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Thema: Cloud Atlas (Der Wolkenatlas), David Mitchell

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    Alumna (ehemaliges Teammitglied) Avatar von Jenny
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    Cloud Atlas (Der Wolkenatlas), David Mitchell

    Ich bin grade in einem der irrsten Bücher, die ich je gelesen habe (den Film mit T. Hanks und H. Berry habe ich übrigens nicht gesehen, kann mir auch nicht vorstellen, dass das in bewegten Bildern derart fesselt wie das Buch). Hat noch jemand es gelesen? Ich brenne darauf, mich mit irgendwem drüber auszutauschen!

    Wer das Buch/den Film nicht kennt: Cloud Atlas erzählt sechs ineinander eingebettete Geschichten, die schätzungsweise ein knappes Jahrtausend umspannen. Achtung - Spoiler.


    Souls cross ages as clouds cross skies.

    Im 19. Jahrhundert unternimmt ein Amerikaner namens Adam Ewing eine Forschungsreise im Pazifik, wo er allerlei Seltsames aus den Völkern der Maori und Moriori aufzeichnet. Er begegnet Kolonialdenken und Sklavenmisshandlungen, und all das stößt ihn ab. Als ein Moriori names Autua sich in seiner Kabine verbirgt, hilft Ewing ihm. Ewing ist überzeugt, von einem Parasiten befallen zu sein, und lässt sich dagegen von einem Arzt, Henry Goose, behandeln. Was er nicht weiß: Goose vergiftet ihn allmählich, um ihn am Ende auszurauben.

    Ewings Aufzeichnungen werden 1931 von Robert Frobisher gelesen, einem jungen Musikstudenten, der von seiner englischen Elite-Uni geflogen ist und nun in Belgien auf dem Chateau eines kauzigen alten Musikers Ayrs als Assistent arbeitet, dessen Musik aufschreibt und vollendet und ihn nebenher schamlos ausnutzt (er macht wertvolle antike Bücher seines Gasgebers auf dem Schwarzmarkt zu Geld und schläft mit Ayrs' Frau). Der alte Komponist leidet an Syphilis im Endstadium und unter Stimmungsschwankungen und Visionen. In einer hört er eines der Musikstücke, die er Frobisher diktiert - begleitet von Bildern geklonter Kellnerinnen. In Briefen an seinen Freund und Liebhber Rufus Sixsmith erzählt Frobisher von seinen Eskapaden.

    Die Briefe findet 1975 eine junge Reporterin aus Kalifornien, Luisa Rey, die den Tod von Rufus Sixsmith untersucht - und einen Skandal an einem Atomkraftwerk, für das Sixsmith gearbeitet hat. Während sie versucht, die Wahrheit um den Komplex herauszufinden, fasziniert sie die Musik Frobishers, insbesondere sein "Wolkenatlas-Sextett" (das er dann offenbar als sein eigenes veröffentlicht hat).

    Eine Romanversion dieses Krimis erreicht in den frühen 2000ern Timothy Cavendish, einen misanthropischen Verleger, der allerdings gänzlich andere Probleme hat, da er von seinem Bruder in ein gefängnisartiges Altenheim überwiesen worden ist, aus dem er nun versucht zu entkommen.

    Eine Verfilmung von Cavendishs "ghastly ordeal" wird hunderte von Jahren später in einem Korea des mittleren 3. Jahrtausends von der geklonten Fastfood-Bedienung Sonmi ~451 gesehen. Sonmis Erzählung bildet für mich das Herz der Geschichte und ist in seinem dystopischen Setting unheimlich faszinierend. Das System besteht aus Konsum, die Macht und sogar die religiöse Orientierung liegt in der Hand der Konzerne (dies erschließt sich genialerweise erst nach und nach - Sonmi verwendet religiöse Termini wie Seher, Messe, Katechismus etc, und was damit gemeint ist, ergibt sich allmählich zu einem dystopischen Gesamtbild). Sonmi bricht aus ihrem genetisch vorprogrammierten Sklavendasein aus und setzt damit eine Revolution in Gang. Kurz vor ihrer Hinrichtung gibt sie ihre Erfahrungen zu Protokoll.

