dieser Band etwas weniger als die vorherigen, auch wenn er natürlich wirklich gut ist. Dennoch habe ich das Gefühl, die Charaktere stagnieren ziemlich in ihrem Verhalten.
Shoya tut noch immer das, was er von Anfang an getan hat: nicht auf die Gefühle anderer Menschen achten. Es wirkt auf mich ein wenig so, als würde er Shoko (und anderen) nur deshalb helfen wollen, um sich selbst besser zu fühlen und Buße für das frühere Mobbing zu tun. Insbesondere hat es mich gestört, dass er Naoko allgemein immer, aber insbesondere nach der Fahrt im Riesenrad fast schon angreift und ihr gemeines Verhalten Sahara, ihm selbst und natürlich auch Shoko gegenüber unterstellt. Er kommt nicht einen Moment auf die Idee, dass sie auch nur ein Mensch mit normalen Gefühlen ist. Sie wollte ihm schließlich helfen, indem sie ihn und seinen Kindheitsfreund wieder zusammenführt (gut, das war evtl etwas unüberlegt), und dass sir sich tatsächlich gut mit Dahara versteht, ist für ihn wie ein Weltwunder.
Auf mich wirkt es, als sei Shota in seiner Grundschulzeit stehen geblieben, was Soziales angeht, während alle anderen sich weiterbewegen.
Naoko ist natütlich kein unbeschriebenes Blatt und wie sie sich Shoko gegenüber verhält, ist unter aller Sau. Dennoch verstehe ich, dass es sie auf gut Deutsch ankotzt, dass sich Shoko immer so duckmäuserich verhält und in eine Opferrolle begibt, statt für sich selbst einzustehen. Naoko stellt sie nicht sonderlich geschickt zur Rede - zu sagen, dass sie als Kind doch hätte merken sollen, dass man sie nicht dabei haben will und sie nur deshalb mobbt, ist bekloppt.
Jedoch geht sie einen Schritt vorwärts, auch Shoko zu, indem sie aich ihr gegenüber ehrlich verhält und trotz dessen, dass sie einander (vermeintlich) hassen, ihr die Hand hinhält und ein friedliches Miteinander in der Zukunft anbietet, ist mehr, als andere tun würden. Sie will keiner dieser Pseudofreunde werden und aus Mitleid Shoko gegenüber ihre eigenen Gefühle unterdrücken, sondern stellt sich ihr auf Augenhöhe gegenüber und behandelt sie als gleichwetigen Menschen, nicht als armes behindertes Mädchen.
Dass Shoko sagt, sie hasse sich selbst, entspricht Shokos wahren Gefühlen. Die wiederum Naoko zum Austicken bringen, denn statt dass sich Shoko als Mensch auf Augenhöhe verhält, wie Naoko es zuvor klarstellen wollte, igelt sie sich wieder in ihrer Opferrolle ein. Eine verzwickte Situation, jedoch sind beide Charaktere vollkommen verständlich. Shoko kann schließlich nocht einfach das Trauma der Ablehnung durch ihre Behinderung abschütteln und von heute auf morgen selbstbewusst werden, während Naoko auf ihre eigenwillige Weise versucht, ihr entgegenzutreten und selbst nur Ablehnung von Shoko erfährt.
Dass Shoya sich komplett, ohne von den Umständen oder den Gefühlen der beiden zu wissen, sofort auf Shokos Seite stellt, ist nicht sehr hilfreich.
Ich denke, Shoya macht exakt das, was Naoko vermeiden will: er sieht in Shoko das Opfer, dass er bemitleidet, weil er es früher gemobbt hat und nicht etwa einen gleichwertigen Menschen, wie Naoko es tut.
Daher bin ich ungemein froh, dass Shoya Shokos Liebesgeständnis nicht verstanden hat, denn ehe er sich in Shoko als Mensch verlieben kann, muss er sich charakterlich um einiges weiterentwickeln.
Yuzuru ist derzeit der Charakter, der mir am besten gefällt. Vielleicht auch, weil sie in diesem Band ziemlich im Fokus stand und man nun mehr über ihre Kindheit erfährt. Ihre Oma ist ihr eine Leitfigur, die sie immer unterstützt, während ihre Mutter für sie ein Monster ist. Aufgrund ihrer Erfahrungen (das Haareschneiden, die Hörgeräte, etc) ist es ihr nicht möglich, ihre Mutter zu verstehen, und ich bin froh um das Auftreten der Oma, denn dadurch lernt man endlich nun die Sichtweise der Mutter kennen. Sie apricht deshalb keine Gebärdensprache, weil sie nicht die Zeit hatte, sie zu lernen, denn schleißlich musste sie arbeiten, um als nun alleinerziehende Mutter ihre beiden Töchter und die Großmutter über die Runden zu bringen. Dass ihre Tochter behindert ist, ist dazu auch nochmal ein hoher Kostenfaktor, weshalb sie umso mehr arbeiten muss und umgekehrt weniger Zeit für andere Dinge hat.
Ihr Mann hat sie nur verlassen, weil ihre gemeinsame Tochter behindert geboren wurde und er alle Schuld der Mutter gibt. Das prägt diese natürlich auch, weshalb sie nicht will, dass ihre Tochter ein schwaches, immer von anderen Menschen abhängiges Wesen wird. Natürlich lässt sich dies nicht mit den rabiaten Methoden lösen, wie die Mutter sie ausüben will, aber nun versteht man doch endlich ein wenig mehr über ihre Beweggründe.
Suzuru wiederum weiß von diesen nichts.
Und da kann auch die Oma nicht (mehr) helfen, auch wenn sie es versucht. Es stößt bei Yuzuru auf (pardon!) taube Ohren.
Alles in allem macht in diesem Band kein Charakter wirkliche Fortschritte: Shoko bleibt in ihrer Opferrolle, was Naoko nicht akzeptieren will, während Shoya nur Shoko sieht (und sie in ihrem Opferdasein unterstützt), während gleichzeitig Yuzuru ihre Mutter hasst, die sich ebenfalls kein Stück auf ihre Mutter zubewegen kann.
Dennoch gibt mir das die Hoffnung, dass, nun da alle Konflikte offengelegt sind, diese in den nächsten Bänden von den Charakteren verarbeitet werden können und alle einen Schritt nach vorne gehen.
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