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Thema: The Untold Story

  1. #26
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    Kapitel 13 deckt hauptsächlich das Jahr 1984 ab, das Jahr von „Secret Wars“. Hier gibt es viele für mich neue und überraschende Informationen (mit dieser Zeit bei Marvel habe ich mich noch nie näher beschäftigt).

    Ausgelöst wurde alles indirekt von DC. Der Spielzeughersteller Kenner, bekannt für seine Star-Wars-Figuren, lizensierte 1983 einige DC-Comichelden, darunter Superman und Batman. Mattel sicherte sich daraufhin Marvel-Rechte, wollte aber seine Actionfiguren mit Hilfe einer spektakulären Comicveröffentlichung in den Markt drücken. Der Titel „Secret Wars“ war eine Marketing-Idee – das klang angeblich für Kinder spannend. Jim Shooter sollte sich nun dazu passend eine Story ausdenken.

    Er wollte ja eigentlich den Big Bang; hier warf er zumindest alle namhaften Marvelfiguren in einen Topf und ließ sie einfach gegeneinander kämpfen – ungeachtet der Regeln des Marvel-Universums. Diese Story, schreibt Howe, stand im Gegensatz zu allem, was bisher Marvel-Comics ausgemacht hatte. Sie wurde kaum moralisch begründet, und die Bösen waren einfach die Bösen, mit Ausnahme des Molekül-Manns, einer alten Figur aus „Fantastic Four“ # 20, die genauer ausgearbeitet wurde. Shooter sagte, die Serie solle nur den Kids zeigen, wozu die Spielfiguren gut sind. Am Marvel-Universum änderte sich freilich damit nichts.

    Gleichzeitig mit „Secret Wars“ kam auch „Amazing Spider-Man“ # 252 in den Verkauf, die erste Ausgabe, in der das schwarze Spider-Man-Kostüm auftaucht. Man vermutete, es werde den Fans nicht gefallen, und Shooter wollte schon anordnen, daß es in # 253 wieder verschwindet. Aber Mattel gefiel es: So konnte man zwei verschiedene Spider-Man-Figuren verkaufen. Zur Überraschung aller war ASM # 252 ein großer Verkaufserfolg. Massen von Comicfans müssen sich in den Comicläden gedrängt haben, um diese Ausgabe zu ergattern; wenige Tage nach Verkaufsstart wurde sie für 50 Dollar gehandelt.

    Howe schreibt nun zum wiederholten Mal, daß sich endlich die Verkaufszahlen von Marvel besserten (genaue Zahlen gab es schon länger nicht mehr). Sehr erfolgreich war zu dieser Zeit auch „Thor“, geschrieben und gezeichnet von Walt Simonson. Marvel-Verkaufsleiterin Carol Kalish wird erwähnt, die damals noch unter 30, und zugleich Super-Comicfan und ein enormes Verkaufstalent war. Die Redaktion stand ihr jedoch reserviert gegenüber, weil man Kreativität höher achtete als die Sprache der Verkaufszahlen.

    Der Erfolg von Marvel mündete jedenfalls in einen Anruf von Warner-Manager Bill Sarnoff bei Shooter, mit der er ihm anbot, sieben DC-Serien zu übernehmen, die sich überhaupt nicht verkauften: Superman, Batman, Wonder Woman, Green Lantern, New Teen Titans, Legion of Superheroes und Justice League of America. Shooter sah darin kein Problem, da er ja das Marvel-Universum ohnehin neu starten wollte. Aber ein Aufschrei in der Branche, Marvel werde damit eine marktbeherrschende Stellung bekommen, hielt den Verlag dann doch von dem Deal zurück. Howe berichtet jedenfalls, Kenner habe zwar mit den DC-Figuren Gewinn gemacht, aber die DC-Comics seien damals in den roten Zahlen gewesen.

    Noch ein Detail vom Beginn des Kapitels: Jack Kirby stritt sich immer noch mit Marvel über Urheberrechte, unter anderem die Erfindung von Thor. Stan Lee sagte, er habe vorgeschlagen, den Donnergott zur Comicfigur zu machen, und niemand habe je vorher nordische Götter in Superheldencomics verwendet. Lee: „Also wenn das mir nicht das Recht gibt zu behaupten, daß ich das erfunden habe, dann weiß ich nicht, was.“ Howe merkt hier an, 1957 habe es bei DC eine Story namens „Der magische Hammer“ gegeben; darin habe ein Mann diesen Hammer gefunden, der ihm die Kontrolle über Blitz und Donner verlieh. Zeichner war damals Jack Kirby.

  2. #27
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    Wir kommen nun zum Ende der Ära Shooter. Im Mittelpunkt von Kapitel 14 steht das Jahr 1986, ein wichtiges Jahr für die US-Comicindustrie. Um nicht den Eindruck zu erwecken, ich wolle permanent DC runtermachen, halte ich fest: 1986 war das Jahr, in dem John Byrne „Superman“ übernahm („Man of Steel“) und Frank Miller Batman völlig überarbeitete („The Return of the Dark Knight“); beide galten als Marvel-Leute, die DC-Stoffe neu interpretierten. Marvel brachte in diesem Jahr keine wichtigen Comics heraus. Der „Howard the Duck“-Kinofilm, produziert von George Lucas, floppte.

    Auf der Business-Ebene tat sich allerdings einiges: Marvel wurde an New World Pictures verkauft, vormals die Produktionsfirma von Roger Corman. Das Problem war allerdings: Die neuen Eigentümer von Marvel waren wieder mal Geschäftsleute, die von Comics keine Ahnung hatten. Howe erzählt dazu eine Anekdote: Nach dem Deal jubelte Robert Rehme, der neue Marvel-Präsident, vormals ein hohes Tier bei Universal: „Wir haben gerade Superman gekauft!“ Sein Marketingchef war irritiert: Warner hat also DC abgestoßen? Als Rehme die Firma nannte, stellte sich heraus: Nicht Superman, sondern Spider-Man! Das war allerdings eine dumme Sache: Die Filmrechte an Spider-Man hatte nicht New World, sondern Cannon.

