bruce Banner sich in den riesigen Hulk verwandelt?
René Classen
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