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Thema: Pflegenotstand

  1. #1
    Mitglied Avatar von Kain
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    Pflegenotstand

    Ich mag das Wort nicht unbedingt, aber als Eingang hierfür bietet es sich durchaus an. Ganz zu schweigen davon, dass es einer gewissen Wahrheit nicht entbehrt.



    Die verschiedenen kennen sich mitunter untereinander. Ich mag also auch dem einen oder anderen CM-User seit Ende der 90er bekannt sein. Sei es von Power Wrestling (damals "Kaine" weil irgendein Dämel meinen Namen verwendet hat), Moonsault, dem BoardHell oder eben von hier.



    Damals war ich in der Mobilfunkbranche tätig. Sowohl im Groß- als auch mehrere Jahre im Einzelhandel. Das ging bis etwa September 2002 so. Die beruflichen Irrungen und Wirrungen im Anschluss sein mal dahin. Jedenfalls bin ich ausgebildeter Kaufmann für Bürokommunikation. Sowohl in diese Ausbildung als auch in jede anschließende Arbeitsstelle bin ich mehr oder weniger zufällig gestolpert. Ohne mich da jemals wirklich wohl gefühlt zu haben. Der eine oder andere wird auch wissen, dass ich an Depressionen leide die zu Zeiten auch in recht extreme Bereiche ausgeartet sind.



    Letztes Jahr habe ich die Notwendigkeit für eine berufliche Änderung gespürt. Das war alles eher zufällig als geplant. Normalerweise nutze ich gezielt das Internet um mich über Nachrichten u. ä. auf dem laufenden zu halten. Aus irgendwelchen Gründen hatte ich im Mai 2012 eine Tageszeitung im Haus. Bei den Stellenangeboten gab es eine Ausschreibung für eine FSJ- bzw. BFD-Stelle. Entweder in einem Heim für Senioren oder für Menschen mit Behinderung. Von einem BFD habe ich zuvor noch nie gehört. Aber nachdem ich mehrere Minuten diese Anzeige betrachtet habe, habe ich mich für ein freiwilliges soziales Jahr beworben. Wofür ich, wie ich beim Vorstellungsgespräch erfahren habe, zu alt bin. Also doch BFD. Im Grunde genauso. Ich erspare euch die Einzelheiten.



    Ich habe mich bewusst für den Behindertenbereich entschieden und am 01. September hatte ich meine erste Schicht. Wochenende, Spätschicht. Ich habe im vergangenen Jahr festgestellt, dass mir die Frühschicht, obwohl ein gutes Stück anstrengender, mehr liegt. Aber das nur am Rande.



    Ich kann nicht zu viel über meine Einsatzstelle sagen. Ich muss hier die Privatsphäre der Bewohner im Auge behalten. Nur so viel: Ich arbeite derzeit (genaugenommen noch bis morgen) in einem Wohnpflegeheim für schwer- und mehrfachbehinderte Menschen. In diesem Haus (mein Arbeitgeber betreibt mehrere Heime sowohl für Senioren als auch Menschen mit Behinderung) sind die pflegebedürftigsten Bewohner untergebracht, die derzeit bei meinem Arbeitgeber untergebracht sind. Insgesamt kümmern wir uns um zwanzig Menschen mit unterschiedlichen Graden der Behinderung (darunter auch einige wenige, die selbstständig laufen können).



    Dem Behindertenbereich geht es ein Stück besser als dem Seniorenbereich. Dennoch ist auch hier einiges zu tun. In einer normal besetzten Frühschicht müssen wir uns zu fünft (zzgl. einer Ergotherapeutin) um alle Bedürfnisse dieser zwanzig Menschen kümmern. Angefangen bei der Körperpflege, zu der die meisten alleine nicht im Stande sind, über die Eingabe von Essen (unsere Bewohner werden nicht gefüttert, sie sind keine Tiere!) bis hin zur Unterhaltung und einem möglichst warmen Zuhause. Gerade die letzten beiden Punkte kommen oft zu kurz. In einem Pflegeberuf kann immer irgendetwas unvorhergesehenes dazwischen kommen. Sei es, dass ein Bewohner einen Anfall hat oder etwas schwerwiegenderes. Von Tagen, an denen wir aufgrund von Krankheit nicht voll besetzt sind ganz zu schweigen. Zudem ist es nicht gerade leicht, allen zwanzig Bewohnern die gleiche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Dann hat natürlich jeder seine "Lieblinge". Dagegen kann man als Einzelner natürlich so gut es geht angehen. Aber es lässt sich nicht komplett ausblenden. Das ist nur menschlich.