    Im April 1987 wurde Jim Shooter gefeuert. Alle Marvel-Redakteure, mit Ausnahme seines engsten Vertrauten Tom DeFalco, hatten sich gegen ihn gestellt. Shooter hatte immer stärker in deren Arbeit eingegriffen, immer mehr Comics kurzfristig neu zeichnen lassen, weil sie nicht seinen Vorstellungen entsprachen. Die Redakteure waren der Ansicht, sie wüßten, wie man Comics macht; Shooter sei nur ein Hindernis im Produktionsprozeß. Shooter hatte allerdings selbst versucht, bei New World durchzusetzen, daß die Zahl der Marvel-Titel von etwa 50 auf etwa 25 reduziert wird, da zu viel Arbeitskraft mit eher zweitklassigen Serien gebunden wurde und sich die Autoren und Zeichner zu wenig um die guten Serien kümmern konnten. Das Management lehnte ab und setzte stattdessen zehn zusätzliche Titel durch, die man bereits konzipiert hatte. Art Director John Romita verzweifelte: Sie sahen nach seinen Worten aus wie Amateurarbeiten.

    1985 hatte Shooter zunächst „Secret Wars II“ herausgebracht. Die Serie unterschied sich von „Secret Wars I“ vor allem dadurch, daß nun Crossovers zu fast allen regulären Marvel-Serien konstruiert wurden. Fans mußten alles lesen, um up to date zu bleiben. Der Coverpreis eines Hefts lag inzwischen bei 75 Cent. Später startete Shooters „New Universe“, eine Dachmarke für etliche neue Serien, die mit dem Marvel-Universum nichts zu tun hatten. Sein Grundgedanke war, eine Welt zu zeigen, in der es etwas höchst Außergewöhnliches war, wenn ein Mensch fliegen konnte. „New Universe“, das zentrale Ereignis zum 25-Jahre-Jubiläum von Marvel, wurde kein Verkaufserfolg (pro Heft wurden durchschnittlich 150 000 Exemplare verkauft).

    Was sonst noch geschah: Die „X-Men“-Schiene wurde ausgebaut. Neben „New Mutants“ kam nun auch noch die Serie „X-Factor“, in der Jane Grey wieder auftauchte. Die „Defenders“ wurden mit mehreren alten „X-Men“-Mitgliedern bestückt. Marvels Streit mit Jack Kirby ging weiter. Schon seit 1983 hatte Marvel begonnen, einzelne alte Originalseiten an die Künstler zurückzugeben. Kirby wurde nun angeboten, er könne 88 Seiten aus den 60er Jahren zurückbekommen, wenn er sich verpflichtete, sie nicht zu kopieren, nicht zu verkaufen, sie auf Verlangen Marvel wieder auszuhändigen und sogar bei Bedarf umgestalten zu lassen. Kirby lehnte ab. Marvel bewahrte übrigens die Originale sehr schlampig auf, so daß dauernd irgendwer Kirby-Originalseiten verkaufte. Und noch etwas Interessantes: Obwohl Shooter in dem Ruf stand, Marvel-Veteranen wie etwa Vince Colletta, Don Perlin, Mike Esposito oder Frank Springer ihr Auskommen zu sichern, trennte er sich doch in seinen letzten Jahren unter anderem von Chic Stone, Jim Mooney und Don Heck.

  3. #28
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    Das war der Abschnitt „Trouble Shooter“, jetzt beginnt Teil IV, „Boom and Bust“ (etwa: „Aufstieg und Niedergang“, was auch über anderen Passagen des Buchs hätte stehen können). Kapitel 15 schließt unmittelbar an die Entlassung von Jim Shooter an. Tom DeFalco hatte Marvel verlassen wollen; sein neuer Job zerschlug sich jedoch. Daher wurde er zum Nachfolger von Shooter gemacht – er war in der Redaktion allgemein anerkannt.

    DeFalco kam als erstes Jack Kirby im Urheberrechtsstreit entgegen und gab ihm 2000 Originalseiten zurück. Shooter geht darauf in seinem Blog ein; er beteuerte, er habe kein zerrüttetes Verhältnis zu Kirby gehabt, aber wegen der höchst komplizierten juristischen Verwicklungen ihm nicht so entgegenkommen können. DeFalco scheint dagegen die juristischen Probleme einfach vom Tisch gewischt zu haben. Kurz darauf gab es im Rahmen eines Radiointerviews zu seinem 70. Geburtstag so etwas wie eine Versöhnung Kirbys mit Stan Lee, der überraschend dazugeschaltet wurde. Lee räumte ein, daß es aus Kirbys Sicht vielleicht wirklich so war, daß er nur Worte in die Sprechblasen schrieb und die kreative Leistung allein bei Kirby lag, auch wenn er, Lee, das anders sehe. Und Lee fügte hinzu, Kirby habe einen gewaltigen Beitrag zur amerikanischen Kultur geleistet, und darauf könne er stolz sein.

    Zur Business-Ebene: New World machte erheblich größere Anstrengungen, Marvel multimedial zu vermarkten. Es wurden TV-Zeichentrickserien entwickelt, eine Spider-Man-Figur wurde zum Blickfang der Thanksgiving-Parade, und ein Riesenrummel wurde wegen der anstehenden Hochzeit von Peter Parker und Mary-Jane Watson in „Amazing Spider-Man“ Annual # 21 veranstaltet. Bald darauf geriet die Firma aber in wirtschaftliche Schwierigkeiten und mußte Marvel, den einzig noch profitablen Firmenteil, nach nur etwa zwei Jahren an Ronald O. Perelman, den Vorstandschef des Revlon-Kosmetikkonzerns, verkaufen. Auch Perelman hatte kein Verhältnis zu Comics.

    Mir ist da ein Fehler unterlaufen: Jim Galton, der einst von Cadence kam, war zu diesem Zeitpunkt immer noch Marvel-Präsident. Robert Rehme von New World hatte diesen Posten dagegen nicht, obwohl er im vorigen Kapitel bei Marvel Entscheidungen getroffen hatte. Sean Howe geht in seinem Buch manchmal detaillierter und manchmal nicht so klar auf die geschäftlichen Verhältnisse ein.

