Da ich die BBC-Verfilmung gesehen habe, liegt es nahe, den Roman damit zu vergleichen. Während einige Additionen den Roman eindeutig ausgebaut haben wie Risleys Subplot, gab es natürlich so Einiges, was nicht adaptiert wurde. Der Erzähler fällt weg, der zum Geschehen seinen Senf zugibt und eine Menge philosophische Zitate rasuhaut, aber damit wollen wir uns nicht lange befassen, da es bei jeder Adaption der Fall ist.
Es ist geradezu mutig, mit Maurice eine besonders zu Beginn ziemlich unsympathische Person zum Hauptcharakter zu machen. Grob gegen seine Familie, kleinlich und anfällig gegen peer pressure, sodass er sogar jüngere Schüler mobbt, weil das 'eben so gemacht wird'. Der Roman ist da besonders deutlich, dass er anfangs geradezu grausam ist und es eine sehr lange Zeit in Anspruch nimmt, bis er sich bessert und Empathie zu fühlen lernt. Damit erinnert er mich an eine noch deutlichere Form von Gilbert Markham aus The Tenant of Wildfell Hall, einem meiner Lieblingsromane.
Die Figur, die sich am meisten in Film und Buch unterscheidet, ist wohl Clive Durham. Was mir z.B. sehr gefallen hat, war, dass nicht wir nicht nur einen Blick in seine Vergangenheit erhalten und sehen, wie sie sich von Maurices unterschiedet, sondern auch das gesamte Kennenlernen von Maurice und Clive kurz aus Clives Perspektive resümmiert wird. Außerdem wird im Buch klar, dass sowohl Clive als auch Maurice schon früher einseitig verliebt waren oder kurzfristige Flirtationen hatten - auch wenn Maurice seine Gefühle damals nicht wirklihc einordnen kann.
Viele von Clives philosophischen Monologe sind nur im Buch enthalten - dabei sind sie einer der besten Parts des Romans und machen Clive anfangs noch sympathischer als im Film. Das macht seine charakterliche Wandlung natürlich umso bitterer. Während der Film sofort klarmacht, dass Clive Maurice fallenlässt, um sich sozialen Konventionen zu beugen, scheint der Roman dem Leser klarmachen zu wollen, dass Clive einfach eines Nachts aufhört, Männer zu lieben und stattdessen Frauen attraktiv findet. Tatsächlich wird das buchstäblich so gesagt. Das ist natürlich eine Phrase, die selbst Fans von conversion therapy als ziemlich extrem vorkommen würde und dementsprechend war ich geschockt und sogar etwas enttäuscht, da ich von einem sonst so guten Autor wie Forrster kein so unrealistisches Element erwartet hätte. Erst im Laufe des Romans wird klar, woraus Clives 'Liebe zu Frauen' besteht, indem gesagt wird, dass er es nur aushält, mit seiner Frau Sex zu haben, wenn es vollkommen dunkel ist und beide bis auf das absolut Notwendige vollständig bekleidet sind. Das Detail wird ja nicht umsonst da stehen. Und insbesondere mit dem 1960 von Forster hinzugefügtem Nachwort und der Interpretation von David Leavitt kann zusammengefügt werden, was wirklich passiert ist. Maurices Zuneigung hatte einen Charme für Clive, da sie Aufregung, Auflehnung, Abenteuer und teenager-typische Rebellion bedeutete. Mit 24 aber wurde er 'erwachsen' und dieser Werte verloren ihren Reiz für ihn - an ihre Stelle rückte die Sehnsucht nach Stabilität, Respektabilität und Normalität. Da für ihn klar war, dass weder Maurice noch sonst ein Mann ihm das geben konnte, verlor er die Freude an Beziehungen und Intimität mit Männern und sehnte ich - in gewisser Weise - nach Frauen. Dass er diese Sehnsucht als fundamentale Umkehrung seiner Sexualität interpretiert hat, halte ich für durchaus möglich. Clive ist der für mich interessanteste Charakter des Romans - ich teile viele seiner Werte und Ziele, insbesondere das Setzen von Wissen als höchstes Gut und das Streben danach als wichtigstes Ziel - noch vor der Liebe. Und es ist gerade diese Intellektualität, die ihm hilft, seine Liebe sehr viel schneller und klarer als Maurice einzuordnen und zu erkennen. Gleichzeitig führt diese rationale Sicht zu einer sterilen, platonischen (wenn auch dennoch warmen) Sicht auf die Liebe, was Maurice ganz offensichtlich missfällt. (Abzugrenzen ist das natürlich von Asexualität, die ich bei Clive aber nicht sehe, nur eine Art Repression)
Alec kommt im ganzen Roman nur recht kurz vor - auf etwa 60 Seiten. Er ist als eigener Charakter zwar klar gezeichnet, bleibt aber einer der weniger entwickelten Charaktere. Zusammen mit Kitty Hall hätte ich gerne noch etwas mehr von seinem Charakter und von seinen Interaktionen mit Maurice und anderen Charakteren gesehen.
Lesezeichen