    Dieses Protokoll, eine Art holografische Aufzeichnung in Bild und Ton, ist einige hundert Jahre später eines der wenigen Artefakte der "Old'uns", die in einer postapokalyptischen Welt noch existieren und von den Prescients gehütet werden, um den wenigen gebliebenen "Civ'lized" der Welt als Orientierung zu dienen - Sonmi gilt den Stämmen von Hawaii als Göttin. Der letzte Handlungsstrang dreht sich um den jungen Ziegenhirten Zachry auf Hawaii, der von einer der Precients von vergangenen Zivilisationen erfährt - mitten in einem verzweifelten Überlebenskampf gegen den brutalen Kona-Stamm, der Hawaii zu überrennen droht und damit alle Zivilisation, die Zachry in seiner kleinen Welt überhaupt kennt. Ein befreiendes Element oder gar ein Happy End fehlt. Zachry überlebt, und auch einige seines Stammes, aber die zivilisierte Menschheit ist auf dem Rückmarsch vor der brutalen Gewalt der Kona.

    Dann laufen die Hadlungsstränge wieder rückwärts.

    Wir erfahren, die die Geschichte Sonmis endet, und alles, was der Leser an Erwartung an die Story hatte, wird auf den Kopf gestellt, als deutlich wird, dass Sonmi die ganze Zeit über nicht nur von den Regierung, sondern auch von den vermeintlichen Rebellen benutzt worden ist. Es gibt keine Rebellion und keinen Aufstand. Sonmi wird als gefährliche Außenseiterin exponiert, so den Einfluss der Regierung auf die Bevölkerung verstärkt und am Ende hingerichtet wird - aber aufrecht, stoisch, und erfüllt, ganz als wüsste sie, dass irgendwann einmal Menschen ihre Gedanken als inspirierend empfinden - vielleicht nicht jetzt, aber in ein paar hundert Jahren.

    Sonmis letzter Wunsch ist es, den Film über Timothy Cavendish zu Ende zu sehen.

    Cavendish muss feststellen, dass sein Bruder verstorben ist - der einzige, der ihn auds dem Altenheim hätte retten können. Dazu kämpft er mit der langsamen Genesung nach einem Schlaganfall. Als es ihm wieder besser geht, fasst er, gemeinsam mit drei anderen Insassen: einen abenteuerlichen Fluchtplan. Dieser wird, der Gipfel der Komik und der Absurdität, in die Tat umgesetzt.


    Am Ende liest Cavendish, wieder in Freiheit, das Manuskript über Luisa Rey zu Ende. Ihre Storyline wird zu einem Umweltthriller, an dessen Ende es ihr gelingt, die verbrechen Machenschaften von Seaboard aufzudecken.


    Von Sixsmiths Nichte bekommt Luisa Rey die verbleibenden Briefe von Frobisher.

    Frobisher hat sich mittlerweile in Ayrs' Tochter verguckt; seine Geschichte bekommt Werther-Züge und endet auch so. Am Ende erschießt er sich mit Ayrs' Waffe, in einer kühl geplanten Handlung, die weniger etwas von Verzweiflung als vielmehr etwas vom ultimativ zu Ende gedachten Personenkult und dem Wahnsinn des Genies hat.

    Vor seinem Selbstmord findet Frobisher den fehlenden Teil des Reisetagebuch von Adam Ewing und liest es.

    Ewing gerät immer tiefer in die Fänge von Henry Goose, sowie den für ihn inakzeptablen Handlungen gegen Wehrlose - egal, ob das Sklaven sind oder Schiffsjungen. Sein Gesundheitszustand verschlechtert sich dank Goose zusehends, und am Ende rettet ihn der Moriori Autua, der Goose' Vorhaben durchschaut hat. Das Ende gehört Ewing, wieder genesen, der beschließt, an die amerikanische Ostküste zu gehen und sich dort dem Kampf gegen Sklaverei und Ausbeutung der Schwachen zu verschreiben, der sich letztlich durch die gesamte Geschichte zieht. Auf die abfäiige Bemerkung seines Vaters, was er als Tropfen in einem Ozean schon ausrichten kann, steht Ewings letzte Feststellung: But what is an ocean except a multitude of drops?

    Die Geschicke dieser Menschen sind nicht nur durch ihre Berichte aus vergangenen Zeiten verbunden, sondern auch durch ein Muttermal, das (fast) jeder der Hauptfiguren (Ewing, Frobisher, Luisa Rey, Cavendish, Sonmi~451, Meronym) an der gleichen Stelle trägt und das diese Menschen als ein und die gleiche "Seele" durch die Jahrhunderte ausweist. Und gerade im Mittelteil fragt man sich: Was ist wichtig? Was ist Zivilisation? Und sind wir überhaupt noch zu retten?
    Geändert von Jenny (10.11.2013 um 14:13 Uhr)

  2. #2
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    Liest sich interessant. Mal schauen, ob ich mir das Buch besorge und eventuell für Splashbooks bespreche.

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