    Marvel dehnte in dieser Zeit die Crossovers zwischen den Comicserien immer mehr aus. Die Magazinabteilung Epic hatte dagegen die Erwartungen nicht erfüllt, dem Verlag Impulse zu geben. Epic-Redakteur Archie Goodwin ging deshalb zu DC. Erwähnt wird außerdem, daß kleinere, innovative Comicverlage wie Pacific Comics oder Eclipse 1987 in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerieten. Nun sah es so aus, als ob sich langfristig nur die beiden Großen, Marvel und DC, behaupten konnten.

  4. #29
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    In Kapitel 16 richtet sich der Blick wieder stärker auf die redaktionelle Ebene. Wir sind jetzt bei den Jahren 1990 und 91 angelangt. Drei Viertel aller Marvel-Comics wurden nun in Comicläden verkauft. Erstmals gab es Variant-Cover, in Plastikhüllen verpackte Hefte, Trading Cards. Das ließ die Geschäfte bei Marvel in ungeahnte Dimensionen wachsen. Eine neue vierte Spider-Man-Serie startete mit einer Auflage von fast einer Million, wurde aber kurz darauf getoppt von „X-Force“ # 1 mit vier Millionen und „X-Men“ # 1 mit acht Millionen Exemplaren. Howe erwähnt, daß es nur ein paar 100 000 Comicleser gab. Aber Sammler brauchten nun jedes Variant-Cover, jede Trading Card und jedes Heft einmal in der Plastikhülle und einmal zum Lesen. Zudem wanderten viele Hefte sofort kartonweise als Geldanlage in irgendwelche Lager. Coverpreis-Erhöhungen ließen die Verkäufe nicht schrumpfen.

    1991 war mit den beiden neuen Serien das große Jahr der X-Men, und es funktionierte. Originalseiten wurden nun für etwa 40 000 Dollar versteigert. Gleichzeitig brachte Spider-Man-Artwork von Steve Ditko aus dem Jahr 1965 nur 20 000 Euro ein. Verantwortlich dafür waren auch einige neue Zeichner-Superstars: Todd McFarlane, Rob Liefeld und Jim Lee. Sie drängten schließlich X-Men-Autor Chris Claremont aus dem Geschäft. Weitere wichtige Newcomer waren Art Adams, Whilce Portacio und Marc Silvestri.

    Auf der anderen Seite verließ auch John Byrne Marvel. Verkaufsleiterin Carol Kalish erlitt auf dem Weg zur Arbeit einen Herzinfarkt, an dem sie starb – mit 37 Jahren. Marvel hatte eigentlich keine Verwendung mehr für sie: auf die Allianz mit den Comichändlern wurde kein größerer Wert mehr gelegt. Es ging nun darum, den üblichen alten Kram in immer neuer Verpackung zu verkaufen, so Howe. Dafür gab es einen neuen Markting-Spezialisten, Richard T. Rogers.

    Auch einige Künstler empfanden keinerlei Verpflichtung mehr dem Verlag gegenüber. McFarlane, Liefeld und Lee taten sich zusammen, um gemeinsam zum unabhängigen Verlag Malibu zu gehen. Sie waren überzeugt, das würde Marvel so treffen, als ob in den alten Zeiten Jack Kirby, Neal Adams, John Buscema und Gil Kane zusammen Marvel verlassen hätten. Als Stan Lee zu dieser Zeit McFarlane und Liefeld für Promotionzwecke interviewte, zeichneten sie für ihn zu seiner Überraschung keine Marvel-Figuren, sondern McFarlane einen Helden namens Spawn und Liefeld Mitglieder seiner neuen Superteams Youngblood und The Executioners. Als McFarlane, Liefeld und Lee einen Termin beim neuen Marvel-Präsidenten Terry Steward hatten, um ihren Abschied zu regeln, stellte sich aber heraus, daß sie sich doch nicht so einig waren wie angenommen. Insbesondere Lee hielt sich eine Rückkehr offen.

  5. #30
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    Kapitel 17: ein kurzes, aber wichtiges Kapitel über die ökonomischen Konsequenzen des Hypes von 1991. Hier wird zum ersten Mal betont, daß Marvel eine Aktiengesellschaft ist und seine Aktionäre zufriedenstellen muß. Für die waren die Verkaufshits von Spider-Man, X-Men und X-Force ein Geldsegen, aber nun durfte der Verlag hinter diese Marken nicht zurückfallen. Die erfolgreichen Serien erreichten zwar nicht wieder die Auflagen des vorangegangenen Jahrs, aber da die Heftpreise kontinuierlich erhöht werden konnten, verdoppelte sich der Umsatz von 115 Millionen Dollar 1991 auf 240 Millionen Dollar 1992.

    Das nächste große Ding bei Marvel, „Silver Sable“ # 1, erreichte „nur noch“ eine Auflage von 500 000. Die Marvel-Leute waren irritiert; nur wenige erinnerten daran, daß wenige Jahre zuvor eine Auflage von 500 000 noch phänomenal gewesen wäre. Wie sich die Comic-Inhalte entwickelten, war problematischer. Die Redakteure wußten, daß sie nur Wolverine, Spider-Man und den Punisher in einem Heft auftauchen lassen mußten, damit es sich verkaufte. Aber sie mußten das auch tun, um kein Risiko einzugehen. Ob das Sinn ergab, war unwichtig.

    Beunruhigend war eine Feststellung der Verkaufsabteilung: Wurde ein Heft, etwa durch ein spezielles Cover, zum Verkaufshit aufgebaut, so erzielte es zwar gigantische Umsätze, aber die vorhergehenden und folgenden Ausgaben verkauften sich wesentlich schlechter. Kein Problem für Marvel, denn sie brauchten von den Comicläden, anders als beim Grosso, unverkaufte Hefte nicht zurückzunehmen, aber auf diese Weise machte der Verlag langfristig die Händler kaputt, die die Comics für ihn unter die Leute bringen sollten. Comichefte waren allerdings gar nicht mehr so wichtig. Jetzt ging es auch in hohem Maß um Zeichentrickfilme, Actionfiguren und Trading Cards.

