Zitat:
Die Abenteuer des Kalifen Harun al Pussah sind zeitlich in der Blüte des Kalifenreiches zwischen dem 8. und 9. Jahrhundert anzusiedeln. Harun al Pussah erinnert zumindest vom Namen her an Harun al-Raschid, der zwischen 786 und 809 in Bagdad herrschte. Die damalige Staatsstruktur verdeutlicht bereits, dass der Ausgangspunkt jeder Geschichte, der Versuch des niederträchtigen Großwesirs Isnogud, den Kalifen zu beseitigen, um seine Position einzunehmen, damals kaum funktioniert hätte. Der Kalif galt als Bestandteil der göttlichen Ordnung, als Stellvertreter ( = chalifa) Gottes auf Erden, was natürlich die ihm auch im Comic entgegengebrachten Huldigungen erklärt. Bei den Regelungen seiner Nachfolge setzte sich eine Mischung aus Wahl- und Geburtsrecht durch, aber keine Nachfolge von Amts wegen, auch wenn der Wesir der zweitwichtigste Mann im Staate war. Er leitete die Staats- und Finanzgeschäfte (arab. Wazara = eine Last tragen), war aber immer von der Gunst des Kalifen abhängig, deren Entzug ihm Amt und Leben kosten konnte. Das erklärt zumindest das servile Verhalten Isnoguds.
Das Bagdad mit seinen Türmen, Spitzbögen und engen Gassen, das uns Goscinny und Tabary vorstellen, lehnt sich zwar an die Wirklichkeit an, erreicht aber nur die Qualität einer Filmkulisse. Tabary ist wie Morris kein Meister der Details oder der Hintergründe, und er benutzt die immer gleichen Requisiten an Hüten, Uniformen, Häusern oder Waffen. Die fehlenden Authentizitätsbeteuerungen zeigen, dass der historische Hintergrund bei dieser Serie kaum eine Rolle spielt. Immerhin: Die Buntheit der Ausstattung, die sich an prächtigen Teppichen und verschwenderischen Stoffen zeigt, und das große Warenangebot bringen den damaligen Reichtum des Ostens zum Ausdruck, von dem das karge, ärmliche Europa nur träumen konnte.
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"Isnogud" erscheint der Realität völlig enthoben, es wird das Bild der Herrschaft der Kalifen als einer mythischen Zeit heraufbeschworen, in der alles möglich scheint: Fliegende Teppiche, Zauberflöten, Flaschengeister, Riesen, Zauberer oder Sirenen machen die Serie zu einem Amalgam des märchenhaft-phantastischen, zusammengesetzt aus Bestandteilen antiker Sagen und orientalischer und europäischer Märchenwelten.
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Das Bagdad des Kalifen Harun al Pussah wirkt wie aus einem Sindbad-Film des Nachmittagsprogramms.
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Obwohl die Serien vom gleichen Autor stammen, gibt es im Umgang mit Geschichte Unterschiede: Bei "Asterix" dominiert das historische Element. Kleine Details sind oft überraschend wahrheitsgetreu rekonstruiert, und was nicht stimmt, wird so übertrieben dargestellt, dass es leicht als fiktiv enttarnt werden kann. Bei "Lucky Luke" überwiegt das mythische Element. Der Maßstab ist nicht die Realität, sondern der Mythos, und diesen stellt er absolut glaubwürdig dar. Bei "Isnogud" schließlich finden wir sehr stark phantastische Elemente ohne besondere geschichtliche Bezüge.
Aus "Mythos contra Authentizität: Goscinnys Umgang mit Geschichte" von Stefan Semel in Reddition 34: Goscinny", S.15ff.