Wir kommen nun zum Ende der Ära Shooter. Im Mittelpunkt von Kapitel 14 steht das Jahr 1986, ein wichtiges Jahr für die US-Comicindustrie. Um nicht den Eindruck zu erwecken, ich wolle permanent DC runtermachen, halte ich fest: 1986 war das Jahr, in dem John Byrne „Superman“ übernahm („Man of Steel“) und Frank Miller Batman völlig überarbeitete („The Return of the Dark Knight“); beide galten als Marvel-Leute, die DC-Stoffe neu interpretierten. Marvel brachte in diesem Jahr keine wichtigen Comics heraus. Der „Howard the Duck“-Kinofilm, produziert von George Lucas, floppte.
Auf der Business-Ebene tat sich allerdings einiges: Marvel wurde an New World Pictures verkauft, vormals die Produktionsfirma von Roger Corman. Das Problem war allerdings: Die neuen Eigentümer von Marvel waren wieder mal Geschäftsleute, die von Comics keine Ahnung hatten. Howe erzählt dazu eine Anekdote: Nach dem Deal jubelte Robert Rehme, der neue Marvel-Präsident, vormals ein hohes Tier bei Universal: „Wir haben gerade Superman gekauft!“ Sein Marketingchef war irritiert: Warner hat also DC abgestoßen? Als Rehme die Firma nannte, stellte sich heraus: Nicht Superman, sondern Spider-Man! Das war allerdings eine dumme Sache: Die Filmrechte an Spider-Man hatte nicht New World, sondern Cannon.
Im April 1987 wurde Jim Shooter gefeuert. Alle Marvel-Redakteure, mit Ausnahme seines engsten Vertrauten Tom DeFalco, hatten sich gegen ihn gestellt. Shooter hatte immer stärker in deren Arbeit eingegriffen, immer mehr Comics kurzfristig neu zeichnen lassen, weil sie nicht seinen Vorstellungen entsprachen. Die Redakteure waren der Ansicht, sie wüßten, wie man Comics macht; Shooter sei nur ein Hindernis im Produktionsprozeß. Shooter hatte allerdings selbst versucht, bei New World durchzusetzen, daß die Zahl der Marvel-Titel von etwa 50 auf etwa 25 reduziert wird, da zu viel Arbeitskraft mit eher zweitklassigen Serien gebunden wurde und sich die Autoren und Zeichner zu wenig um die guten Serien kümmern konnten. Das Management lehnte ab und setzte stattdessen zehn zusätzliche Titel durch, die man bereits konzipiert hatte. Art Director John Romita verzweifelte: Sie sahen nach seinen Worten aus wie Amateurarbeiten.
1985 hatte Shooter zunächst „Secret Wars II“ herausgebracht. Die Serie unterschied sich von „Secret Wars I“ vor allem dadurch, daß nun Crossovers zu fast allen regulären Marvel-Serien konstruiert wurden. Fans mußten alles lesen, um up to date zu bleiben. Der Coverpreis eines Hefts lag inzwischen bei 75 Cent. Später startete Shooters „New Universe“, eine Dachmarke für etliche neue Serien, die mit dem Marvel-Universum nichts zu tun hatten. Sein Grundgedanke war, eine Welt zu zeigen, in der es etwas höchst Außergewöhnliches war, wenn ein Mensch fliegen konnte. „New Universe“, das zentrale Ereignis zum 25-Jahre-Jubiläum von Marvel, wurde kein Verkaufserfolg (pro Heft wurden durchschnittlich 150 000 Exemplare verkauft).
Was sonst noch geschah: Die „X-Men“-Schiene wurde ausgebaut. Neben „New Mutants“ kam nun auch noch die Serie „X-Factor“, in der Jane Grey wieder auftauchte. Die „Defenders“ wurden mit mehreren alten „X-Men“-Mitgliedern bestückt. Marvels Streit mit Jack Kirby ging weiter. Schon seit 1983 hatte Marvel begonnen, einzelne alte Originalseiten an die Künstler zurückzugeben. Kirby wurde nun angeboten, er könne 88 Seiten aus den 60er Jahren zurückbekommen, wenn er sich verpflichtete, sie nicht zu kopieren, nicht zu verkaufen, sie auf Verlangen Marvel wieder auszuhändigen und sogar bei Bedarf umgestalten zu lassen. Kirby lehnte ab. Marvel bewahrte übrigens die Originale sehr schlampig auf, so daß dauernd irgendwer Kirby-Originalseiten verkaufte. Und noch etwas Interessantes: Obwohl Shooter in dem Ruf stand, Marvel-Veteranen wie etwa Vince Colletta, Don Perlin, Mike Esposito oder Frank Springer ihr Auskommen zu sichern, trennte er sich doch in seinen letzten Jahren unter anderem von Chic Stone, Jim Mooney und Don Heck.
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