Zitat:
Wie oben, so unten
Terry Pratchetts treffende Satireromane von der Scheibenwelt
Wir stellen uns vor: eine Erde, flach wie eine Scheibe, getragen von vier Elefanten, die wiederum auf einer Schildkröte stehen, welche gemächlich durch das Universum schwimmt. Hier umkreist die Sonne die Welt - das heißt, wenn der dritte Elefant rechtzeitig eines seiner Vorderbeine anhebt, um den glühenden Gasball durchzulassen. Das ist die “Scheibenwelt”, eine Ansammlung ausgefeilter Absurditäten, vor fast 20 Jahren von dem britischen Autor Terry Pratchett kongenial komisch ins literarische Leben geholt. Wovon leider fast nur die Spaßfraktion Wind bekam, weshalb der Erfolg zwar gigantisch war, die satirischen Qualitäten der Bücher aber lange unbeobachtet blieben. (Ein Schicksal, daß Pratchett etwa mit “Simpsons”-Schöpfer Matt Groening teilt.)
Auch unsere Welt, die sogenannte “Rundwelt” hat inzwischen Eingang in sein umfangreiches Universum gefunden. Nachzulesen in Pratchetts neuestem Werk “Die Gelehrten der Scheibenwelt”, das zwar nicht im eigentlichen Sinne ein Roman ist, aber zu seinen außergewöhnlichsten Werken zählt.
Zusammen mit den Oxford-Gelehrten Ian Stewart und Jack Cohen macht sich Pratchett daran, nichts weniger als die Geschichte unseres Universums zu erzählen. Die ausgesprochen wilde Rahmenhandlung um die an galoppierender Verblödung leidenden Magier der Unsichtbaren Universität, die eigentlich nur ein neues Heizungssystem in ihrem uralten Gemäuer installieren wollen, aber tatsächliche ein Mini-Universum schaffen, fällt beinahe etwas ab gegen die ausgesprochen flüssigen wissenschaftlichen Schilderungen, die allerdings eher dazu dienen, die Fragen anstelle des Wissens zu vermehren.
Der Wahnsinn hat Methode - das Dreiergespann nennt ihn “Lügen-für-Kinder” und meint damit alle unzulässigen wissenschaftlichen Vereinfachungen, die wir im Lauf unseres Lebens eingetrichtert bekommen. Ein Beispiel? Warum der Regenbogen bunt ist, wissen wir wohl alle. Aber warum ist er gebogen? Nun? Auch die Autoren geben zu, in diesem Buch zu lügen - aber sie sagen uns, wenn sie es tun. Und weisen den Leser auf Löcher in seinem Denkgebäude hin.
Die “Gelehrten” zu lesen ist eine wacklige Sache, denn es macht Zweifeln. Gleichzeitig ist es weitab von handelsüblicher “popular science” eine ausgesprochen handfeste Lektüre. Schade, daß der Verlag das Buch in seiner Fantasy-Reihe versteckt hat.
Für eher orthodoxe “Scheibenwelt”-Leser ist “Der fünfte Elefant”, eine Politthriller-Parodie, die sich nach etwas schleppendem Anfang in die Spitzenklasse der Pratchett-Bücher hocharbeitet. Erstaunlich, wie stilsicher Pratchett die Regeln der einzelnen Genres beherrscht. Zwerge, Werwölfe und Vampire kämpfen um die Macht in der terra incognita Überwald. Mittendrin Sam Mumm, der hard-boiled-Bulle aus der großen, dreckigen Stadt Ankh-Morpork, der zwischen den Parteien laviert, um die legendäre Steinsemmel zu finden - tatsächlich ein uraltes Brötchen und im Überwald eine Insignie der Macht.
Pratchett entwickelt eine vielschichtige Thrillerhandlung, die er wie gewohnt zu allerlei Seitenhieben nutzt, sowohl auf das Genre selbst als auch auf ganz alltägliche Dinge. Oft wird Pratchett mit Douglas Addams, dem Autor von “Per Anhalter durch die Galaxis”, verglichen. Dabei hat Pratchett das Level der Genre-Parodie längst hinter sich gelassen. Seine Bücher sind komische, tiefsinnige, mitunter poetische Gesamtkunstwerke, sein Universum bei aller Absurdität ein ziemlich treffendes Abbild des unseren. Oder, wie die Scheibenwelt-Gelehrten beim Betrachten des Rundwelt-Universums lapidar feststellen: “Wie oben, so unten.”
Stefan Pannor
Terry Pratchett/ Ian Stewart/ Jack Cohen: Die Gelehrten der Scheibenwelt, Heyne, 480 S., DM 19,90
Terry Pratchett: Der fünfte Elefant, Goldmann Manhattan, 416 S.,
aus: Kreuzer - Das Leipziger Stadtmagazin 10/ 2000