    Es geht nun nicht darum, dass pro Bewohner eine Pflegekraft vorhanden ist. Das wäre utopisch. Aber: Nur ein Mann mehr und in der üblichen Geschwindigkeit arbeiten und wir sind (in der Morgenpflege) etwa eine Stunde früher fertig! Das bedeutet eine Stunde mehr Zeit für die Bewohner. Je nach Gewichtung kann man sich natürlich auch bei der Pflege mehr Zeit lassen. Oder später beim Frühstück. Oder man verwendet die Zeit, um etwas mit den Bewohnern zu machen.



    Das wir überbesetzt arbeiten kommt eher selten vor. War glaube ich nur zwei mal im vergangenen Jahr. Die Einarbeitungszeit der FSJler und BFDler mal außen vor. Aber da ist man nicht unbedingt schneller. Eher im Gegenteil.



    Die Realität sieht eher so aus, dass es für einen Bewohner schon das größte ist, wenn mal jemand die Zeit hat, sich eine Minute neben ihn zu stellen. Haltet euch das Bild vor Augen. Ihr stellt euch einfach eine Weile neben diesen Bewohner und er fängt an sich zu freuen und laut zu lachen! Wie sehr würde es sein Leben verändern, wenn wir mehr Zeit für ihn hätten, und das regelmäßig!



    Das war die erste berufliche Entscheidung, die ich selber getroffen habe. Und es war eine erfolgreiche Entscheidung. Seit dem ersten Tag hat mir keiner geglaubt, dass ich so etwas noch nie gemacht habe. Das hat mitunter schon peinliche Züge angenommen, weil ich mich gefühlt habe, als würde man mich wie ein Wunderkind behandeln.



    Ich mache diesen Beruf verdammt gerne. Ab September beginnt der erste Schritt zu meiner Ausbildung zum Heilerziehungspfleger. Wenngleich in einem anderen Haus, mit leichteren Fällen. Aber da sieht der Personalschlüssel anders aus. Im Endeffekt ändert sich also nichts an der Zeit, die für die Bewohner zur Verfügung steht.



    Irgendwer will mal festgestellt haben, dass Leute in Pflegeberufen im Schnitt zehn Jahre früher sterben. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Es ist mir auch nicht wichtig. Einige meiner Kollegen sehen das anders. Verständlich. In jedem Fall ist es ein physisch und psychisch anstrengender Job. Selbstverständlich auch für mich. Ich war noch nie der verschwenderische Typ. Geld ist also auch nicht unbedingt meine größte Motivation. Im Freiwilligendienst verdient man knapp 600,00 Euro/Monat und ich komme zumindest klar. In den nächsten Jahren während der Ausbildung wird das auch erst mal nicht sonderlich viel mehr sein. Und ja, ich freue mich auch auf die Zeit, in der ich wieder "richtig" verdiene. Aber dennoch steht die Entlohnung für Pflegekräfte in keinem Verhältnis zur Belastung, die diese Berufssparte mit sich bringt. Angela Merkels prätentiöses Geschwätz hilft da auch niemandem. Dem folgen einfach keine Taten!



    Sei es im Alter oder durch Krankheit oder Unfall. Jeder kann zu einem Pflegefall werden. Jeder Freunde und Verwandte, die ein solches Schicksal erleiden können. Dann ist es wichtig, dass es qualifizierte Menschen gibt, die sich dieser Personen annehmen. Qualifiziert und motiviert. So wie es jetzt ist, sind Pflegeberufe nicht gerade attraktiv. Ein Grund mehr für akuten Personalmangel in der Pflege. Und selbst wenn es genug Personal gäbe, würde es mitunter an Geld fehlen, um für eine umfassende Versorgung zu sorgen, die über sauber und satt hinausgeht.



    Mein Arbeitgeber hat seit einiger Zeit eine Petition am Laufen, die auf die Missstände in der Pflege aufmerksam machen und zu einer Besserung führen soll. Ob das von Erfolg gekrönt sein wird steht in den Sternen. Aber es ist einen Versuch wert und wir brauchen eure Unterstützung. Bitte unterschreibt, zeigt den Links euren Freunden und Bekannten, teilt ihn bei Facebook und anderen sozialen Netzwerken!



