Carbon & Silizium von Mathieu Bablet
https://www.comicforum.de/attachment...8&d=1678804194
Nach der Lektüre musste ich erst einmal durchatmen. Bablet zeigt, wie unsere Zukunft aussehen könnte. Eine dystopische Zukunft. Umwelt, Klima und mit ihnen, technologischer Fortschritt und (staatliche) Strukturen des menschlichen Zusammenlebens gehen nach und nach den Bach runter. Leider ganz und gar nicht abwegig, sondern erschreckend realistisch. Allerdings nichts wirklich Neues. Wenn das alles wäre, könnte man das Werk schnell abhaken. Ist es aber nicht.
Es geht vielmehr um künstliche Intelligenz, kurz KI oder AI. Ein Thema, dass Spielberg schon im Jahr 2001 ins Blickfeld einer breiten Öffentlichkeit gerückt hat. Wahnsinn. Mehr als 20 Jahre liegt das schon zurück. Aus anderer Perspektive gesehen: erst 20 Jahre! Wer den vorletzten Spiegel gelesen hat, weiß wovon ich rede: „KI - Die neue Weltmacht. Wie ChatGPT und Co. unser Leben verändern.“ Als ich den Film erstmals im Kino sah, hätte ich nie damit gerechnet, dass die vielfältigen damit zusammenhängenden gesellschaftlichen und moralischen Fragen schon zu unseren Lebzeiten ernsthaft auf uns zukommen werden. Die Menschheit steht also schon früher als erwartet vor unglaublichen existentiellen Herausforderungen und macht was? Verfällt in alte Muster. Heißer und kalter Krieg. Glaubt Lügnern, Betrügern, Egomanen, die einfache Lösungen versprechen und doch nur Fake News zu bieten haben. Der Mensch „Im Grunde gut“? Als Optimist werde weiterhin daran glauben. Gibt es denn eine sinnvolle Alternative? Comiclesen alleine wird nicht helfen, ist aber ein Anfang.
Lasst uns also mit Bablet beginnen. Aus der Ursuppe des Datenmeers erheben sich in einer virtuellen Welt Carbon und Silizium. Zwei künstliche Intelligenzen, gefüttert mit dem gesamten Wissen der Menschheit. Gefragt nach dem ersten Gedanken lautet die Antwort: „Die Menschen sind das wahre Problem der Erde. Die einzige Lösung ist, sie auszulöschen!“ Kommt Euch bekannt vor? Bablet räumt das Zitat gleich im Anschluss ab: „Ein Scherz! Dieses Szenario findet sich in 738 fiktiven Werken, von Filmen bis Kurzgeschichten… Keine Sorge! Ihr wisst doch sowie schon, wie es mit euch enden wird ….“ Grafisch und inhaltlich ein äußerst gelungener Start. Es ist der Beginn der Androidenproduktion. Natürlich zu kommerziellen Zwecken.
Wer den Comic verstehen will, sollte sehr genau die einleitenden Ausführungen von Professorin Noriko ITO, der Forschungsleiterin der Tomorrow Foundation lesen. Es geht um die Frage nach Sinn und Zweck des Lebens. Was macht uns zu Individuen?
Während ich schlicht an Fortpflanzung gedacht hätte oder vielleicht noch an 42, wirft Noriko eine andere Lösung in den Raum: Bedürfniserfüllung. Was passiert also, wenn ich einer KI ein Bedürfnis-Algorythmus implantiere? Verzichte ich auf Sicherheitsmaßnehmen für den Fall, dass die KI doch noch auf die Idee kommt, der Mensch versperre ihr den direkten Weg zum Glück? Bablet nimmt uns mit auf dem langen Weg der Erkenntnis. Nebenbei beschäftigt er sich noch mit anderen Fragen. Wie lange sollte ein Android eigentlich „leben“? Droht ihm, Opfer von „Rassismus“ zu werden? Wer die bei Splitter erschiene Reihe „Androiden“ gelesen hat, dem werden solche Themen vertraut vorkommen.
Bablet arbeitet sich an fast 270 Seiten an der Geschichte ab, ohne die Leser zu langweilen. Wie gelingt ihm das? Er legt in Anlehnung an Dieter Bohlen in DSDS den Focus auch auf „Gefühle“. Wir können uns in die beiden Protagonisten hineinversetzen, mit ihnen leiden und hoffen. Struktur und Aufbau erinnern mich im Folgenden an David Mitchells „Knochenuhren“.
Und das Artwork? Eigenwillig, mit hohem Wiedererkennungswert. Bablet polarisiert. Ich mag seinen maniristischen Stil.
Fazit: Von mir eine klare Empfehlung.
Hier geht es zu der Graphic Novel SHANGRI-LA, ca. 4 Jahre vor Carbon & Silizium von Bablet geschrieben und gezeichnet: https://www.comicforum.de/showthread...A-von-M-Bablet