    Chris Claremont beobachtete, was sich bei den X-Men tat, und sagte: „Das war bis vor zwei Jahren mein gesamtes Arbeitsleben. Sie haben nur 18 Monate gebraucht, die Serie wie einen Fisch auszuweiden, die Charaktere zu ruinieren, einen Großteil des Kontexts und der Serienstruktur auszulöschen und sie in meinen Augen in eine Parodie dessen zu verwandeln, was sie einmal war.“

    Inzwischen tat sich auch bei Malibu Entscheidendes. Dort wurde für Todd McFarlane, Rob Liefeld und Jim Lee der Imprint „Image Comics“ gegründet. „Spawn“ startete mit einer verkauften Auflage von 17 Millionen Exemplaren, „Youngblood“ nicht viel schlechter. Damit schob sich Image aus dem Stand an DC vorbei auf Platz zwei der US-Comicverlage. Claremont schaffte es übrigens nicht, mit seiner Serie „The Huntsman“ bei Image zu landen, da er kein Zeichnerstar war. Und John Byrne stellte fest, noch vor ein paar Jahren sei er ein Zeichnerstar wie McFarlane und Lee gewesen, aber er habe noch keine Rechte an seinen Comics gehabt und nicht eine Milliarde Dollar verdienen können. („eine Milliarde“, „one billion“, soll wohl keinen exakten Betrag angeben).

    Im Juni 1992 starb Martin Goodman im Alter von 82 Jahren, der Vertreter einer Comicbranche, die es so nicht mehr gab. Daß er der Gründer von Marvel gewesen war, interessierte niemanden mehr.
    Geändert von Peter L. Opmann (27.12.2012 um 14:36 Uhr)

  6. #31
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    Das Geschäft entwickelte sich zunehmend von Comic Books weg. In Kapitel 18 ist zu erfahren, wie Marvel sich 1993 mit dem Actionfiguren-Hersteller Toy Biz verband. Revlon hatte großes Interesse am Absatz dieser Puppen, aber Toy Biz hatte exklusive Lizenzen und verhinderte die Ausweitung des Figurenangebots. Revlon brachte die kleine Firma unter Kontrolle und verlieh Toy Biz dafür eine Hauptlizenz für Marvel-Comichelden. Avi Arad war für das Spielfigurendesign zuständig und durfte sich nun zusätzlich zusammen mit Stan Lee ums Filmgeschäft kümmern, was Revlon-Chef Perelman eigentlich zu riskant war. Aber Arad holte James Cameron für einen Spider-Man-Kinofilm und machte Pläne für einen Black-Panther-, einen Doctor-Strange- und einen X-Men-Film.

    Bernd Eichinger hatte schon seit 1986 eine Option für einen Fantastic-Four-Streifen, den er 1993 in letzter Minute mit Produzent Roger Corman und Regisseur Vidal Sassoon realisierte. Arad kaufte ihm darauf den Low-Budget-Film für mehrere Millionen Dollar ab, damit er nie gezeigt wurde. Er selbst hatte größere Pläne mit den Fantastic Four.

    Im Comichandel ging es derweil drunter und drüber. Image hatte Probleme, seine Comics termingerecht auf den Markt zu bringen. DC meldete sich plötzlich mit „The Death of Superman“ (vier Millionen Exemplare Auflage) zurück. Marvel war nun abgeschlagen. Aber während immer mehr Independent-Verlage ins Superhelden-Geschäft einstiegen (Dark Horse, Valiant Comics mit Jim Shooter), brach der Markt zusammen. Neugewonnene Leser, die durch „X-Men“ neugierig geworden waren, verabschiedeten sich wieder, und die angestammten Fans hatten endlich genug von hochgejubelten teuren Sammler-Editionen. Mehrere 1000 Comicläden machten dicht.

    Die Manager wurden immer vorsichtiger. „Wenn ein Heft keine Spinnennetze und kein X auf dem Cover hatte, wollten sie es lieber nicht drucken“, erinnerte sich Tom DeFalco. Serien aus der zweiten Reihe konnten nicht länger als Experimentierfeld für neue Inhalte oder ungewöhnliche Grafik verwendet werden. So ging es etwa Fabian Nicieza mit „Alpha Flight“. „Wenn es Stan Lee 1966 mit diesen Führungskräften zu tun gehabt hätte, hätte es den Black Panther niemals gegeben“, sagte Nicieza.

  7. #32
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    Die verhängnisvolle Geschäftspolitik von Revlon schlägt nun, im 19. Kapitel, voll durch. In der Distribution, also nach außen, ging es darum, den Zwischenhandel möglichst völlig auszuschalten. In der Produktion, also nach innen, stellte das Management sicher, daß Comics nicht nach künstlerischen, sondern nach Marketing-Gesichtspunkten hergestellt wurden. Das lief unter dem Schlagwort „;Marvelution“. Wir sind in den Jahren 1994 und 95.

    Marvel kaufte den Großhändler Heroes World in New Jersey, um die gesamte Distribution in der Hand zu haben. Diese Firma war 1975 gegründet worden, als Al Landau seinen Job als Marvel-Präsident verlor. Vizepräsident Ivan Snyder hatte damals eine größere Ladenkette aufgebaut. Heroes World war aber nicht in der Lage, die gesamte Marvel-Distribution zu übernehmen. Viele Ausgaben wurden nicht rechtzeitig ausgeliefert. Von 9400 Comicläden in USA waren jetzt nur noch 4500 übrig.

    Es wird erwähnt, daß Marvel weitere Firmen kaufte: Panini, den Kindermagazine-Verlag Welsh Publishing und Malibu. Marvels Comicgeschäft war allerdings selbst angegriffen: Von Januar bis Juli 1994 waren die Verkäufe um 36 Prozent geschrumpft. Erstmals seit 1957 wurden Beschäftigte, darunter auch Comicredakteure entlassen.

    In der Redaktion wurde Chefredakteur DeFalco von einem Team von fünf Chefredakteuren ersetzt. DeFalco hatte seine Mitarbeiter so gut er konnte vor den geschäftlichen Entscheidungen abgeschirmt. Das sollte jetzt aufhören. Bob Harras wurde verantwortlich für die X-Men-Welt, Bob Budiansky für den Spider-Man-Bereich, Mark Gruenwald für Avengers, Fantastic Four und „Classics“, Robbie Chase für ungewöhnliche Titel („Marvel Edge“) und Carl Potts für die Lizenztitel. Alle hatten ihre jeweiligen Umsatzvorgaben und mußten miteinander konkurrieren. Howe beschreibt, wie bei Spider-Man die Klonsaga ausgewalzt wurde, bis kaum noch jemand durchblickte. Bei den X-Men lief „Age of Apocalyse“, was in eine völlig neue Welt mündete.