    Und haltet euch vor Augen, dass jeder irgendwann auf Pflege angewiesen sein könnte.



    Vielen Dank! Auch im Namen der zwanzig Bewohner von "Haus 2"!



    https://www.openpetition.de/petition...-pflegekraefte

  2. #2
    Mitglied Avatar von Mikku-chan
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    Puh, so schön Petitionen sind, die gegen den Missstand protestieren wollen bzw. diesen auszeigen wollen - die Realität sieht leider anders aus.

    Ich selbst arbeite über seit 2 Jahren in einem Seniorenheim, bin dort gut aufgenommen worden obwohl ich keinerlei Ausbildung in diese Richtung gemacht habe und bis dato auch keine anfangen habe (ich studiere und mache das nebenbei).

    Leider ist es so, dass viele, auch einige aus meinem Bekanntenkreis der Wahrheit nicht ins Auge sehen wollen: dass die Bevölkerung älter, schutz- und pflegebedürftiger wird. Wenn ich, und das ist nur meine persönliche Erfahrung, rumfrage, wer bereit wäre, sich einen Pflegeberuf zuzutrauen, sagen eigl alle, es wäre nichts für sie. Fast jeder macht große Augen, wenn ich sage, dass ich neben der Uni noch in einem Altenheim arbeite. Dabei frage ihc mich jedes Mal: Wieso ist es so verwunderlich?

    Andere, im Altenheim selber fragen mich, ob ich den Beruf gelernt habe - da kann ich dann nur sagen "Nein". Dennoch sind die Leute, sowohl Angehörige sowie Bewohner (nein, wir nennen sie nicht Patienten, so heißen Menschen in einem Krankenhaus), absolut zufrieden mit der Leistung. Und in solchen Momenten stelle ich jedes Mal fest: Ausbildung ist natürlich gut, aber es braucht gar nicht mal so viel, um alten Leuten ein gutes Gefühl zu geben, dass sie sich geborgen und umsorgt fühlen. Es reicht schon, wenn man sich nur um sie kümmert.
    Daneben muss keiner direkt in die Pflege, es würde schon reichen, würde man den alten Menschen nur mal zuhören, sprich man macht den Job einer Altagsbetreuung. Das ist wahrlich nicht schwer, da muss keiner jemanden waschen, heben etc. Da ist es "nur" vorlesen, reden, kurz: sich mit den Senioren zu beschäftigen.

    DAS ist aber leider das Problem. Wie ich oben erwähnt habe, wollen viele junge Leute das nicht, es fällt ihnen schwer ihre Hemmschwelle gegenüber Alten zu senken, sich einfach mal einzulassen. Egal in welchem Bereich.

    Natürlich ist Altenpflege auch ein "schmutziger" Job. Man muss bei der Körperpflege natürlich das Inkontinenzmaterial (Windeln, Einlagen, Binden) wechseln, die Wundversorgung (von den Examinierten ausbeübt, bei denen aber manchmal aushilft) ist keine "angenehme" Angelegenheit, das Essen reichen (man wird angespuckt, angehustet etc.)
    Dennoch kann man versuchen sich davon nicht ganz so zu ekeln, die Ekelgrenze etwas runterzuschrauben und sich mal in die Lage der alten Menschen versetzen: will man selbst hilflos ausgesetzt sein?! Sicherlich nicht!

    Ich finde es sehr gut, dass tlw. in TV-Berichten bereits von den Missständen berichtet wird. Denn neben der körperlichen Arbeit ist das Psychische natürlich eine große Belastung. Daneben gibt es aber eine dritte Kategorie, nämlich der ganze Papierkram, mit denen sich ein Pflegehelfer auseinandersetzen muss - ja, auch ich als nicht Ausgebildetete muss Berge an Dokumenten abzeichnen oder in Mappen Dinge vermerken.

    Ich würde mir manchmal einfach mehr Alltäglichkeit in dieser Berufssparte wünschen.
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  3. #3
    Mitglied Avatar von Zyklotrop
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    Zitat Zitat von Kain Beitrag anzeigen
    über die Eingabe von Essen (unsere Bewohner werden nicht gefüttert, sie sind keine Tiere!)
    Ich finde, "füttern" klingt sehr viel menschlich-liebevoller als das gruselige "Eingabe von Essen"... sollte in die Petition rein.

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