    Jerry Calabrese, ein Marketing-Mann, der keine Comics las, wurde neuer Marvel-Präsident. Immerhin versuchte er, einige Fehlentscheidungen rückgängig zu machen. Bob Harras wurde neuer und wieder alleiniger Chefredakteur. Kopfschütteln verursachte, daß Calabrese Jim Lee und Rob Liefeld von Image zurückholte. Ihr Studio sollte sich nun um Avengers, Fantastic Four, Captain America und Iron Man kümmern. Das Crossover „Onslaught“ startete, dann wurden die Serien erstmals seit 1961 mit „Heroes Reborn“ bei # 1 neu gestartet. Lee und Liefeld bezogen auch bei Marvel ihre Hollywood-Einkünfte, während weiter bewährte Kräfte entlassen werden mußten, darunter Herb Trimpe und Marie Severin. Don Heck starb, lange vergessen. Und auch Carl Potts und Bob Budiansky räumten ihre Schreibtische – wenige Monate zuvor waren sie noch Chefredakteure gewesen.

    Anfang 1994 starb auch Jack Kirby. Er hatte noch kurz zuvor eine Serie namens „Phantom Force“ bei Image gestartet. Im übrigen hat Howe in diesem Kapitel eine gute Nachricht: „Marvels“ von Kurt Busiek und Alex Ross wurde ein großer Erfolg, an den niemand geglaubt hatte. Es war eine Erinnerung an die guten Zeiten, die es bei Marvel mal gegeben hatte.

  8. #33
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    Zum Schluß kommen noch einmal zwei längere Kapitel innerhalb des fünften Abschnitts, „A New Marvel“. Die knapp 40 Seiten und letzthin wenig Zeit sind schuld daran, daß ich mal wieder ein paar Tage pausiert habe.

    Kapitel 20 umfaßt den Zeitraum von 1996 bis zum Start des ersten Spider-Man-Films mit Tobey Maguire und Kirsten Dunst im Mai 2002. In dieser Zeit ging Marvel endgültig pleite. Wenig später, August 1998, wurde aber durch den Erfolg des Wesley-Snipes-Films „Blade“ klar, daß Marvel trotz Überschuldung einen gewaltigen Wert, vor allem im Filmgeschäft, hat. Joe Simon, gemeinsam mit Jack Kirby Vater von Captain America, sagte klarsichtig: „Das Geschäft geht den Bach runter, aber die Marvel-Figuren sind mehr wert als je zuvor.“

    Howe schreibt die ganze Zeit, dass immer wieder Filme zu Marvel-Stoffen und –Helden in Vorbereitung waren, aber sie schafften es nie in die Kinos, weil Hollywood nicht überzeugt war, daß sie ihre Produktionskosten einspielen konnten. Stan Lee hatte sich 15 Jahre lang darum bemüht, die richtigen Verbindungen herzustellen. Es ging um „Silver Surfer“, „Fantastic Four“, „X.Men“, „Daredevil“, „Doctor Strange“ und „Iron Man“ (Nicolas Cage stand schon für die Titelrolle fest). „Blade“ war ein Film, mit dem niemand gerechnet hatte. Sein Held war eine Nebenfigur aus „Tomb of Dracula“, ein cooler schwarzer Vampirjäger, erfunden von Marv Wolfman und Gene Colan Anfang der 70er Jahre. „Blade“ hatte immerhin ein 45-Millionen-Dollar-Budget und spielte das Dreifache ein. Damit war der Beweis erbracht: Marvel-Filme funktionieren an der Kasse.

    Da war Marvel aber gerade in Insolvenz, und bis dahin hatte der neue Oberboss, Isaac Perlmutter von Toy Biz, nur den Rotstift angesetzt, Redakteure entlassen und den Rest der Redaktion geknebelt. Ich muß gestehen, dass ich die geschäftlichen Verwicklungen und den Kampf verschiedener Konzerne und Finanzhaie (einschließlich des berüchtigten Carl Icahn) um Marvel nicht genau gelesen habe – dann hätte ich für das Kapitel noch länger gebraucht. Das zog sich jedenfalls von 1996 bis 1998 hin. Icahn kam letzten Endes nicht zum Zuge, Ron Perelman zog gegen Perlmutter den Kürzeren. Marvel-Präsident Joe Calamari stellte die beiden Mitarbeiter von Jim Shooters Verlag Valiant, Joe Quesada und Jimmy Palmiotti, ein, um die Comicserien wieder voranzubringen. Sie starteten eine neue Linie, „Marvel Knights“, um etwas wie die Liefeld- und Lee-Serien auf die Beine zu stellen.

    Anfang 1999 ließen sich endlich die Filmrechte an Spider-Man klären – auch ein ziemlich kompliziertes Manöver, aber sie gingen letztlich an Sony. Peter Cuneo übernahm im Auftrag von Perlmutter die neugegründete Firma Marvel Charakters Group, die sich nur um Crossmarketing von Marvelfiguren in Form von Computerspielen, Restaurantketten oder Softdrink-Herstellern kümmerte. Als nächstes hatte Bryan Singers „X-Men“-Kinofilm (US-Start: Sommer 2000) Premiere. Er spielte schon in der ersten Woche die 75 Millionen Dollar Produktionskosten ein (insgesamt laut wikipedia 296,3 Millionen Dollar). Aus Sicht von Marvel war allerdings die Zielgruppe noch nicht ausreichend definiert: die Comics waren für etwa 20-Jährige, die Spielfiguren für Zehnjährige. „Spider-Man“ ging mit einem Budget von 140 Millionen Doller unter der Regie von Sam Raimi in Produktion.

    Quesada, der inzwischen Chefredakteur geworden war, brachte die „Ultimate“-Reihe an den Start, deren Sinn war, die Comichelden, die inzwischen häufig Bärte trugen und Familie hatten, wieder zu verjüngen. Marvel kündigte die Mitgliedschaft in der Comic Code Authority auf, als kurz darauf eine Reihe für erwachsene Leser unter dem Namen „MAX“ auf den Markt kam. Da wurden die Code-Regeln, die längst weithin kaum noch Gültigkeit hatten, gezielt gebrochen. Das sollte anzeigen: Marvel war wieder ein Hort der Kreativität. Der Verlag verbesserte Druck und Papier der Hefte und hörte auf, deutlich mehr Auflage zu drucken, als verkauft wurde. Neue Künstler waren Grant Morrison, Axel Alonso und J. Michael Straczynski.

    Nebenbei: Einen Schock bedeutete der plötzliche Tod von Mark Gruenwald im August 1996 mit nur 43 Jahren. Das geschah, als Marvel noch tief in der Krise steckte, kurz bevor Perelman Gläubigerschutz beantragte. Chris Claremont kehrte kurzzeitig als X-Men-Redakteur zurück und musste wieder gehen. Ein Versuch, „Howard the Duck“ mit Steve Gerber wiederzubeleben, scheiterte. Und nach Jahrzehnten meldete sich im Urheberstreit um die klassischen Marvelfiguren nun Steve Ditko zu Wort und beanspruchte die alleinigen Rechte an Spider-Man. Daß Stan Lee die Idee hatte, bedeute nichts; die Figur werde nur durch die Zeichnung zu etwas Physischem. Lee erklärte, er habe Ditko immer als Miterfinder angesehen, aber diese Aussage reichte Ditko nicht. Stan Lee gründete im übrigen erfolglos die Firma Stan Lee Media und etwas später POW! Entertainment (da war er schon fast 80). Lee wurde von den Marvel-Leuten nicht mehr als einer der Ihren angesehen und war ziemlich unbeliebt, hielt sich aber hartnäckig im Geschäft. Erwähnt werden sollte schließlich der neue Marvel-Präsident, der Calamari nach rund einem Jahr ablöste: Bill Jemas, laut Howe die stärkste Persönlichkeit bei Marvel seit Shooter.

  9. #34
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    Es mag jetzt etwas wie Nitpicking klingen: Die Aussage, das Quesada und Palmiotti Mitarbeiter von Valiant waren, stimmt zwar. Tatsächlich waren sie zu dem Zeitpunkt, als sie anfingen für Marvel zu arbeiten, jedoch längst ausschließlich für ihren eigenen Verlag Event-Comics tätig. Und als solche wurden sie auch engagiert, "Marvel Knights" zu starten.

  10. #35
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    @ Comicfreak: Für Korrekturen bin ich immer dankbar. Ich habe das jetzt nicht ausdrücklich gesagt, aber die Marvel-Geschichte ab etwa 1990 habe ich bis dato so spoardisch verfolgt, daß ich da wirklich immer mal etwas durcheinanderbringen kann. Möglich ist auch, daß mein Englisch an der einen oder anderen Stelle nicht ausreicht, um Sachverhalte zu verstehen - allerdings sollte das nur ab und zu mal vorkommen.

    Außerdem freue ich mich, daß manche Leute sich anscheinend das alles durchlesen, was ich hier schreibe.

    Im letzten, dem 21. Kapitel, zerfällt die geschichtliche Darstellung ein wenig. Über die Zeit zwischen 2004 und 2010 wird zum Beispiel fast nichts mehr berichtet. Howe wendet sich am Schluß noch einmal einigen wichtigen Marvel-Künstlern und –Mitarbeitern zu und faßt zusammen, was aus ihnen wurde oder was sie heute machen. Und dann zieht er die Bilanz seines Buchs, in der es um die Frage geht, ob es gerecht ist, daß Künstler mit ein paar Dollar Honorar oder Gehalt abgespeist wurden für Comics, die später Milliarden Dollar einbrachten. Die Frage bleibt offen. Stan Lee wird mit der Aussage zitiert: „Ich hatte keinen Anlaß, darüber viel nachzudenken.“

    2002 verstärkte Marvel seine Anstrengungen, von seinen Stammlesern (den Fanboys) wegzukommen und neue, jüngere Leserschichten zu erschließen. Das scheint nie richtig gelungen zu sein. Howe gibt das heutige Durchschnittsalter der Marvel-Leser mit 30 Jahren an; das bedeutet, daß sie die Erzählzyklen (Held wird aufgebaut; Held stirbt; Held kehrt als Klon zurück, oder es stellt sich heraus, daß er nie wirklich tot war) mehrmals miterlebt haben. David Boller, der viele Jahre für Marvel gearbeitet hat, sprach mir gegenüber von einem wesentlich höheren Leser-Alter. Howe fügt jedenfalls hinzu, daß sich die Leser über die dauernde Wiederholung der Erzählmuster beklagen, aber mit ihren Dollars im Comicladen so abstimmen, daß sie fortwährend weiter recyclet werden. Witzig fand ich das Zitat aus dem Wall Street Journal: „Niemand bleibt tot außer Bucky, Jason Todd (von DC) und Onkel Ben.“ Allerdings stimmt es nicht mehr: Als Captain America starb, übernahm Bucky Barnes die Rolle – er war, wie sich herausstellte, nach dem Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion untergetaucht.

    Die bestverkauften Marvel-Comics 2011 waren der Tod des Ultimate Spider-Man (167 000 Exemplare) und der Tod der menschlichen Fackel von den Fantastic Four (144 000 Exemplare). Das war aber auch nur möglich, weil diese Ereignisse in der Mainstream-Presse angekündigt wurden; sonst liegen die Heftverkäufe weit darunter.

    Laut Howe wurde die Comic-Produktion bei Marvel in den vergangenen Jahren völlig rationalisiert. Wer da arbeitet, weiß, daß er sehr begrenzte künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten hat, darf zum Ausgleich aber unter dem Titel Icon auch Comics veröffentlichen, an denen er selbst die Rechte besitzt. Die müssen dann auch nicht den komplizierten Regeln des Marvel-Universums gehorchen.

    Die wichtigsten Ereignisse der vergangenen zehn Jahre waren zweifellos die Gründung der Marvel-Filmstudios und der Verkauf von Marvel an Disney. Sobald Marvel selbst im Filmgeschäft war (mit Hilfe von 525 Millionen Dollar von Merrill Lynch), wurde der Plan in die Tat umgesetzt, Filme mit einzelnen Rächer-Mitgliedern zu produzieren und sie dann in einem All-Star-Movie, „The Avengers“, zusammen einzusetzen. Avi Arad ging und ließ sich mit 59 Millionen Dollar abfinden. Disney zahlte für Marvel annähernd vier Milliarden Dollar, von denen ein Drittel Isaac Perlmutter einsteckte.

    Noch ein paar Personalien aus den Jahren 2002 bis 2004: Grant Morrison verließ Marvel im Streit mit Bill Jemas. Als neuer Zeichnerstar wurde Joss Whedon geholt. Aber noch bevor er kam, ging auch Jemas. Howe geht schließlich auf einige Marvel-Veteranen ein: Dave Cockrum (gestorben 2006), Gary Friedrich, Roy Thomas, Steve Gerber (gestorben 2008), Steve Ditko, Len Wein, Chris Claremont. Ich denke, Ihr könnt im Internet leicht nachsehen, wie ihr Leben verlief. Todd McFarlane ist noch immer bei Image, Jim Lee verkaufte sein Studio Wildstorm an DC. Marv Wolfman, Steve Englehart, Jim Starlin, Jim Shooter, Frank Miller und John Byrne sind noch im Comicgeschäft, arbeiten aber definitiv nicht mehr für Marvel.

    Stan Lee und Marvel legten ihren Rechtsstreit 2005 bei. Lee erhielt in einem Vergleich zehn Millionen Dollar und behielt sein jährliches Gehalt bei Marvel.

    Die Erben von Jack Kirby sind noch immer in Copyright-Streitigkeiten mit Marvel, Disney, Sony, Universal, 20th Century Fox, Paramount und anderen Firmen verwickelt.

    Das Interessante an Howes Buch ist für mich die Frage, ob man die Urheberrechtsfrage anders hätte lösen können. Der springende Punkt ist, daß die Verkaufserfolge der Comics prinzipiell unvorhersehbar waren, ebenso wie die Kinoerfolge. Innerhalb der Bedingungen des Comicgeschäfts waren die Autoren und Zeichner meist gut bezahlt. Sie hatten nie an eine Erfolgsbeteiligung gedacht. Auch aus Sicht des Verlags war Work-for-hire das Übliche. Aber als sich die großen Erfolge einstellten, profitierten davon hauptsächlich Geschäftsleute, die nicht einmal die Comics kannten, die ihnen die Gewinne eintrugen.

    Ich werde jetzt noch die Anmerkungen durchschauen und versuche dann, das Buch insgesamt zu beurteilen.
    Geändert von Peter L. Opmann (02.01.2013 um 22:33 Uhr)

  11. #36
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    Die Anmerkungen durchzusehen, könnte länger dauern und dabei nicht besonders ergiebig sein. Es handelt sich offenbar fast ausschließlich um Quellenvermerke, wobei Howe so vorgeht, daß er das jeweilige Zitat abgekürzt wiederholt und dann die Quelle angibt. Also nicht das hier gebräuchliche Fußnotensystem.

    Ich ziehe also mein Gesamturteil über „Marvel Comics – The Untold Story“ vor und melde mich noch mal, wenn ich auf etwas Interessantes in den Anmerkungen stoße.

    Zuerst zum Autor: Viel erfahren wir nicht über Sean Howe, auch nicht im Internet, vor allem bleibt seine Affinität zu Comics im Dunkeln. Es wird lediglich darauf verwiesen, daß er bereits das Buch „Give our Regards to the Atomsmashers“ veröffentlicht hat, worin Schriftsteller über ihre Comicerfahrungen berichten. Ansonsten war er Redakteur und Rezensent und hat für bekannte Publikationen wie Los Angeles Times oder Economist geschrieben. Howe sagt selbst auch nichts darüber, warum er sich mit Comics beschäftigt. Man kann vermuten, daß er Marvel Comics in größerem Umfang gelesen hat.

    Für dieses Buch hat Howe eine Menge Literatur verarbeitet, aber nach eigenen Angaben vor allem mit mehr als 150 Leuten gesprochen, die teilweise auf eigenen Wunsch anonym bleiben. Allein auf drei Seiten zählt er seine Gesprächspartner, Materialgeber und Ratgeber auf, darunter Stan Lee und viele Marvel-Redakteure und –Mitarbeiter.

    Was den Titel des Buchs betrifft: Ich habe nicht den Eindruck, daß es eine „untold story“ über Marvel gibt oder daß Howe irgendetwas sensationell Neues aufgedeckt hat. Er ist auch nicht der erste, der die Verlagsgeschichte in Buchform beschreibt. „Untold story“ scheint eine übliche verkaufsfördernde Phrase zu sein.

    Da Rezensent Comicfreak Lücken in der Darstellung bemängelt hat, möchte ich gleich einräumen, daß ich nicht beurteilen, ob das Buch gravierende Fehler enthält oder ob wichtige Fakten fehlen. Die Marvel-Geschichte, wie er sie beschreibt, ist konsistent, sofern ich nicht Widersprüche übersehen habe. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn die Marvel-Geschichte dürfte viele Feindschaften und Legenden hervorgebracht haben, die eine stringente Darstellung ziemlich erschweren. Ich habe im übrigen keine wesentlichen Fakten vermißt.

    Anders als Comicfreak sehe ich die klassische Marvel-Phase von 1961 bis 1970 oder auch bis 1974/75 im Vergleich zu den folgenden Jahrzehnten zu schwach gewichtet. Ich habe bereits vermutet, daß Howe selbst Marvel-Leser ab Mitte der 70er Jahre sein könnte. Ab dem zweiten Abschnitt, „The next Generation“, geht er jedenfalls im Detail auf bestimmte Serien und deren Entwicklung ein. Das setzt sich dann praktisch bis zur Gegenwart fort. Es könnte aber auch anders sein. Die 60er-Jahre-Marvels sind in USA, soweit ich weiß, Volksgut wie hier etwa die Grimm-Märchen. Man braucht also den Inhalt der „Fantastic Four“ oder der „Avengers“ in den Anfangsjahren der amerikanischen Leserschaft nicht unbedingt zu erzählen.

    Trotzdem habe ich hier etwas zu bemängeln: Marvel scheint immer der zweite große US-Comicverlag neben DC gewesen zu sein (wenn er auch in den 50er Jahren ziemlich heruntergekommen war). Auf das Verhältnis zu DC wird aber zu wenig eingegangen. Man versteht zu wenig, inwiefern die beiden Häuser gleich agierten und inwiefern sie sich unterschieden, sowohl was die künstlerische Produktion betrifft (ich habe die Meinung gehört, daß DC-Comics in den 50er und 60er Jahren sehr fantasievoll waren, während das gängige Bild ist, daß bei DC lange Zeit nach Schema gearbeitet wurde und nur Marvel ein Hort der Kreativität war) als auch die Arbeitsbedingungen für Comic-Künstler und den Umgang mit Urheberrechten.

    Howe wahrt nach meinem Eindruck durchgehend Distanz zu seinem Gegenstand. Im Buch gibt es keine Schurken und Lichtgestalten (wenngleich die großen Bosse, die mit den Comics Unsummen verdienten, ohne sie auch nur zu kennen, doch eindeutig negativ dargestellt sind). Insgesamt zeichnet er das Bild vom Aufstieg und Fall eines Unternehmens, das seine Glanzzeit in den 60er Jahren erlebte und das zwar mit Mühe und Not den wirtschaftlichen Erfolg wahren, aber künstlerisch daran nie mehr anknüpfen konnte. Die Arbeitsweise der Teams Lee/Kirby und Lee/Ditko bleibt letztlich rätselhaft. Ich halte es wohl für glaubwürdig, daß etwa Jack Kirby sich im wesentlichen auch die Storys seiner Serien ausdachte und Lees Beitrag dazu sich sehr im Rahmen hielt. Aber mir gibt zu denken, daß Kirby ohne Lee nie wieder an diese Glanzzeiten heranreichte.

    Howe hat meine Auffassung bestätigt, daß ich zur richtigen Zeit Marvels gelesen habe, nämlich in der Williams-Ära in den 70er Jahren. Sein Buch legt nahe, daß es sich nicht lohnt, in Serien in der Shooter-Zeit oder gar später einzusteigen, da bestenfalls Erfolgsmuster ad infinitum wiederholt oder die Storys mit Blick auf junge Leser, die keine Vorgeschichten kennen, immer mehr simplifiziert werden. Klar, eine offenbar schon völlig ausgereizte Story immer weiter auszuspinnen, ist oft sehr schwer, aber die Neustarts des Marvel-Universums sind einfach eine Katastrophe! Eine Soap-Opera setzt man niemals auf Null; ihr Publikum lebt in ihr.

    Nochmal zum Hauptthema des Buchs (wie ich es sehe): dem Urheberrechts-Streit. In meinen Augen unlösbar, einfach bedingt dadurch, daß ein Schundprodukt, um es mal so drastisch auszudrücken, plötzlich zum Millionenseller wurde. Allerdings kam mir inzwischen noch der Gedanke: Gab es diese Konflikte eigentlich auch in den Anfangszeiten? Offenbar nicht. Jerry Siegel (der sicherlich ein trauriger Fall ist) hat seine Rechte an Superman jahrzehntelang nicht geltend gemacht, oder? Auch Martin Goodman verdiente schon in den 40er Jahren mit Captain America, der Torch oder Submariner Millionen, ohne daß er von den Autoren deshalb verklagt wurde. Davon wird jedenfalls nichts erwähnt. Es gab wohl eine Entwicklung, daß sich Comickünstler selbst immer wichtiger nahmen und nicht mehr mit einem bescheidenen Gehalt abspeisen lassen wollten. Das stelle ich nicht in Abrede, aber Teil des Niedergangs war wohl auch, daß die Gier der Akteure im Comicbusiness immer größer wurde.
    Geändert von Peter L. Opmann (07.01.2013 um 19:45 Uhr)

  12. #37
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    Ein nachträgliches Interview mit Sean Howe:
    http://www.comicsreporter.com/index...._18_sean_howe/

  13. #38
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    Oder auch hier:
    http://www.comicgeekspeak.com/episod...speak-1596.php

    @Peter: Hast du eins von den "Marvel Comics in the 60's/70's" Büchern gelesen?

  14. #39
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    Nein, habe ich nicht. Warum?

  15. #40
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    Ich selbst habe nur das 60er Buch, aber sehr viel von dem was du hier von den ersten Kapiteln von TUS zusammengefasst ist dort auch so beschrieben.

  16. #41
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    Ich hab' mich ja gefragt, was der Titel "The untold Story" bedeutet. Hab' unter anderem gehört, der sei ironisch gemeint. Aber Howe selbst sagt in dem Radiointerview oben, er habe das Buch geschrieben, weil er gern mal so eins lesen wollte. Ganz neu ist das alles wohl nicht, aber es heißt wiederum, es sei noch nie erzählt worden, daß die Bullpen-Leute Anfang der 70er Drogen nahmen (ist natürlich in der Zeit naheliegend - andererseits: Bei DC gab's das bestimmt nicht... ).

  17. #42
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    Nein, es wird ja auch gern auf die Fotos aus der Zeit verwiesen mit den Anzügen auf der DC Seite und den Sandalen Hippies bei Marvel.
    Allerdings wurde auf die Trippigkeit einiger Stories und wie sie zustande kamen mit Sicherheit einer Ausgabe von Alter Ego zum Thema Jim Starlin/Adam Warlock schon einmal eingegangen.
    Im Endeffekt ist das aber auch unwichtig, wenn man Interesse an den Hintergründen hat ist es immer unterhaltsam ein Buch zu dem Thema in die Hand zu nehmen, bei Fantagraphics wurde grad eins im Januar-Previews erwähnt dass sich sehr interessant anhört. Darin geht es um das heimliche Nacht-und-Nebel Arbeiten einiger Marvel Angestellter bei anderen Verlagen im Golden Age und um die "Spicy" Magazines die Timely/Marvel damals rausbrachten.

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